Christliches Leben in al-Hasakeh und Qamischli

Der Eingang einer Kirche in al-Hasakeh. Nur wenige Straßen weiter hatte der IS geherrscht. Die Kirche blieb von der Terrorherrschaft der Islamisten verschont.

Foto und Text: Kamal Sido

In al-Hasakeh zeigten sich die Bestrebungen der autonomen Selbstverwaltung, eine pluralistische Gesellschaft zu fördern. So sind die staatlichen Behörden in der Regel in drei Sprachen beschriftet: Arabisch, Kurdisch und Aramäisch. Für die in al-Hasakeh lebenden Christen ist dies von großer Bedeutung, wie mir Abu Al-Majd von der christlichen aramäisch-assyrischen Miliz Sutoro in unserem Gespräch bestätigte: „Diese Gleichberechtigung ist sehr wichtig, besonders für Aramäisch. Unsere Sprache, die bedroht ist, findet dadurch wieder Beachtung. Auch wenn wir zahlenmäßig sehr wenige sind, ist Aramäisch als amtliche Sprache in der Region eingeführt worden. Überall, wo unsere Dörfer sind, steht alles auf Aramäisch, auch die Straßenschilder werden nach und nach dreisprachig. Und das ist das Recht unseres Volkes, für das wir jahrzehntelang in Syrien gekämpft haben.“ (Das ganze Gespräch finden Sie hier: GfbV) Die christliche Sutoro-Miliz ist im Nordosten Syriens, vor allem in der Provinz al-Hasakeh, aktiv und der Suryoye Einheitspartei (SUP), eine mit der PYD verbündete Organisation, untergeordnet. Sie soll mindestens 1.000 Kämpfer haben.

Sehr bewegt hat mich das Gespräch mit einer alten Armenierin, deren Eltern den Völkermord von 1915 überlebt hatten. „Meine Eltern sind vor dem Ergreifen durch die türkische Armee geflohen. Wir kamen erst einmal in ein kleines Dorf, das heute auf der syrischen Seite der Grenze nicht weit von Dirbesiye liegt. Wir haben mit der Hilfe unseres Bischofs aus Qamischli eine Kirche gebaut. Dann, vor etwa 30 Jahren, kamen wir nach al-Hasakeh. Ich bin fast alleine hier, denn alle meine Angehörigen sind ausgewandert.“ Auch erzählte sie mir, dass ihr Neffe bei seiner Flucht nach Europa im Sommer 2015 verschwunden ist. „Er war noch jung, 33 Jahre alt. Er soll die Türkei mit einem Boot oder Schiff Richtung Griechenland verlassen haben. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört. Wir haben über Anwälte und über Kirchen versucht, ihn zu finden.“ (Das vollständige Interview finden Sie hier: Reisebericht (pdf), S. 51)

Um das Jahr 2011 sollen in der gesamten Provinz al-Hasakeh 150.000 Christen gelebt haben, von denen mindestens die Hälfte nun ausgewandert ist. Doch bis heute gibt es weiterhin Organisationen vor Ort, die sich für die Christen in Syrien einsetzen. Einige von ihnen besuchte ich während meiner Reise oder sprach mit Vertretern assyro-aramäischer Organisationen. So traf ich bereits in Qamischli die Führung der Assyrischen Demokratischen Union (ADO). ADO ist eine assyrische Organisation in Syrien sowie in Europa, die im Jahre 1957 gegründet wurde. Die Organisation kämpft – nach eigener Darstellung – für den Schutz und die Erhaltung der Interessen und Minderheitenrechte des assyrischen Volkes. Sie engagiert sich in der von den syrischen Islamisten unterwanderten syrischen Nationalen Koalition. (Reisebericht (pdf), S. 49)

Auch mit Frau Elizabeth Koriyeh von der SUP habe ich in Qamischli ein langes Interview geführt. Sie ist Vize-Präsidentin des exekutiven Rates der Autonomiebehörde im Kanton Cazira. SUP ist eine politische Partei in Syrien, die nach eigenen Angaben die Interessen des assyrisch/aramäischen Volkes vertritt. Die Partei wurde am 1. Oktober 2005 gegründet und tritt seit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges als Opposition zur Assad-Regierung auf. Im Gegensatz zur ADO arbeitet die SUP eng mit der PYD zusammen und ist an allen politischen, administrativen und militärischen Strukturen der Autonomiebehörde in Rojava beteiligt. (Reisebericht (pdf), S. 61)

Am 1. April konnte ich das assyrische Neujahrsfest Akitu in Nordsyrien miterleben. Auch Elizabeth Koriyeh (Mitte) von der “Suryoye Einheitspartei” war unter den Feiernden.

Foto: Kamal Sido

Ein kleines Highlight meiner Reise war es, dass ich an meinem vorletzten Tag, am 1. April, die Akitu-Feierlichkeiten im syrisch-orthodoxen Dorf Girshiran miterlebt habe. Das ganze Dorf, in dem eine kleine, aber wunderschöne Kirche befindet, war auf den Beinen. Alle zwei Meter gab es Menschen, die im Freien picknickten. Auch wenn der IS nicht weit entfernt war, ließen sich die Personen ihre Neujahrsfeierlichkeiten – wie schon in Kobani – nicht nehmen.

Die einzelnen Kapitel im Überblick:

Wie alles begann

Semalka: Der einzige Weg nach Rojava

Kurden und ihre Anführer

Feindseligkeiten in Amude

Granaten in Qamischli

Plädoyer für ein multiethnisches und multireligiöses Rojava

Auf jüdischen Spuren in Qamischli

Besuch eines Gefängnisses

Kurdisches Neujahrsfest in Kobani

Militärischer Begleitschutz in Tall Abyad

Das neue Militärbündnis „Syrian Democratic Forces“ in al-Hasakeh

Christliches Leben in al-Hasakeh und Qamischli

Bei den Yeziden

Wie bei Karl May

Rojava-Nordsyrien benötigt unsere Solidarität

Setzen Sie sich mit uns gemeinsam für die Öffnung der türkischen Grenzübergänge in die Kurdengebiete ein! Unterschreiben Sie unsere Petition!

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