„Ich beginne zu erkennen, dass die Zeit mir entgleitet“

Vor 40 Jahren änderte ein einziger Tag des Leben des Indigenen Bürgerrechtlers Leonard Peltier. Eine Schießerei, ein unfairer Prozess und ein Leben im Gefängnis folgten. Anlässlich des traurigen Jahrestages der Schießerei hat Peltier einen Rundbrief veröffentlicht, den GfbV-Referentin für indigene Völker, Yvonne Bangert, in gekürzter Version übersetzt hat.

von Yvonne Bangert; Foto: Thomas Hawk

Seit fast 40 Jahren sitzt der indigene Bürgerrechtler Leonard Peltier in US-amerikanischen Gefängnissen, ohne je einen fairen Prozess bekommen zu haben.  Am 26. Juni 1975 kam es im Pine Ridge Reservat in Süd Dakota zu jener schicksalhaften Schießerei, bei der eine junger Indigener und zwei FBI-Beamte zu Tode kamen und die das Leben von Leonard Peltier von Grund auf änderte. Wegen Mordes, an den beiden Polizisten, später Beihilfe zum Mord, wurde Peltier 1977 zu zwei lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Obwohl mittlerweile  bekannt ist, dass Zeugenaussagen vom FBI erpresst wurden und es keine Beweise  für eine Schuld Leonard Peltier gibt, ist der Bürgerrechtler bis heute inhaftiert.

40 Jahre – das ist eine kaum vorstellbare Dimension der Zeit. Vor 40 Jahren habe ich gerade mein Abitur gemacht, fing eben an, mich für die Menschenrechte von Minderheiten zu engagieren. Viele, die dies lesen, waren damals noch nicht mal geboren. Wie lebt man damit, so lange unschuldig gefangen  zu sein? Kinder und Enkel nicht groß werden zu sehen? Leonard Peltier beschreibt sein Leben im Gefängnis durch Rundbriefe, die er zu besonderen Anlässen über sein Verteidigerkomitee verbreiten lässt. So auch dieses Jahr zum 26. Juni, dem 40. Jahrestag der Schießerei. (gekürzte Übersetzung)

„26 Juni 2015

Seid gegrüßt, meine Verwandten und Freunde,

In diesem Jahr gilt meine besondere Sorge unseren Kindern, die sich selbst das Leben nehmen. Dies macht mich ebenso traurig wie euch und ich weiß, dass es viele Gründe dafür gibt, dass sie eine solche Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit empfinden. Und ich kann jeden von uns nur bitten und ermutigen, unsere Anstrengungen, ihnen Liebe und Unterstützung zu zeigen, zu verdoppeln. Lasst sie wissen, dass wir uns um sie kümmern und sie immer schützen werden. Das bedeutet auch, große Brüder und Schwestern aufzufordern, dass sie sich um die jüngeren kümmern. Sie sind unsere Zukunft und brauchen Schutz und müssen zugleich lernen, selbst Schutz zu geben. Wir dürfen uns [mit der hohen Zahl an Suiziden] nicht einfach abfinden, sondern müssen gemeinsam daran arbeiten, es zu ändern.

Fast noch wichtiger ist es in diesem Jahr, dass wir uns zusammenschließen, um unsere Souveränität zu schützen. Wir kämpfen noch immer um unser Heimat, unsere Black Hills, und darum, die XL Pipeline zu stoppen, damit sie unser Wasser und unser Land nicht vergiftet. In diesem Kampf stehe ich an der Seite der Lakota, Dakota und Nakota – Nationen und aller Gleichgesinnten. Die Zerstörung unserer Mutter Erde durch das toxische Öl aus Teersand, durch Fracking, die Förderung von Öl und Gas, durch den Uranbergbau ist für mich und uns nicht akzeptabel. Es ist unsere Aufgabe, unsere Mutter zu schützen, auch wenn andere uns daran hindern wollen. Alle Verwandten, die in diesem Kampf in vorderster Linie stehe, halte ich in Ehren.

Leonard Peltier während eines Gesprächs mit dem Journalisten und Autor Claus Biegert. Biegert setzt sich seit langem schon für die Freilassung von Peltier und wurde vor allem durch Veröffentlichungen über seine Recherchen bei Native Americans in den USA und in Kanada bekannt. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Claus Biegert

Und trotz allem, was ich in den vergangenen 40 Jahren erlebt habe, hat mich die Bedrohung der Apachen von Oak Flats [durch den Plan, dort die heilige Erde für den Bergbau zu opfern,] schockiert. Das darf nicht sein! Hier geht es nicht nur um Gewinnsucht auf Kosten der heiligen Stätte eines Stammes, sondern es ist ein neuer Versuch, uns zu enteignen, indem unsere Rechte als souveräne Nationen ignoriert werden. Das werden wir nicht zulassen! Diesen Leuten ist gar nichts heilig und sie werden uns auch weiterhin wegbaggern, ohne einen Gedanken an die künftigen Generationen zu verschwenden, wenn wir ihnen nicht weiterhin Widerstand leisten.

Ich habe in diesen Jahren im Gefängnis viel über die Zeit gelernt. Und ich beginne zu erkennen, dass die Zeit mir entgleitet und ich weiß, wenn ich nicht unter diesem Präsidenten rauskomme, werde ich fast sicher hier im Gefängnis sterben.

Ich habe überleben können mit der Hoffnung, die ihr mir gegeben habt und mit euren Gebeten und ich bin für diese Hilfe von euch allen dankbar. Ich bete immer wieder für die Familie meines Bruders Joe Stuntz [der ebenfalls bei der Schießerei zu Tode kam] und für alle, die in diesen bitteren Zeiten vor 40 Jahren einen so hohen Preis zahlen mussten. Und ich bete für die Familien von euch allen, die ihr so viel gelitten habt und noch immer leidet.

Ich sende meine Liebe an alle Angehörigen der Lakota-Nation und an alle Indigenen

In the Spirit of Crazy Horse…

Doksha,

Leonard Peltier“

Spenden für die Verteidigung von Leonard Peltier an den Förderverein für bedrohte Völker, IBAN: DE 89 2001 0020 0007 4002 01 – BIC: PBNKDEFF – Postbank Hamburg – Betreff: Peltier

Mehr Infos bei http://www.gfbv.de -Suchwort Peltier und bei http://www.whoisleonardpeltier.info/ (contact@whoisleonardpeltier.info)

[Zur Übersetzerin]

YVONNE BANGERT ist seit mehr als 30 Jahren für die GfbV in Göttingen tätig, zunächst als Redakteurin der Zeitschrift “pogrom“ und der Internetseiten, seit 2005 als Referentin für indigene Völker.

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