Der halbierte Amazonas

Flüsse werden ausgebaggert, Staudämme errichtet und eine 1000 Kilometer lange Eisenbahnstrecke soll neben einer bereits existierenden Bundesstraße den Amazonas durchqueren. Die brasilianische Regierung will ein Infrastrukturprojekt der Megaklasse. Mit Telma Monteiro, Expertin für Genehmigungsverfahren für solche Megaprojekte, sprachen wir mit Deutschen Unternehmen wie der Deutschen Bank über Investitionsrisiken und Menschenrechtsverletzungen.

Text: Mit freundlicher Genehmigung von Telma Monteiro, übersetzt u redigiert von Regina Sonk; Foto: Hafenanlagen des brasilianischen Transport- und Logistikunternehmens Hidrovias do Brasil bei Miritituba, am Fluss Tapajós. Foto by Hidrovias do Brasil, CC

Im Rahmen meiner Partnerschaft mit der der Gesellschaft für bedrohte Völker, die Büros in der Schweiz und in Deutschland unterhält, habe ich am 5. Oktober 2021 einen Vortrag vor Mitarbeitenden der Deutschen Bank gehalten. Unter den Anwesenden befand sich auch Stephan Wilken, der neue Leiter der Deutschen Bank in Brasilien und Regionalleiter für Lateinamerika, der die ESG-Aktivitäten ausweiten und verstärken will. ESG steht für Social, Environmental und Governance. Niemand weiß besser über das Thema meines Vortrags Bescheid als er: Ferrogrão EF-170 – die Eisenbahnlinie, die den Amazonas in zwei Hälften teilen soll. Ferrogrão steht derzeit auf dem Radar von Investoren, Banken und internationalen Unternehmen.

Das Ferrogrão-Projekt stößt auf internationales Interesse bei Investoren, Unternehmen und Banken, die die Produktion brasilianischer Rohstoffe beschleunigen wollen. Sie ignorieren jedoch das Ausmaß der Auswirkungen dieses Projekts, das den Amazonas in zwei Hälften teilt und die indigenen Völker und die Artenvielfalt beeinträchtigt. Die GfbV hatte die Deutsche Bank zu dem Gespräch eingeladen, um die ökologischen, sozialen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Eisenbahn zu erörtern. Meine Aufgabe war es, die Vor- und Nachteile eines Projekts aufzuzeigen, das der weltweiten Sorge um die Unversehrtheit des Amazonasgebiets und seiner einheimischen Bevölkerung zuwiderläuft. 

Ich hielt eine umfassende Präsentation, in der ich alle Faktoren aufzeigte, warum Ferrogrão nicht gebaut werden darf.  Er wird unvorstellbare Auswirkungen auf indigenes Land und Naturschutzgebiete auf Bundes- und Landesebene haben. Ich habe Karten gezeigt, die belegen, dass das Projekt der 1006 km langen Eisenbahnstrecke, so, wie es geplant ist, unumkehrbare Auswirkungen haben wird.

48 Indigene Gebiete betroffen

Im März diesen Jahres erhielt das Bundesministerium für öffentliche Angelegenheiten (MPF) eine Eingabe von Organisationen der Zivilgesellschaft, in der Unregelmäßigkeiten im Ferrogrão-Prozess durch das Ministerium für Infrastruktur und die Nationale Agentur für Landverkehr (ANTT) aufgelistet wurden. Die Beschwerde bezieht sich hauptsächlich auf die Verletzung der Rechte indigener Völker und traditioneller Gemeinschaften.

Das Projekt lässt die Auswirkungen auf die indigenen Völker außer Acht. Und das, obwohl sie das Recht haben in der Planungsphase des Projekts konsultiert zu werden, ob sie dem Bau der Eisenbahn zustimmen oder nicht. Die potenziellen Auswirkungen von Ferrogrão betreffen das Land der Munduruku im mittleren und oberen Tapajós, das Land der Panará, Kayapó und Mekragnotire im Südwesten von Pará sowie sechs weitere indigene Gebiete in Mato Grosso sowie Indigene Völker, die in selbstgewählter Isolation leben. 

In meiner Präsentation vor der Deutschen Bank habe ich all diese und noch weitere Aspekte angesprochen und erwähnt, dass 48 Gebiete indigener Völker von den Auswirkungen betroffen sein könnten. Trotz acht Anträgen indigener Verbände, zwei Empfehlungen des MPF und der Verpflichtung, das Recht auf vorherige, freie und informierte Konsultation gemäß der ILO-Konvention 169 zu respektieren, weigerte sich die brasilianische Regierung, ihrer Verpflichtung nachzukommen.

Noch allerhand offene Fragen

Das Brasilianische Infrastrukturministerium hat mit der Climate Bonds Initiative (CBI)¹ ein Absichtsprotokoll für 2019 unterzeichnet, das darauf abzielt, Ferrogrão als ein „grünes“ Projekt zu zertifizieren. Der Infrastrukturminister verteidigt die Zertifizierung des Projekts, die seiner Meinung nach für die Sicherheit der Investoren wichtig ist. Er nennt Themen, bei denen das Ferrogrão-Projekt noch Defizite aufweist, wie z. B.: Umweltmanagement, Monitoring und Wiederherstellung von beschädigter Umwelt.

Trotz aller Lücken im Prozess spricht Infrastrukturminister Tarcísio Gomes de Freitas immer noch über nachhaltige Finanzierung – obwohl das CBI den Antrag noch nicht einmal geprüft hat. Ergänzend zu seiner Rede verspricht Tarcísio, dass das Bahnprojekt zur Reduktion von einer Million Tonnen Kohlenstoff beitragen würde, indem der Lkw-Verkehr auf der BR-163, die parallel zur Strecke des Ferrogrão-Projekts verläuft, um 90 % reduziert wird. Er hat allerdings nicht erklärt, wie er zu diesen Zahlen gekommen ist.

Und nicht zuletzt befasst sich der Nationalkongress mit einem Gesetzentwurf zur Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens für den Bau und Betrieb von Eisenbahnen. Die Regierung Bolsonaro beabsichtigt nämlich, einen neuen Rechtsrahmen für den Schienenverkehr zu schaffen, ohne dass Ausschreibungen erforderlich sind, ähnlich wie dies bereits in den Bereichen Telekommunikation, Häfen und Flughäfen geschieht.

Die Risiken

Was die Aufmerksamkeit der Deutschen Bank am meisten erregte, war, als ich einen Bereich betrat, den Investoren, große Unternehmen und Banken nicht mögen: die Analyse der inhärenten Risiken. Finanzielle, rufschädigende und rechtliche Risiken sind für Unternehmen, die hier investieren, unübersehbar. Ferrogrão stellt nicht nur ein Risiko für die Investoren dar, sondern auch eine Gefahr für den Amazonas. Der Klimawandel, der durch Projekte wie Ferrogrão verursacht wird, würde auch große Flächen von Getreideplantagen der Agrarindustrie in Mitleidenschaft ziehen und das Geschäft unrentabel machen. Die europäischen Länder haben ein wachsames Auge auf klimatische Folgen, inklusive der Erhaltung der Wälder und der einheimischen Bevölkerung bereichern wollen.

In meinem Vortrag habe ich alle Risiken erwähnt, wie z. B. die Möglichkeit einer Wüstenbildung, die durch die Abholzung von Wäldern verursacht wird oder missbräuchliche Bewässerung und extreme Dürren aufgrund des Klimawandels. Ich habe keine Argumente ausgelassen, wie z. B. Fehler bei der Risikodimensionierung, nicht berücksichtigte Faktoren bei der Planung, zu hoch eingeschätzte Vorteile, Unsicherheiten bei den Abmilderungs- und Entschädigungskosten, unvorhergesehene Erhöhungen der Durchführungskosten, nicht bewertete Marktrisiken oder schwankende Rohstoffpreise soziale und ökologische Kosten oder öffentliche Konsultationen. Dies alles kann Anleger, Unternehmen sowie nationale und internationale Banken große finanzielle Verluste bereiten. 

Hinzu kommen die Imageschäden für Unternehmen, Investoren und Banken, die mit Projekten verbunden sind, die enorme Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen verursachen. Auch die rechtlichen und gerichtlichen Risiken wurden nicht außer Acht gelassen, wie z. B. Entschädigungs- und Wiedergutmachungsklagen, Bußgelder für Umweltschäden, Haftung für Banken und die Verletzung der Rechte der Natur.

Meine klare Antwort

Am Ende des Gesprächs mit der Deutschen Bank wurde ich von deren Nachhaltigkeitsbeauftragten gefragt, ob wir empfehlen würden, die ökologischen und sozialen Schäden zu mindern oder das Ferrogrão-Projekt endgültig aufzugeben? Meine Antwort war eindeutig: Das Projekt darf nie über den Planungsstatus hinauskommen, da es eine Katastrophe wäre und den größten Tropenwald der Erde, die indigenen Völker und das Klima gefährden würde. Ist es nicht gerade die Erhaltung des Amazonas, die die europäischen Regierungen angesichts des Klimawandels am Vorabend der COP 26 fordern? 


¹ CBI ist eine internationale Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, mit dem globalen Bondmarkt (Anleihenmarkt) einen Beitrag zu einer CO2-effizienten und klimaresistenten Wirtschaft zu leisten. Der Emittent muss nachweisen, dass mit dem Emissionserlös klimaschädliche CO2-Emissionen reduziert oder die Klimaresistenz der Wirtschaft erhöht wird.

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