Verhaftete Bürgermeister in der Türkei: „Wir sollten ihnen Halt und Kraft geben“

Anfang November wurden Selahattin Demirtas, Chef der prokurdischen Oppositionspartei HDP und einer der populärsten Politiker der Türkei, und viele andere seiner Parteikolleginnen und Kollegen, die durch demokratische Wahlen ins türkische Parlament gewählt worden sind, verhaftet. Es war ein weiterer Schlag Erdogans gegen demokratisch gewählte kurdische Repräsentanten. Der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Hannover will das nicht einfach so hinnehmen.

Foto: pixabay.com (bearbeitet)

Mit einer Welle der Repression will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Macht festigen. Zehntausende Lehrer, Journalisten und Politiker wurden entlassen, festgenommen oder inhaftiert. Auch die Hoffnungen der Kurden, der Aleviten, der assyrisch-aramäischen und armenischen Christen auf Gleichberechtigung und Mitbestimmung, echte Demokratie und Meinungsfreiheit sollen erstickt werden. Es ist ein gefährliches Spiel, das der türkische Präsident spielt. Wenn die versöhnlichen Stimmen in der Türkei zum Schweigen gebracht werden, wird der Kurdenkonflikt erneut zu einem blutigen Krieg eskalieren.

Deswegen hat unsere Menschenrechtsorganisation, die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), alle Abgeordneten im Bundestag, in den Parlamenten der Bundesländer und alle deutschen Europaparlamentarier in dringenden Schreiben darum gebeten, sich für die Freilassung des inhaftierten Vorsitzenden der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas, und seiner Parteikollegen einzusetzen. Auch baten wir Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland, beim deutschen Städtetag einen gemeinsamen Appell an die türkische Regierung zu richten, die ebenfalls verhafteten kurdischen Bürgermeister freizulassen. Zu ihnen zählen die Oberbürgermeisterin der kurdischen Großstadt Diyarbakir Gültan Kisanak oder auch die einzige christliche Bürgermeisterin der Türkei (Mardin) Februniye Akyol und ihr kurdischer Kollege Ahmet Türk.

Einer, der wie wir die Verhaftungen und Entlassungen von Bürgermeistern in der Türkei nicht einfach hinnehmen möchte, ist der ehemalige Oberbürgermeister der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover Herbert Schmalstieg. Schmalstieg verfasste einen Aufruf, in dem er die prekäre Lage der Menschenrechte in der Türkei verurteilt und zur Solidarität mit den inhaftierten Volksvertretern in der Türkei auffordert:

22.11.2016

Liebe Freundinnen und Freunde,

täglich gibt es neue schreckliche Meldungen aus der Türkei. Erdogan und sein Regime kennt keine Grenzen. Täglich neue Verhaftungen und Schließungen von Vereinen und Einrichtungen.

Gestern und heute hatte ich direkten Kontakt zu Freunden in Diyarbakir und Mardin. Die Lage ist bedrückend. In Diyarbakir ist die Stadtverwaltung total ausgewechselt. Die Mitarbeiter haben Arbeitsstelle und Beamtenstatus verloren. Die Co- Bürgermeister ist weiter in Haft.

Wir sollten ihnen Halt und Kraft geben und an sie schreiben. Selbst, wenn sie die Briefe nicht erhalten, wird es dort registriert. Es sollten auch Anträge auf Besuchserlaubnis gestellt werden.

Die Regierung verweigert das bisher, aber es muss öffentlich Druck gemacht werden. Gestern erst wurde dies zum Beispiel EU-Politikern, die den HDP-Vorsitzenden Demirtas besuchen wollten, nicht gestattet. Die sozialdemokratischen Abgeordneten des EU-Parlaments aus fünf verschiedenen Ländern wurden daran gehindert, sich dem Gefängnis in Edirne zu nähern.

In Mardin wurden gestern der Bürgermeister Ahmet Türk, die Co-Bürgermeisterin und weiter 30 Personen festgenommen, die Verwaltung wird zurzeit durch Polizei und Militär „gesäubert“. Heute wurden weitere 420 Mitarbeiter der Stadtverwaltung entlassen, weitere Verhaftungen fanden statt, dem Bürgermeister werden Medikamente verweigert, Familienangehörige, die ihren inhaftierten Verwandten Kleidung bringen wollen, werden beschimpft, beleidigt und bedroht.

Außerdem hören wir, dass heute wieder 100.000 Verwaltungsangehörige entlassen, über 350 Vereine und Einrichtungen und weitere Regionalzeitungen geschlossen worden sind.

Wir sollten weiter die Verantwortlichen in Stadt, Region, Land und Bund auffordern, gegen diese antidemokratischen Verhaltensweisen schärfstens zu protestieren.

Mit herzlichen Grüßen

Herbert Schmalstieg

Hier die Gefängnisanschriften von der Bürgermeisterin von Stadt Diyarbakir Gültan Kisanak und ihres Kollegen Firat Anli:

Gültan Kisanak

Kandira 1Nolu F Tipi Yüksek Güvenlikli Kapali Cezaevi

Kandira/Kocaeli

Firat Anli

Kandira 2 Nolu F Tipi Yüksek Güvenlikli Kapali Cezaevi A 11/31

Kandira/Kocaeli

PS: Wenn wir die Anschrift von Ahmet Türk erhalten, reiche ich sie nach.


Die Bundesregierung muss auf die Türkei einwirken, die Rechte der Kurden und anderer Minderheiten im eigenen Land zu respektieren und zu einem friedlichen Miteinander zu finden. Unterschreibt unsere Petition „Türkei: Frieden JETZT!“. Erhöhen wir den gemeinsam den Druck! Hier könnt ihr unterschreiben: Türkei: Frieden JETZT!


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