Katalonien: Dialog statt Repression

Mehr Selbstbestimmung für Katalonien ist seit Jahren ein großer Streitpunkt zwischen Barcelona und Madrid. Nach einem Referendum für die Unabhängigkeit Kataloniens im Jahr 2017 eskalierte der Konflikt: mehrere Aktivist*innen und Politiker*innen wurden verhaftet und zu unproportional hohen Haftstrafen verurteilt. Oft wurde von spanischer Seite ein politischer Dialog versprochen; eine zeitnahe und angemessene Umsetzung blieb jedoch aus. Was genau ist passiert? Und was tut die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)?

Von Paula Fischer; Foto: Jordi Ventura/Assemblea.cat via Flickr CC BY-NC 2.0

Die Menschenrechtssituation in Katalonien ist in deutschsprachigen Medien zurzeit nicht mehr präsent und das obwohl die Situation bis heute problematisch bleibt. Daher machte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in den vergangenen Wochen auf Twitter, Instagram und Facebook erneut auf die inhaftierten Aktivist*innen der Unabhängigkeitsbewegung aufmerksam. In der Social Media-Kampagne „#DialogStattRepression“ stellten wir Einzelschicksale aus Katalonien vor und forderten eine politische Lösung für den Konflikt. Die GfbV vertritt die Überzeugung, dass die Kriminalisierung der Unabhängigkeitsbewegung und die Verwehrung von Meinungs-und Versammlungsfreiheit keine Lösung für den Konflikt bringen kann.

Hintergründe des Konflikts

Katalonien ist eine autonome Gemeinschaft im Nordosten Spaniens. Mehr Selbstbestimmung und sogar Unabhängigkeit ist seit Jahrzehnten ein Wunsch vieler Katalan*innen. Grund hierfür sind sprachliche, kulturelle und historische Unterschiede. Seit einigen Jahren spitzte sich der Konflikt zwischen Katalonien und Spanien weiter zu. Es kam immer wieder zu Demonstrationen. Unser Video erklärt weitere Hintergründe.

Den Höhepunkt fand der Katalonien-Konflikt am ersten Oktober 2017. An diesem Tag hielt das katalanische Regionalregierung ein Referendum ab, um über die Unabhängigkeit Kataloniens abzustimmen. Spanien hatte dies zuvor verboten, doch einige Politiker*innen setzten sich über dieses Verbot hinweg und führten das Unabhängigkeitsreferendum trotzdem durch. Spanische Sicherheitskräfte gingen hart gegen das Vorhaben vor, unter anderem wurden etliche Schulen abgeriegelt, die als Wahllokale dienen sollten. Bei dem Versuch der Polizei, das Referendum zu verhindern, wurden über 800 Menschen, darunter elf Sicherheitskräfte, verletzt. Knapp eine Million Katalan*innen demonstrierten gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte und der spanischen Regierung. Vor und nach dem Referendum gab es Demonstrationen, hierbei waren Anhänger*innen der Unabhängigkeitsbewegung vertreten, aber auch Gegner*innen trieb es auf die Straßen. Es kam zu erneuten Ausschreitungen.

Bei dem Referendum stimmten 90% der Menschen für die Unabhängigkeit Kataloniens. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass aufgrund der Polizeisperren und des Aufrufs Spaniens nicht zu wählen, nicht alle Katalan*innen an der Wahl teilgenommen haben. Laut offiziellen Quellen lag die Wahlbeteiligung bei rund 42%. Am 27. Oktober rief dann die Regionalregierung Kataloniens die Unabhängigkeit aus – obwohl die spanische Regierung das Referendum für ungültig erklärt hatte.

In den Wochen nach dem Referendum wurden zunächst die beiden Präsidenten der größten zivilgesellschaftlichen Organisationen, Jordi Sànchez und Jordi Cuixart, festgenommen und wegen „Rebellion“ und „Aufruhr“ angeklagt. Danach folgte am 02. November 2017 die Festnahme von acht Minister*innen der Regionalregierung sowie Vize-Präsident Oriol Junqueras. Regionalpräsident Carles Puigdemont floh, um einer Festnahme zu entgehen. Auch Abgeordnete aus dem katalanischen Parlament erhielten Anklagen, darunter die Parlamentspräsidentin Carme Forcadell. Die Anklagepunkte für die Politiker*innen lauteten „Rebellion“, „Aufruhr“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“. 

Repressionen gegen die Zivilgesellschaft

Nach den Verhaftungen wechselte der Fokus der Demonstrierenden auf den Umgang der spanischen Regierung mit den katalanischen Aktivist*innen und Politiker*innen. Besonders die Festnahme der beiden Präsidenten der zivilgesellschaftlichen Organisationen sorgte für einen großen Aufschrei in Teilen der katalanischen Bevölkerung. Sie hatten Proteste organisiert, also von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch gemacht und dabei nicht zu Gewalt aufgerufen. Tausende gingen auf die Straßen, um die Freilassung der Inhaftierten zu fordern. Allerdings nahm die spanische Regierung dies als Anlass, um weitere Aktivist*innen zu verhaften. Ein erhoffter offener politischer Dialog blieb weiter aus.

Eine der Aktivist*innen, die wegen Demonstrationen zur Freilassung der inhaftierten Katalan*innen verhaftet wurde, ist Tamara Carrasco. Sie war aktiv in einer lokalen Bürgerbewegung (CDR genannt) und organisierte Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie beispielsweise Straßenblockaden. Im April 2018 durchsuchten Sicherheitskräfte ihr Haus und beschlagnahmten Materialien. Die Anklage der spanischen Regierung gegen Tamara Carrasco lautete „Rebellion“, „Aufruhr“ und „Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation“. Der Nationale Gerichtshof von Spanien, der für Terrorismusfälle zuständig ist, veranlasste ihre Inhaftierung. Zwei Tage später stellte ein Richter die Anklagepunkte in Frage, da sie nicht mit Gewalt gehandelt oder dazu aufgerufen hatte. Er ordnete ihre Freilassung an. Allerdings wurde sie nicht freigesprochen, sondern vorerst unter Stadtarrest gestellt. Dort verweilte sie bis zum 30. Mai 2019. Lange hatte sich kein spanisches Gericht für ihren Fall zuständig erklärt. Erst im Oktober dieses Jahres gab es dann den Freispruch für Tamara Carrasco.    

Tamara Carrasco, Foto: CC BY-SA 2.0 (Wikipedia)

Für viele Katalan*innen war ihre Festnahme und besonders der Terrorismusvorwurf schockierend, da sie friedlich agierte. Im Gegensatz zu den anderen Inhaftierten trug sie weder politische Verantwortung noch leitete sie eine Organisation. Dies bereitete vielen Sorge, denn für die Aktivist*innen schien es, als könnte es jede*n treffen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International befürchtete, dass ebendiese Sorge Menschen davon abhalten könnte, an zukünftigen Demonstrationen teilzunehmen. Dieser Effekt wird von Amnesty auch als „Chilling Effect“ bezeichnet.

Ein umstrittenes Urteil

Im Jahre 2018 veröffentlichte die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Verhaftungen einen Bericht, in dem sie die Untersuchungshaft vieler Angeklagter als willkürlich einstufte. Der Freiheitsentzug der Politiker*innen und Aktivist*innen verstößt unter anderem gegen das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit sowie das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Deswegen verlangte die UN-Arbeitsgruppe die sofortige Freilassung der Inhaftierten und eine Untersuchung der Vorfälle.

Anstatt die Forderungen zu respektieren, verurteilte der Oberste Gerichtshof Spaniens neun Führungsfiguren der katalanischen Politik und Zivilgesellschaft in einem historischen Urteil zu Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren. Die Politiker*innen erhielten zusätzlich zeitlich begrenzte Berufsverbote. Verurteilt wurden sie wegen Aufruhrs und einige der Politiker*innen zusätzlich auch für die Veruntreuung öffentlicher Gelder. Drei weitere Angeklagte erhielten Geldstrafen. Den Anklagepunkt der „Rebellion“ konnte das Gericht keine*r der Angeklagten nachweisen. Einige der Verurteilten hatten seit ihrer Verhaftung durchgängig in Untersuchungshaft gesessen.

Nach diesem Urteil äußerten sich verschiedene internationale Akteur*innen zu den Geschehnissen in Spanien. Beispielsweise sieht die Internationale Juristenkommission in den harschen Urteilen eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und Verletzung der Grundrechte. Der UN-Sonderberichterstatter betreffend Minderheiten, Dr. Fernand de Varennes, warf der spanischen Regierung vor, die harten Verurteilungen zu benutzen, um die Aktivist*innen aufgrund ihrer politischen Ansichten einzuschüchtern. Die GfbV bezeichnete die hohen Urteile als einen Skandal. Unserer Auffassung nach ist dies in einem Land der Europäischen Union kein angemessener Umgang mit andersdenkenden Politiker*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. 

Leben im Exil

Die ehemalige Abgeordnete des katalanischen Parlaments und Generalsekretärin der katalanischen Partei ERC Marta Rovira, lebt heute im Exil in der Schweiz. Sie ist wie Puigdemont und einige weitere Politiker*innen und Aktivist*innen geflohen, da sie befürchtete, keinen fairen Prozess in Spanien zu bekommen. Vor ihrer Flucht hinterließ sie einen Abschiedsbrief, in dem sie erklärte, warum sie sich eintschied zu flüchten und sich nicht dem Gericht in Spanien zu stellen. Sie schrieb, dass sie sich durch die Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit und die willkürlichen Drohungen des Gerichts nicht mehr frei fühlte– als ob sie gefangen wäre in einem inneren Gefängnis. Marta Rovira erzählte in diesem Brief auch von der Liebe zu ihrer Tochter. Ihre Hoffnung ist, dass sie aus dem Exil heraus eine gute Mutter für sie sein kann. Eine Chance, die ihr bei einer langen Haftstrafe verweht bleiben würde. Am Ende schrieb sie: „Ich möchte Euch noch eine letzte Sache sagen. Lasst es nicht zu, dass der Groll von euch Besitz ergreift (…). Nur aus Liebe und Respekt für alle Bürger und alle Meinungen werden wir tiefgreifende und grundlegende Veränderungen herbeiführen.“ (Orignal: https://www.esquerra.cat/ca/carta-rovira)

CC BY-SA 3.0 by Panotxa via wikimedia

Was tut die GfbV und wie kann ich helfen?

Die GfbV ruft Spanien dazu auf, den Aufforderungen der UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Verhaftungen Folge zu leisten und die inhaftierten Politiker*innen und Aktivist*innen sofort freizulassen. Spanien und Katalonien müssen gemeinsam an einer politischen Lösung für den Konflikt arbeiten, was nur durch offenen Dialog möglich ist. Dabei können auch Deutschland und EU eine unterstützende Rolle spielen. Wenn auch du eine Lösungsfindung unterstützen möchtest, dann unterschreibe unseren Brief an die Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Gyde Jensen. Alle, die mehr erfahren möchten, können sich auf unsere interaktive Menschenrechtsmission freuen! Sie wird demnächst auf unserer Homepage veröffentlicht.


Quellen:

https://www.tagesspiegel.de/politik/vor-referendum-in-katalonien-proteste-in-ganz-spanien/20400054.html

https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-01/jordi-cuixart-katalonien-seperatismus-gefaengnis-prozess

https://www.undocs.org/en/A/HRC/WGAD/2019/6

https://www.undocs.org/A/HRC/WGAD/2019/12

An

https://www.gfbv.de/de/news/europaeische-union-versagt-im-katalonien-konflikt-8868/

https://www.catalannews.com/politics/item/catalan-leader-exiled-in-geneva-calls-for-consensus-among-pro-independence-parties

https://www.catalannews.com/politics/item/our-political-project-is-still-relevant-erc-commemorates-one-year-since-exile-and-incarceration

https://www.faz.net/aktuell/politik/protest-gegen-verhaftung-von-anfuehrern-der-unabhaengigkeitsbewegung-15251970.html

https://www.dw.com/de/gro%C3%9Fdemonstration-f%C3%BCr-kataloniens-unabh%C3%A4ngigkeit/a-50391507

https://www.welt.de/newsticker/news1/article169412173/Gegner-einer-Unabhaengigkeit-Kataloniens-demonstrieren-in-Barcelona.html

https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-10/katalonien-generalstreik-polizeigewalt-unabhaengigkeitsreferendum-barcelona

https://www.welt.de/politik/ausland/article169204192/Hunderte-Verletzte-nach-Polizeigewalt-in-Katalonien.html

https://www.spiegel.de/politik/ausland/katalonien-90-prozent-stimmten-bei-referendum-fuer-unabhaengigkeit-von-spanien-a-1170872.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Carles_Puigdemont

Spain: Counter-terror law used to crush satire and creative expression online

https://unpo.org/article/22079

https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-09/katalonien-absetzung-quim-torra-proteste


Ein Gedanke zu “Katalonien: Dialog statt Repression


  1. Habe mit Begeisterung diesen Artikel gelesen. Mir war bis jetzt nicht in Gänze bewusst, welch unfassbaren Repressalien angewendet wurden und werden. Frau Fischer, ihr Artikel hallt stark in mir nach. Vielen Dank für die Sensibilisierung bezüglich dieses Themas.

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