Weihnachten in Haft

Die Tage über Weihnachten und Neujahr sind für viele von uns eine besondere Zeit im Jahr: Wir treffen uns mit Familie und Freunden, beschenken einander, halten inne. Vielleicht finden wir auch Geborgenheit im Glauben. Doch viele Menschen erleben diese Zeit im Jahr hinter Gittern, in Haftanstalten, in denen sie täglich gedemütigt, gefoltert und erniedrigt werden, obwohl sie unschuldig sind. Sie sitzen ein ohne rechtsstaatliche Verfahren. Stellvertretend für viele andere stellen wir Ihnen hier einige Personen vor, für die sich die GfbV einsetzt.

Von Sarah Reinke, Leitung der Menschenrechtsarbeit, Foto: zwiebackesser, Adobe Stock

Lenyie Umerova ist Krimtatarin und lebte nach der russischen Annexion der Krim von 2014 in Kyiv. Dort arbeitete die 25-Jährige als Marketing-Managerin. Dann aber erkrankte ihr auf der Krim lebende Vater an Krebs und Lenyie entschied sich, ihn zu besuchen. Sie fuhr im Dezember 2022 über Georgien nach Russland, um von dort auf die Krim zu gelangen. An der georgisch-russischen Grenze wurde sie von russischen Beamten aus dem Bus geholt, weil sie einen ukrainischen und keinen russischen Pass hatte. Sie sollte eine Strafe von 20 Euro bezahlen und des Landes verwiesen werden. Nach wenigen Tagen in Abschiebehaft wurde sie entlassen, dann aber sofort wieder festgenommen und zu 15 Tagen Gefängnis verurteilt. Dieser Verurteilung folgen immer weitere. Währenddessen bereitete die Staatsanwaltschaft eine fingierte Klage vor: Im Sommer 2023 beschuldigten die russischen Behörden die 25-Jährige der Spionage. Seit Mai 2023 wird die junge Frau im berüchtigten Lefortowo-Gefängnis in Moskau festgehalten. Es drohen ihr bis zu 18 Jahre Haft. Auf der Krim selbst werden Krimtatar*innen systematisch verfolgt. Von rund 200 Gefangenen von der Krim sind 113 Krimtatar*innen, bei einem Bevölkerungsanteil von unter 12%.

Zarema Musaewas „Verbrechen“ ist, dass ihre drei Söhne Abubakr, Ibragim und Baysangur sich gegen den tschetschenischen Gewaltherrscher Ramzan Kadyrow gestellt haben. Am 20. Januar 2022 wurde sie aus ihrem Haus in der zentralrussischen Stadt Nowgorod von tschetschenischen Spezialkräften gekidnappt. Musaewa ist 53 Jahre alt, hat mit ihrer Familie beide Tschetschenienkriege (1994-1996, 2000-2009) überlebt. Im Sommer 2023 wurde sie erst zu fünfeinhalb und dann zu fünf Jahren Haft verurteilt. Sie wird im Gefängnis der tschetschenischen Stadt Argun festgehalten. Ihr Antrag auf frühere Haftentlassung wurde am 11. Dezember 2023 vom Gericht in Shali abgelehnt. Zarema Museawa leidet unter Diabetes, sie hat zunehmende Probleme mit den Augen und klagt über Rückenschmerzen. Als die Journalistin Elena Milashina und der Anwalt Alexander Nemov sie im Juli 2023 besuchen wollten, wurden beide von tschetschenischen Sicherheitsleuten abgefangen und entführt, Milashina wurde schwer misshandelt. In einem Zeitungstext schreibt Musaewas Sohn Abubakr Yangulbaew: „Indem sie meine Mutter verhaftet haben, haben sie das Herz aus unserer Familie gerissen.“

Leonard Peltier (78) sitzt bereits seit 46 Jahren in den USA im Gefängnis. Er ist schwer krank. Nach einem Schlaganfall ist er auf einem Auge blind, kann sich nur noch mithilfe eines Rollators fortbewegen, ein Aneurysma kann sein Leben jederzeit beenden. 1953, Leonard Peltier war neun Jahre alt, wurde er von seiner Familie getrennt und in ein Internat gebracht, wo er Gewalt und die Unterdrückung der indigenen Identität erlebte. Hunger, Gewalt und Ungerechtigkeit trugen zu Peltiers politischer Bewusstwerdung bei. 1968 schloss er sich dem American Indian Movement (AIM) an. Am 26.6.1978 suchte das FBI in einem AIM-Camp in der Pine Ridge Reservation nach gestohlenen Cowboystiefeln. An diesem Tag kam es zu Panik im Camp, da die Indigenen Misshandlungen durch das FBI befürchteten. “Einige Aktivist*innen griffen zu ihren Waffen, und es kam zu einem langen Schusswechsel, bei dem die FBI-Agenten Ronald Williams und Jack Coler sowie der Aktivist Joe Stuntz getötet wurden. Zu Unrecht wird Peltier vorgeworfen, an der Ermordung des Aktivisten beteiligt gewesen zu sein. Es wurde niemals untersucht, wer Joe Stuntz tatsächlich getötet hatte, aber das FBI präsentierte schnell Leonard Peltier als Täter. Sein Anwalt Kevin Sharpe argumentierte, dass das Verfahren gegen Peltier aus mehreren Gründen gegen die US-Verfassung verstoßen habe: Die Hauptzeugin Myrtle Poor Bear widerrief später ihre Aussage und erklärte, dass sie eingeschüchtert worden sei. Zudem soll sie zum Tatzeitpunkt gar nicht vor Ort gewesen sein. “Dennoch wurde Peltier aufgrund ihrer Falschaussage von Kanada an die USA ausgeliefert”, berichtet Amnesty International. Den Geschworenen wurde der Rückzug der Aussage von Myrtle Poor Bear nicht mitgeteilt. Auch ein ballistisches Gutachten, das bewiesen hätte, dass die tödlichen Kugeln nicht aus Peltiers Waffe stammten, blieb den Geschworenen verborgen. Trotzdem wurde Peltier am 18. April 1977 wegen Mordes zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt. Prominente Unterstützer*innen und internationale Kampagnen hatten bislang keinen Erfolg – Peltier ist immer noch in Haft.

Der 28-jährige Alamusha, ein Kunststudent aus der Region Innere Mongolei in China, wurde 2013 willkürlich zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er angeblich eine Prügelei initiiert haben soll. Alamusha ist ethnischer Mongole. Er sitzt im Gefängnis Nummer 3 in Hohhot, der Hauptstadt der Inneren Mongolei ein. Seit er in Haft zum Christentum fand, wurde er von den Behörden u.a. mit dem berüchtigten ‚Tigerstuhl‘ systematisch gefoltert. Er wurde in Einzelhaft genommen, bekam kaum mehr etwas zu essen. Trotz eisiger Temperaturen bekam er keine ausreichend warme Decke, so dass er sich schwere Erfrierungen zugezogen hat. Er wurde 40 Tage lang in Fesseln gehalten, bis er nicht mehr stehen oder sitzen konnte. Seine Tante hat sich kürzlich mit einem Appell für seine Freilassung an die Öffentlichkeit gewandt, bislang ohne Erfolg.

Aleksandr Gabyschew, 2019 bekannt geworden als der jakutische Schamane, der von Sibirien aus mehr als 2.000 km zu Fuß in Richtung Moskau wanderte, um gegen Putin zu protestieren und „den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit einem Ritual aus dem Kreml zu vertreiben“, sitzt seit seiner Festnahme 2019 und nach kurzer Unterbrechung seit Oktober 2021 per Zwangseinweisung in einer restriktiven, gefängnisähnlichen psychiatrischen Anstalt ein. Er wird dort gegen seinen Willen und jeglicher Diagnose entbehrend u.a. mit anti-psychotischen Medikamenten, die normalerweise bei Schizophrenie angewendet werden, zwangsbehandelt. Nach zahlreichen Protesten wurde im Sommer 2023 zunächst angeordnet, dass Gabyschew in eine „psychiatrische Klinik allgemeinen Typs“ in Jakutien verlegt werden soll. Dies hätte zumindest eine teilweise Verbesserung für ihn bedeutet. Diese Entscheidung wurde aber revidiert, Gründe dafür nicht genannt. Aleksandr Gabyschew bleibt also weiterhin in der Gefängnis-Psychiatrie inhaftiert, eine bereits seit Stalin-Zeiten probate Methode, um Dissidenten mundtot zu machen. Schamanen sind auch in Sibirien seit Jahrhunderten essentieller Bestandteil und Bindeglied indigener Gemeinschaften. In der Sowjetunion wurden Schamanen unterdrückt. Nun gewinnen sie in vielen Regionen Sibiriens wieder an Bedeutung, das aber ist auch der Putin treuen russisch orthodoxen Kirche ein Dorn im Auge.

Yuande Ding ist Falun Gong Praktiziertender in China. Im Mai 2023 wurde er gemeinsam mit seiner Frau, ebenso wie hundert weitere Falun-Gong-Praktizierende, auf seiner Teeplantage von Zivilpolizist*innen verhaftet. Dabei wurden die Füße seiner Frau verletzt und bluteten so sehr, dass ihre Socken später an den Wunden festklebten. Das Haus des Ehepaares wurde über Stunden durchsucht, es wurde gefesselt und eingeschüchtert. Yuande wurde anschließend auf der Polizeistation festgehalten und inhaftiert. Seinen Aufenthaltsort hielt die Kommunistische Partei über Wochen geheim, Kontakt zu seiner Familie wird ihm verwehrt. Am 20. Juli erließ sie Haftbefehl gegen ihn. Ein Schauprozess im November, wo er in zu dünner Kleidung, dünn und erschöpft erschien, ging bislang ohne Ergebnis aus. Seine Frau Ma Ruimei kam nach zwei Wochen unter strengen Auflagen wieder frei. Yuande Dings Sohn Lebin Ding ist 35 Jahre alt, arbeitet in einer Anwaltskanzlei in Berlin und hat seine Eltern seit elf Jahren nicht gesehen. Von hier aus setzt er sich für die Freilassung seines Vaters ein, in Medien, in Zusammenarbeit mit Menschenrechtsorganisationen und Politiker*innen. Die Verhaftung seines Vaters sei eine Vergeltung, sagte man Ma Ruimei – für die Aktionen, die Lebin in Europa gestartet hatte, und für die Protestbriefe, die bereits aus Europa bei der Parteizentrale der Stadt Rizhao eingegangen waren. Lebin Ding bleibt laut, denn es ist die einzige Möglichkeit, die er hat. Wir kämpfen mit ihm.

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