Die Zeit läuft ab!

Donald Trumps Wahl zum nächsten US-Präsidenten hat international für Wirbel gesorgt. Den Native Americans bereitet sie große Ängste. Viele von ihnen befürchten, dass ihre Rechte unter Trumps Präsidentschaft noch weniger respektiert werden. Außerdem ist Trump finanziell am Bauträger der Dakota Access Pipeline in North Dakota beteiligt, gegen die Native Nations aus den ganzen USA und ihre Unterstützer rund um das Reservat der Standing Rock Sioux protestieren. Und auch die Zukunft des indigenen Bürgerrechtlers Peltier sieht unter Trump düster aus. Eine Begnadigung durch Präsident Obama ist seine letzte Chance.

von Yvonne Bangert; Foto: Entienou via iStock

Berlin, 17. November 2016. Unter den Augen von ringsum auf Hochhausdächern postierten Scharfschützen trotzen wir Wind und Wetter und halten unter vollem Körpereinsatz in jeder Windböe die großen Banner unter Kontrolle, auf denen wir die Freiheit von Leonard Peltier fordern. Von unserem Standort aus können wir auch die Polizeihubschrauber beobachten, die über dem Regierungsviertel kreisen. Dort ist gerade Noch-Präsident Barack Obama zu Besuch bei Kanzlerin Merkel. Wir nutzen den Besuch des Präsidenten für eine Mahnwache, während der wir uns unter dem Motto „Bevor Donald Trump kommt: Bitte schenken Sie Leonard Peltier die Freiheit, Präsident Obama“ für die Begnadigung des indigenen Bürgerrechtlers Leonard Peltier (72) einsetzen.

Für uns und viele Unterstützer von Peltier ist klar: Die Amtszeit von Obama läuft ab, die Lebenszeit von Peltier läuft aus, mit Trump ist alles zu spät. Es ist vielleicht etwas provokant, es so direkt auszudrücken, aber die Aussage trifft für die Native Americans den Kern ihre Existenznöte. Unter einem Präsidenten Trump haben sie nichts Gutes zu erwarten. Und auch die Begnadigung von Leonard Peltier, der seit über 40 Jahren unschuldig in Haft sitzt, scheint unter Trump illusorisch. Für den schwerkranken Peltier ist das Erbarmen von Barack Obama wohl die letzte Chance, das Gefängnis lebend zu verlassen. Seine nächste Anhörung für eine vorzeitige Entlassung zur Bewährung ist erst 2024. Da wäre Peltier bereits 80!

Auch in den USA nehmen die Unterstützer Peltiers Anlauf zu einer letzten großen Anstrengung, um doch noch Gehör bei Barack Obama zu finden und ihn zu einem Gnadenakt zu bewegen. Vom 4. bis 10. Dezember 2016 findet dort die „2016 Human Rights Week: Indigenous Rights and Clemency for Leonard Peltier“ statt. Tag für Tag werden die Aktivisten Mahnwachen vor dem Weißen Haus abhalten. Zudem gibt es am 9. und 10. Dezember Tagungen, die sich mit indigenen Rechten, Umweltfragen – darunter mit Sicherheit auch die Dakota Access Pipeline – und mit Haftbedingungen in US-Gefängnissen befassen. „Wir sind da, wir leben noch und wir wollen, dass Leonard Peltier frei ist“, lautet die Botschaft.


Wir erklären die Hintergründe zum “Fall Peltier”:


Peltier selbst hat bei seinem neuesten Rundbrief an seine Unterstützer am 24. November 2016 ebenfalls den Konflikt um den Bau der Pipeline am Rande des Standing Rock Sioux Reservates in North Dakota thematisiert:

„Ich beobachte die Ereignisse in Standing Rock mit Stolz, aber auch mit Sorge. Stolz, weil unsere Leute und ihre Verbündeten sich erheben und ihr Leben aufs Spiel setzen für die kommenden Generationen, nicht weil sie es wollen, sondern weil sie es müssen. Und es ist richtig, dass sie es mit friedlichen Mitteln tun. Wasser IST Leben und wir dürfen es nicht einfach unseren Kindern und Enkeln überlassen, sich darum zu kümmern – in einer Zeit, in der es der Natur sehr viel schlechter gehen wird als schon jetzt. Und ich bin in großer Sorge um die „water protectors“ in Standing Rock, denn in den letzten Tagen ist die Reaktion der Polizeikräfte sehr viel härter geworden und unsere Leute leiden.

Immerhin haben sie jetzt endlich die Aufmerksamkeit der nationalen Medien.

North Dakota ist meine Heimat. Die Leute von Standing Rock sind meine Leute. Sitting Bull ist dort in Fort Yates begraben. Mein Zuhause bei Turtle Mountain liegt nur wenige Stunden nördlich von Standing Rock, unmittelbar südlich der Grenze zum kanadischen Manitoba. Ich bin dort seit meiner Kindheit nicht mehr gewesen, aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, für die Lebenszeit, die mir noch bleibt, dorthin zurück zu kehren. Das Land gehört meinem Vater und ich würde gern wieder dort leben. — Und dort sterben.

Dieses Jahr fühlt sich für mich anders an. Vor 16 Jahren habe ich mich schon einmal so gefühlt, als ich zuletzt eine wirkliche Chance auf Freiheit hatte. Es ist ein unsicheres, ungutes Gefühl. Es fällt mir schwer, die Hoffnung in mein Herz und meinen Geist eindringen zu lassen, hier in diesen kalten Gebäuden aus Stein und Stahl.

Einerseits ist Hoffnung ein freudiges und wundervolles Gefühl, aber wenn sie enttäuscht wird, kann das für mich grausam und bitter sein. Aber heute werde ich mich für die Hoffnung entscheiden.

Ich bete dafür, dass ihr alle gesund seid und euch gut fühlt und ich danke euch aus tiefstem Herzen für alles, was ihr für mich und unsere Mutter Erde getan habt und weiterhin tut.

Bitte schließt mich in eure Gebete und Gedanken ein, während die letzten Tage des Jahres 2016 allmählich vergehen.

Ich sende Euch meine Liebe und meinen Respekt allen, die ihr Euch im Namen von Mutter Erde und den noch ungeborenen Generationen versammelt habt. Im Geiste bin ich bei Euch.

Doksha

In the Spirit of Crazy Horse

Leonard Peltier”


Mehr zu Peltier und der Lage in den Protestcamps gegen die Dakota Access Pipeline:

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„Ich beginne zu erkennen, dass die Zeit mir entgleitet“

Trauer um Vivian – Brief aus dem Gefängnis von Leonard Peltier

[Zur Autorin]

YVONNE BANGERT ist seit mehr als 30 Jahren für die GfbV in Göttingen tätig, zunächst als Redakteurin der Zeitschrift “pogrom“ und der Internetseiten, seit 2005 als Referentin für indigene Völker.

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