Die Minderheiten in West-Europa schlossen sich vor 70 Jahren in einem europäischen Dachverband zusammen: Die FUEN wurde 1949 in Versailles gegründete. Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges wuchs der Verein und hat mittlerweile über 100 Organisationen als Mitglieder, in 32 europäischen Ländern. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) war zum Jubiläumskongress des Dachverbandes der autochthonen Minderheiten und Sprachgruppen eingeladen.
von Jan Diedrichsen; Auf dem Foto: Roman Roblek (Referent der FUEN), Judit Šołćina (Leiterin des Minderheitensekretariats der Minderheiten in Deutschland in Berlin), Melek Kırmacı Arık (Türkische Minderheit in Griechenland), Jan Diedrichsen (GfbV)
Die FUEN (Federal Union of European Nationalities) feierte in Bratislava /Preßburg / Pozsony ihren 70. Geburtstag und wählte ein neues Präsidium. Die GfbV (Gesellschaft für bedrohte Völker) war eingeladen und nahm mit einer Delegation an dem viertägigen Treffen teil.
Die Minderheiten in Europa haben im Rahmen der Bürgerinitiative „Minority SafePack“ 1,2 Millionen Unterschriften gesammelt. Die GfbV hat sich aktiv an dieser einmaligen solidarischen Aktion beteiligt.
Das politische Hauptziel der FUEN ist es nun, die 1,2 Millionen Unterschriften der Bürgerinitiative in politisches Kapital umzumünzen. In Kürze werden die Unterschriften der Europäischen Kommission überreicht, mit der Forderung verbunden, die konkreten politischen Ziele gemeinsam mit den Minderheiten umzusetzen. Die GfbV wird das Vorhaben begleiten und weiter unterstützen. Bislang haben sich die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten, bis auf Sonntagsreden über die allgemeine Bedeutung von Sprachen- und Minderheitenvielfalt in Europa, nicht ernsthaft für die Forderungen der Minderheiten interessiert. Das soll sich nach Wunsch der FUEN und ihrer vielen Unterstützer nun endlich ändern. Der Jubiläumskongress in der Slowakei wurde genutzt, um an die Regierungen der EU-Staaten und die EU-Institutionen zu appellieren, sich endlich für einen aktiven Minderheitenschutz in ganz Europa einzusetzen.
Die Zusammenarbeit zwischen der FUEN und der GfbV ist in den letzten Jahren stetig gewachsen: In Berlin teilt sich die GfbV mit der FUEN und der YEN, der Jugendorganisation der Minderheiten in Europa, ein gemeinsames Büro.
Minority Monitor – GfbV beteiligt sich an neuem Minderheitenprojekt
Zum Kongress wurde das neuste Projekt der FUEN vorgestellt: der Minority Monitor. Die GfbV ist Partner des Vorhabens. Das Online-Tool ist als Plattform gedacht, um Fälle von Diskriminierung oder Verstöße von Minderheitenrechten zu bündeln und darzustellen. Die Plattform soll auch bewährte Praktiken verschiedener Minderheiten in Europa sammeln.
Die Website enthält bereits einige Beispiele, die in einer Podiumsdiskussion vorgestellt wurden: Melek Kırmacı Arık stellte einen Fall von Diskriminierung gegen die türkische Minderheit in Griechenland vor, der das Recht der türkischen Kinder auf Bildung in ihrer Muttersprache betrifft. Ein weiterer Fall wurde von Judith Scholze / Solcina über zweisprachige Schilder auf den deutschen Autobahnen vorgestellt. Jan Diedrichsen präsentierte den GfbV-Beitrag über die Sámi, die in den nördlichen Teilen Norwegens leben und unter Ökostromprojekten leiden, die ihre Rentierhaltung gefährden und ihre Landrechte missachten.
Der GfbV wird sich in Zusammenarbeit mit der FUEN mit weiteren Fallbeispielen an dem Minority Monitor beteiligen. Angedacht sind Berichte zur Lage der Krimtataren, der Situation der Katalanen und zum Antiziganismus in Europa.
Wahl des neuen Präsidiums
Zum Jubiläumskongress der FUEN wurde auch gewählt: Mit über 90% der Stimmen wurde der Ungar aus Rumänien, Lorant Vincze, als Präsident bestätigt. Einige Wochen zuvor, war Lorant Vincze über die Liste der Ungarn in Rumänien auch zum Abgeordneten des Europäischen Parlaments gewählt. Seine Arbeit in der EVP (der konservativen Fraktion) im Europäischen Parlament wurde auch kritisch hinterfragt.
Resolutionen
Die über 200 FUEN-Delegierten verabschiedeten insgesamt acht Resolutionen, die auf einige der zahlreichen Probleme der Minderheiten in Europa hinweisen.
Ein Dauerthema ist die skandalöse Minderheitenpolitik Griechenlands. Seit Jahrzehnten weigert sich das Land, die Minderheiten im Lande (unter anderem die türkische Minderheit, die Mazedonier, Pomaken) als solche überhaupt anzuerkennen. Griechenland weigert sich bis heute, den Standards des Europarates im Minderheitenbereich zu folgen.
Die türkische Minderheit in Griechenland machte in zwei Resolutionen auf die Situation im Bildungsbereich aufmerksam und die Weigerung der staatlichen Behörden adäquaten Unterricht in der Minderheitensprache zu gewährleisten bzw. zu erlauben.
Die russische Minderheit in Estland machte in einer Resolution auf die Diskriminierung der russischen Sprache in den estnischen Schulen aufmerksam. Die russische Minderheit macht eine „Estnisierung“ des gesamten Bildungssystems aus. Besonders kritisch ist die Situation in den weiterführenden Bildungseinrichtungen.
Die Mazedonische Minderheit in Albanien berichtete über die bislang erfolglosen Versuche, eine kulturelle Autonomie und Bildungsrechte zu erlangen. Für die mehrheitlich von Mazedoniern beheimateten Regionen Golo Brdo, Mala Prespa und Gora wird eine aktive Minderheitenpolitik gefordert.
Die Delegierten unterstützten auch eine vom Dachverband der Krimtataren eingereichte Resolution zur Anerkennung der Deportation der Krimtataren 1944 als Genozid am Krimtatarischen Volk. Die Delegierten forderten Regierungen und Parlamente in Europa auf, dieser Anerkennung zu folgen.
Die Mescheten erhielten die Unterstützung der Delegierten, bei ihrer Forderung, dass Georgien endlich eine ganzheitliche Minderheitenpolitik und einen Schutz und eine Förderung der Mescheten umsetzten müsse.
Die Pomaken forderten eine Anerkennung als autochthone Minderheit in Bulgarien; diese Forderung, gerichtet an die Regierung in Sofia, wurde von der Minderheitendelegierten ebenfalls unterstützt.
Lesen sie den Wortlaut der Resolutionen auf der Seite der FUEN.