Kurdisches Neujahrsfest in Kobani

Auf dem heute wieder zugänglichen Hügel Mischtanur zwei Kilometer südlich der Stadt Kobani kämpfte die IS-Miliz noch Ende 2014 gegen die kurdischen Verteidigungseinheiten (YPG).

Von Kamal Sido; Foto: privat

Das westlichste Ziel meiner Reise war die Stadt Kobani (arab. Ain al-Aarab). Vor 2011 lebten in der Stadt rund 54.000 Menschen, von denen die allermeisten Kurden waren. 2014 erlangte die Stadt traurige Berühmtheit, als der „Islamische Staat“ versuchte, die Stadt zu erobern. Vom 15. September 2014 bis 26. Januar 2015 kämpften kurdische Kämpfer und der IS um die Stadt bzw. die Region Kobani. Der IS rückte auf die Stadt vor, nur ein kleines Stadtviertel konnte durch die kurdischen Verteidiger gehalten werden. Nach monatelangen blutigen Häuserkämpfen erhielten die Kurden Luftunterstützung und Waffen von den USA. Die türkische Regierung verweigerte den Eingekesselten bis Anfang November jegliche Hilfe. Schließlich erlaubte Ankara unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit 150 kurdischen Peschmerga-Kämpfern aus Irakisch-Kurdistan nach Kobani zu kommen, um die Verteidiger mit Waffen zu unterstützen. Schließlich gelang es den Kurden im Januar 2015, die Einheiten des IS vollständig aus Kobani zu vertreiben. Heute befinden sich die IS-Stellungen etwa 60 km südlich der Stadt.

1.000 bis 1.500 kurdische Kämpfer und etwa 500 Zivilisten haben im Kampf um Kobani ihr Leben verloren, rund 5.000 wurden verletzt und in Notkrankenhäusern oder in den kurdischen Gemeinden der angrenzenden Türkei versorgt. Immer wieder haben die türkischen Behörden den Kurden die Behandlung in der Türkei verweigert. Nicht selten mussten Verwundete tagelang am Grenzübergang warten und sind dadurch teilweise sogar verblutet. Die rund 400.000 Einwohner der Stadt und des Kreises Kobani sind während der Kämpfe fast vollständig geflohen. Aus Flüchtlingslagern oder Privatquartieren in der mehrheitlich kurdischen Südosttürkei kehren wöchentlich etwa 1.000 Menschen trotz katastrophaler Verhältnisse nach Kobani zurück. Viele sind jedoch auch weiter nach Europa geflüchtet, da die Stadt zu 80 Prozent zerstört ist. Es gibt vor Ort nur zwei notdürftig eingerichtete Krankenhäuser: ein ziviles und ein militärisches. Der Grenzübergang von der Türkei nach Kobani wird nur etwa zweimal pro Woche und nur für Rückkehrer geöffnet. Nach Angaben des Präsidenten des Kantons Kobani, Anwar Muslim, den ich interviewte, sind bereits 250.000 Menschen nach Kobani und in die umliegenden Dörfer zurückgekehrt. Das sind etwas mehr als die Hälfte der ursprünglichen Bewohner.

Da ich um den 21. März in Kobani war, hatte ich das Glück, mit zehntausenden Kurden und ihren Freunden das Newroz-Fest, also das Neujahrsfest, zu feiern. Dabei habe ich mehrere Interviews mit Politikern und einfachen Bürgern geführt. Vor Ort kursierten Informationen gab, dass der IS an diesem Tag Anschläge auf die Feierlichkeiten plante. Und so durchsuchten die örtlichen Sicherheitskräfte Menschen in kurdischen Festtagsgewändern, bevor diese aufs Gelände, wo die Feierlichkeiten stattfanden, gehen durften. Auch die Umgebung der Stadt wurde mehr als gewöhnlich kontrolliert. Diese Vorsichtsmaßnahmen waren leider notwendig: Wie später berichtet wurde, versuchten Anhänger des IS zwei Autobomben in die Stadt einzuschleusen, welche jedoch kurz vor Kobani entdeckt wurden.

Die einzelnen Kapitel im Überblick:

Wie alles begann

Semalka: Der einzige Weg nach Rojava

Kurden und ihre Anführer

Feindseligkeiten in Amude

Granaten in Qamischli

Plädoyer für ein multiethnisches und multireligiöses Rojava

Auf jüdischen Spuren in Qamischli

Besuch eines Gefängnisses

Kurdisches Neujahrsfest in Kobani

Militärischer Begleitschutz in Tall Abyad

Das neue Militärbündnis „Syrian Democratic Forces“ in al-Hasakeh

Christliches Leben in al-Hasakeh und Qamischli

Bei den Yeziden

Wie bei Karl May

Rojava-Nordsyrien benötigt unsere Solidarität

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