Manchmal mag ich die Sinnsprüche meiner Großmutter richtig gern, zum Beispiel diesen: Was lange währt, wird endlich gut. Ganz besonders gilt dies zurzeit für das jahrzehntelange zähe Ringen um die Ratifizierung des „Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) vom 27. Juni 1989 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“, wie dieses Dokument offiziell heißt.
Von Yvonne Bangert, Referentin für indigene Völker; Foto: Anja Esch, Brot für die Welt (l) und Yvonne Bangert, GfbV (r) in Berlin
Mehrfach wurden Anträge unterschiedlicher Fraktionen an die aufeinander folgenden Regierungskoalitionen abgelehnt oder an die Ausschüsse überwiesen. Fast schien es wie eine never ending story. Doch der lange Atem sympathisierender Parlamentarier*innen und der Lobbyist*innen des Koordinationskreises ILO 169 zahlte sich aus. Plötzlich ging alles ganz schnell. Am 15. April 2021 kurz vor Ende der laufenden Legislaturperiode hat der Bundestag mit der Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes die Ratifizierung die Konvention 169 der ILO möglich gemacht.
Der Weg bis dahin war lang. Mehr als 20 Jahre hat die GfbV mit Lobbygesprächen und Pressearbeit, bei Tagungen mit indigenen und anderen Gästen im Rahmen der ILO-Koordination und in Dokumentationen oder mit Straßenaktionen um die Anerkennung dieser so wichtigen Konvention gerungen. Auch in den eigenen Reihen musste immer wieder Überzeugungsarbeit geleistet werden. Denn auch mancher GfbV-Entscheider verlor mit der Zeit die Zuversicht und musste immer wieder neu überzeugt werden, sich für dieses Ziel einzusetzen. Dabei ist die Konvention 169 der ILO das einzige internationale völkerrechtlich verbindliche Instrument für die Rechte indigener Völker.
Ich denke zurück an zahllose Treffen des Koordinationskreises ILO 169 in Plauen, Frankfurt, Kassel, Berlin oder Göttingen. Überall spielte Theo Rathgeber in seiner Zeit als GfbV-Referent für indigene Völker und danach eine ganz herausragende Rolle. Seine Schuhe, die ich Anfang der 2000-er Jahre übernahm, waren groß. Unvergessen auch Menschen wie Werner Aaron aus Münster, Aktivist von infoe und GfbV, der die Ratifizierung der Konvention zum festen Bestandteil zahlreicher Jahrestagungen bei der Evangelischen Akademie in Schwerte und anderswo machte und den Koordinationskreis ILO 169 dadurch konsolidierte und zusammenhielt. Er verstarb 2015.
Der Koordinationskreis ILO169 ist ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Netzwerken, und Expert*innen. Er hat sich die Stärkung der Rechte indigener Völker und der Menschenrechte sowie den Schutz der Regenwälder und den Klimaschutz zum Ziel gemacht. Von Anfang an hat die GfbV im Koordinationskreis aktiv mitgewirkt. Bis Mitte April 2021 hatten 23 Staaten die ILO-Konvention ratifiziert, darunter in Europa Norwegen, Dänemark, Luxemburg, Niederlande und Spanien. Nun kommt auch Deutschland hinzu.
Die Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern (ILO Konvention 169) ist ein wichtiger erster Schritt für die rechtliche Besserstellung der indigenen Völker, die immerhin ca. fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Wir freuen uns über diese Entscheidung, für die sich auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) lange und intensiv eingesetzt hat. Jetzt liegt es an uns, gemeinsam mit den Indigenen selbst und mit unseren Verbündeten in den Bereichen Menschenrechte und Klimaschutz auch den nächsten Schritt zu tun und das Abkommen in der Politik zu verankern. Damit kann Deutschland eine wichtige Signalwirkung haben für europäische Partnerstaaten, ebenfalls zu ratifizieren. Ein Anfang ist gemacht.
Jan Diedrichsen, Bundesvorsitzender, GfbV
Möglich war dieser Erfolg auch dank der Beharrlichkeit von Parlamentariern wie Thilo Hoppe, lange Jahre erst als entwicklungspolitischer Sprecher von Bündnis 90/ Die Grünen und dann als Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung DIE Stütze für indigene Menschenrechte im Bundestag. Kaum ein indigener Gast der GfbV den und die er in seiner Zeit als Parlamentarier in Berlin nicht empfangen und beraten hat. Margarete Bause (B90/Die Grünen) und Frank Schwabe (SPD) gehören ebenfalls in den Kreis derjenigen Abgeordneten, die für unsere Anliegen und die Rechte indigener Völker immer ansprechbar waren und sind. 2011 begleitete ich den brasilianischen Menschenrechtler Meirelles, der sich ganz besonders für die Rechte der in freiwilliger Abgeschiedenheit lebenden Indigenen im brasilianischen Bundesstaat Acre einsetzte, zu Terminen nach Berlin. Schon damals signalisierte mir Karin Roth (SPD), Mitglied im Entwicklungsausschuss, dass die SPD zu der Ratifizierung stehe und eine neue Initiative vorbereite. Sie gehört zu den Unterzeichner*innnen eines Antrags der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD vom 25.05.2011 „Rechte indigener Völker stärken – ILO-Konvention 169 ratifizieren“.
Vor der Bundestagswahl 2017 forderten wir mit unserer Wahlprüfstein-Kampagne alle demokratischen Parteien auf, ihre Position zur Konvention 169 der ILO und den Rechten indigener Völker zu erläutern. Wir wollten wissen: Was werden Sie tun, um deutsche Unternehmen zu verpflichten, bei ihren Projekten die Menschenrechte indigener Völker zu respektieren? Wie werden Sie indigene Völker darin unterstützen, ihre Rechte gegenüber deutschen Unternehmen wahrzunehmen?
Der im vergangenen Jahr unerwartet verstorbene Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) antwortete uns unter anderem: „Die ILO-Konvention 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker ist das einzige völkerrechtlich verbindliche Dokument, das die Rechte indigener Völker weltweit und umfassend anerkennt. Wegen dieser besonderen Bedeutung der Konvention befürwortet die SPD ihre Ratifizierung. Die Union hat dies jedoch abgelehnt, obwohl 2015 auch der Bundesrat die Regierung zur Ratifizierung aufgefordert hatte“. Offensichtlich wurde danach einiges an Überzeugungsarbeit geleistet, denn nach der Bundestagswahl vom September 2017 war die Ratifizierung dann Bestandteil des Koalitionsvertrages von CDU/CSU und SPD.
Der Bundestag hat am Donnerstag, 15. April 2021, einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vom 27. Juni 1989 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern (19/26834) ratifiziert. Der Entwurf wurde mit der Mehrheit von CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD angenommen. Der Entscheidung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (19/27894) zugrunde.
Das Gesetz, das am 15.4. zur Abstimmung kam, schafft die Grundlage dafür, dass das „Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ von der Bundesrepublik ratifiziert werden kann. Es fehlt nur noch die Unterschrift des Bundespräsidenten und die Hinterlegung des Dokumentes bei der ILO in Genf. Die Ratifizierung darf aber nur ein erster Schritt sein. Jetzt müssen wir gemeinsam mit unseren Partnern bei den Indigenen und im Koordinationskreis ILO169 diese Entscheidung mit Leben füllen und den Geist der Konvention in der deutschen Politik verankern. Und wir müssen die Bewegungen unterstützen, die eine Ratifizierung auch in anderen Staaten erreichen wollen.
Zum Weiterlesen:
GfbV-Pressemeldung vom 15.4.21
https://www.gfbv.de/de/news/der-lange-atem-hat-sich-ausgezahlt-10485/
https://www.brot-fuer-die-welt.de/blog/2021-der-schutz-der-rechte-indigener-voelker-deutschland/