Warum die Rechte indigener Völker schützen?
Weltweit gehören zwischen 350 und 440 Millionen Menschen rund 6.000 indigenen Völkern an. Dies entspricht vier bis fünf Prozent der Weltbevölkerung. In der Regel sind Angehörige heutiger indigener Völker die Nachfahren der ersten Bewohner*innen eines Gebietes. Sie verfügen über eigene Sprachen, Religionen, politische und soziale Institutionen sowie über spezifische kulturell definierte Modelle der Lebensführung.
von Dr. Theo Rathgeber; Foto: GfbV Schweiz 2019
Indigene Völker zählen
zu den politisch, wirtschaftlich und sozial stark benachteiligten Bevölkerungsgruppen.
Die Durchsetzung ihrer international anerkannten Menschenrechte gehört zu den
größten Herausforderungen unserer Zeit. Gleichzeitig hat die Schlüsselrolle,
die sie für den Schutz der biologischen Vielfalt unseres Planeten und des
globalen Klimas spielen, die Anliegen indigener Völker zu einem politisch
hochaktuellen Thema gemacht (IPBES 2019, CLARA-Report 2019). In Ländern wie
Brasilien stellen ihre Gebiete zurzeit den besten Schutz gegen die Zerstörung
der Regenwälder dar, wie Satellitenaufnahmen eindeutig belegen.
Um den Inhalt ihrer individuellen und kollektiven Rechte klarzustellen und
deren Anwendung zu sichern, entstanden im Rahmen der Internationalen
Arbeitsorganisation die Konvention Nr. 169 (ILO-Konvention 169) sowie auf Ebene
der Vereinten Nationen – dank des politischen Aktivwerdens indigener
Vertreter*innen – die UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker. Rechtlich
verbindlich ist von beiden allein die ILO-Konvention 169.
Was ist die ILO-Konvention 169?
Die ILO-Konvention 169 wurde 1989 verabschiedet und erkennt die eigenständigen Merkmale und Lebensentwürfe indigener Völker als gleichberechtigt mit nationalen Gesellschaften an. Um diesen Anspruch verwirklichen zu können, werden für indigene Völker spezifisch differenzierte Rechte als notwendig erachtet und in der Konvention dargelegt. Diese Rechte sind dabei keine Privilegien oder Sonderrechte, sondern allgemein geltende Menschenrechte, die an die besondere kulturelle und soziale Situation indigener Völker angepasst sind.
Bislang haben 23 der ILO-Mitgliedsstaaten die ILO-Konvention 169 ratifiziert – darunter Brasilien, Peru und die Niederlande[1].
Die insgesamt 44 Artikel der ILO Konvention 169 sollen indigenen Völkern eine Entwicklung ermöglichen, die ihren jeweiligen eigenen Prioritäten als indigenes Volk Rechnung trägt. Dazu gehören insbesondere die Rechte auf:
- volle und unterschiedslose Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 2 und 3);
- Erhalt der kulturellen Identität, gemeinschaftlichen Strukturen und Traditionen (Art. 4);
- Entwicklung und Gestaltung der eigenen Zukunft entsprechend eigener Prioritäten (Art. 6 und 7); unter anderem das Recht auf umfassende Beteiligung an Entscheidungen des Staates, die diese Völker direkt betreffen könnten;
- Gleichberechtigung vor Verwaltung und Justiz (Art. 8 und 9);
- Land und Ressourcen (Art. 13-19);
- Beschäftigung und kulturell angemessene Arbeitsbedingungen (Art. 20);
- Ausbildung und Zugang zu Kommunikationsmitteln (Art. 21).
Herzstück der ILO-Konvention 169 sind die Konsultations- und Partizipationsverfahren in den Artikeln 6 und 7, um Beteiligung und Mitsprache indigener Völker an Projekten zu gewährleisten, die sie betreffen. Dutzende indigener Völker konnten – vor allem vor dem Interamerikanischen Gerichtshof bzw. der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte, aber auch vor dem Afrikanischen Gerichtshof für die Rechte der Menschen und Völker – ihre Rechte auf Konsultation geltend machen. Dies hat einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung ihrer Menschenrechte und zum Schutz ihrer Gebiete geleistet.
Warum sollte die Bundesrepublik Deutschland die ILO 169 ratifizieren?
Völker oder Gemeinschaften, die als Rechtssubjekte für die ILO 169 in Frage kommen, fehlen in Deutschland.[2] Eine Ratifizierung ist dennoch völkerrechtlich relevant und sinnvoll, denn es existieren vielfältige Beziehungen zwischen indigenen Völkern und der Bundesrepublik Deutschland.
Die Bundesrepublik Deutschland nimmt für sich in Anspruch, an internationalen Prozessen zur völkerrechtlichen Standardsetzung maßgeblich beteiligt zu sein. Sie sollte daher daran interessiert sein, die unter ihrer Mitwirkung zustande gekommenen Standards zu ratifizieren und ihnen damit zu größerer internationaler Anerkennung zu verhelfen. Nicht zuletzt würde sich die Bundesrepublik zu einem internationalen Kontrollsystem bekennen und dieses zur Durchsetzung der Rechte indigener Völker nutzen können.
Dies erkannten Staaten, die wie die Niederlande, Spanien oder Luxemburg unter vergleichbaren Bedingungen die ILO-Konvention 169 ratifiziert haben, ebenfalls an.
Kurz und knapp
In diesem Kontext gewinnt die ILO-Konvention 169 mit jedem weiteren Signatarstaat an Gewicht. Gerade politisch und wirtschaftlich gewichtige Industriestaaten wie die Bundesrepublik Deutschland sind aufgefordert, mit der Ratifizierung diesen universell gültigen Normenkatalog zu stützen, der indigenen Völkern global vor allem den Zugang zu rechtsstaatlichen Garantien ermöglicht. Dies wäre nicht zuletzt ein Beitrag zur Bewältigung globaler Risiken – etwa in Fragen der Ökologie, des nachhaltigen Wirtschaftens und der Friedenssicherung.
Stand: Mai 2019
Wer wir sind
Der ILO 169-Koordinierungskreis ist ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Netzwerken und Expert*innen, welcher die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch Deutschland fordert.
Teil des ILO 169-Koordinierungskreis sind u.a. Brot für die Welt, Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Informationsstelle Peru e.V., Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie, Klima-Bündnis, Prof. Dr. René Kuppe; Maricheweu – für die Menschenrechte der Mapuche, Menschenrechte 3000 e.V., Dr. Othmar Noggler, Dr. Theo Rathgeber (Adivasi-Koordination in Deutschland e.V.), Dr. phil. Elisabeth Steffens, Survival International, urgewald
[1] Argentinien (1991), Bolivien (1991), Brasilien (2002), Chile (2008), Kolumbien(1991), Costa Rica (1993), Dänemark (1996), Dominica (2002), Ecuador (1998), Fidschi (1998), Guatemala (1996), Honduras (1995); Mexico (1990), Nepal (2007), Niederlande (1998), Nicaragua (2010), Norwegen (1990), Paraguay (1993), Peru (1994), Spanien (2007), Venezuela (2002), Zentralafrikanische Republik (2010), Luxemburg (2018)
[2] Minderheiten wie Roma, Saterfriesen oder Sorben identifizieren sich nicht als indigenes oder in Stämmen lebendes Volk unter der Konvention. Sie fallen unter die jeweiligen nationalen und die europäische Gesetzgebung für Minderheiten.
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