Der Handel und die Menschenrechte: Die Forderungen indigener Bevölkerung zum EU-Mercosur-Abkommen

Vergiftungen durch Pestizide, illegale Landnahme, Menschenrechtsverletzungen, Entwaldung und Umweltzerstörung – all diese Probleme werden durch das EU-Mercosur-Abkommen zunehmen. Die indigene Bevölkerung hat daher Bedingungen für die Ratifizierung des Abkommens.

Von Leonie Buß; Foto: Hanno Schedler/ GfbV 2020

Bio-Ethanol wird als nachwachsende Alternative zu fossilen Brennstoffen dargestellt, doch für das indigene Volk der Guarani-Kaiowá im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul ist es die Manifestierung zahlreicher Bedrohungen: Das Unternehmen Raízen nutzte zur Herstellung seines Bio-Ethanols Zuckerrohr, das illegal auf den Territorien der Guarani-Kaiowá angebaut wurde. Doch nicht nur das Land wurde den Indigenen genommen: Durch den Zuckerrohr-Anbau waren sie auch Angriffen durch Sicherheitskräfte und Vergiftungen durch den Einsatz von Pestiziden ausgesetzt.

Fälle wie dieser – die illegale Inbesitznahme indigenen Landes, Menschenrechtsverletzungen, Vertreibungen, Umweltzerstörung, die Vergiftung durch Pestizide – sind mit der Wahl von Jair Bolsonaro zum Präsidenten Brasiliens gestiegen. Durch die Ratifizierung des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens würden sie noch häufiger werden.

Warum ist das Abkommen problematisch?

Im Juni 2019 fanden die Verhandlungen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten (also Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) einen Abschluss. Nun soll das Abkommen ratifiziert werden. In seiner jetzigen Form würde es jedoch nicht nur europäischen Verbraucher*innen und Landwirt*innen schaden, sondern auch die Situation der indigenen Bevölkerung Brasiliens immens verschärfen und schon jetzt bestehende Bedrohungen und Gefahren signifikant erhöhen. Die über Landnahme in Besitz genommenen Gebiete werden vor allem zur Haltung von Rindern sowie zum Anbau von Soja und Zuckerrohr verwendet. Die EU ist der zweitgrößte Absatzmarkt der Mercosur-Staaten und gerade einmal 13 Prozent der Sojaimporte in die EU gelten als entwaldungsfrei – damit ist die EU maßgeblich mitverantwortlich für Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen in den Mercosur-Ländern.

Durch das Freihandelsabkommen könnten diese Zustände noch verschlimmert werden. Durch die Senkung von Zöllen und die Einführung von Quoten würde die Menge der Importe steigen. Gleichzeitig weist das Abkommen große Defizite in Bezug auf den Schutz von Menschenrechten und Umwelt auf. Eine Klausel zum Schutz von Menschenrechten, die bei solchen Abkommen normalerweise üblich ist, wurde komplett weggelassen. Auch für den Umgang mit Menschenrechtsverletzungen im Fall von Landkonflikten sind keine effektiven Regelungen festgelegt. Andere entscheidende Kapitel, zum Beispiel in Bezug auf Nachhaltigkeit und die Nachvollziehbarkeit und Kontrolle von Lieferketten, sind wirkungslos, da sie vom Streitschlichtungsmechanismus des Abkommens ausgenommen sind.

Was fordern die Indigenen?

Es ist daher nicht überraschend, dass die geplante Ratifizierung des Abkommens die Indigenen in Alarmbereitschaft versetzt hat. Da die Chance auf eine Entscheidung gegen das Abkommen in den Mercosur-Staaten noch geringer als in der EU ist, versucht die APIB (Articulação dos Povos Indigenas do Brasil, Artikulation der Indigenen Völker Brasiliens), in der die indigenen Völker Brasiliens organisiert sind, durch die Zusammenarbeit mit Organisationen wie der Gesellschaft für bedrohte Völker auf die Zivilgesellschaft, die Abgeordneten im EU-Parlament sowie die Regierungen der EU-Länder einzuwirken.

Um ihre Position zu verdeutlichen, haben sie sieben Bedingungen aufgestellt, deren Erfüllung für sie die notwendige Voraussetzung zur Ratifizierung des Abkommens ist. An oberster Stelle steht dabei ein Moratorium zur Entwaldung des Amazonas-Gebietes, um die Entwaldung zu stoppen. Außerdem fordern sie die konsequente Umsetzung von Brasiliens Waldgesetzbuch, besonders der Regeln zur Bestrafung illegaler Landnahme, sowie die Wiederaufnahme des Aktionsplans zur Verhinderung und Kontrolle von Entwaldung in Amazonien (PPCDAm), der von Bolsonaro zurückgestellt wurde. Beide Regelwerke haben striktere Festlegungen zum Schutz des Regenwaldes, als in der Realität gewährleistet wird. Ursachen dafür sind die riesige Fläche des Regenwaldes und die Unterfinanzierung der verantwortlichen Behörden. Aus diesem Grund sind weitere Forderungen der APIB die Stärkung der brasilianischen Behörden, die die Einhaltung von Gesetzen zu Menschenrechten und Umwelt garantieren sollen, sowie eine Erhöhung der Strafen für Umweltverbrechen und Entwaldung.

Besonders wichtig ist auch die Forderung, die Demarkation des Landes von Indigenen und Quilombolas (Nachfahren geflüchteter ehemaliger afroamerikanischer Sklav*innen) fortzuführen. Mit der Demarkation von Land werden die Rechte indigener Gemeinschaften über ihr Land anerkannt und die indigenen Territorien werden vor äußeren Einflüssen und Entwaldung geschützt – zumindest in der Theorie. Unter Bolsonaro wurde die Demarkation weiterer Gebiete jedoch komplett ausgesetzt; in bestimmten Fällen wird sogar überprüft, sie rückgängig zu machen.

Als weitere Voraussetzung zur Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens sieht die APIB die Schaffung von Lieferkettengesetzen sowie die transparente Darstellung von Daten zu Entwaldung und Pachtverhältnissen. Ohne solche Regeln sind die Wege der angebauten Produkte kaum nachvollziehbar – und auch die Durchsetzung von Gesetzen zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt ist ohne transparente Lieferketten viel schwieriger. Es erscheint wie eine logische Voraussetzung einer Vertiefung der Handelsbeziehungen zwischen der EU und Mercosur, dass die Wege der Waren dafür offen nachverfolgbar sein müssen.

Würden diese Bedingungen im Rahmen des Abkommens umgesetzt werden, wäre das eine große Verbesserung. Die Kapitel zu Nachhaltigkeit und Menschenrechten im Abkommen müssen verschärft werden; und die Bedingungen der APIB sind eine Voraussetzung dafür, dass im Abkommen festgelegte Regeln überhaupt befolgt werden können. Die Stimme der APIB muss in Europa unbedingt Gehör finden.

Denn es sind zwar in den letzten Monaten immer mehr kritische Stimmen zum EU-Mercosur-Freihandelsabkommen laut geworden – sogar Regierungschefs wie Angela Merkel und Emmanuel Macron zeigen Zweifel. Doch dabei bleibt offen, ob bei einer Überarbeitung des Abkommens indigene Rechte und Interessen ausreichende Berücksichtigung finden würden.

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