Auch wenn das Zentrale Staatliche Elektrizitätsnetz (ZSE) noch weitgehend intakt ist, gehört die Elektrizität zu den größten Problemen in Nordsyrien. ZSE liefert Strom in der Regel nur für eine Stunde am Tag. Die restliche Zeit werden die Haushalte durch Dieselgeneratoren versorgt. Foto: Kamal Sido
Wenn ich meine Eindrücke von meiner Reise in Nordsyrien kurz zusammenfasse, kann ich vor allem eins sagen: Diesen wunderbaren Menschen in Rojava-Nordsyrien müssen wir in jedem Fall helfen. In vielen meiner Gesprächen habe ich in der Regel immer das Gleiche gehört: „Wir wollen nicht unbedingt unsere Heimat verlassen. Wir sind nicht gezwungen, gefährliche Wege über das Meer auf uns zu nehmen, um nach Deutschland und Europa zu kommen. Ihr müsst uns aber von Europa aus unterstützen.“
Allen Politikern und Aktivisten, die ich traf, habe ich sehr aufmerksam zugehört. Ich wollte von ihnen mehr über ihre Einschätzungen zur Lage in Nordsyrien erfahren. Ich hatte die Möglichkeit, Vertreter fast aller in Nordsyrien aktiven Parteien, Organisationen und Vereine zu treffen. Auch konnte ich mit vielen Repräsentanten der zivilen Gesellschaft, der Minderheiten (Kurden, Araber, Armenier, Assyrer/Aramäer/Chaldäer, Turkmenen, Muslime, Yeziden, Christen) sowie mit Journalisten sprechen.
„Es mag Probleme in Rojava geben und die Kurden werden die Ersten sein, die das zugeben werden. Sie hegen revanchistische Ansprüche und sind nicht so demokratisch, wie sie häufig behaupten. Trotzdem, was diese beiden Themen betrifft, sind sie nicht schlimmer als Recep Tayyip Erdogans Türkei, sondern sogar ein ganzes Stück besser. Außerdem sind sie säkular, tolerant gegenüber religiösen Minderheiten und insgesamt tolerant gegenüber ethnischen Minderheiten in ihrer Mitte“, beschrieb Michael Rubin, US-amerikanischer Nahostexperte und ehemaliger Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, die komplizierte Lage in Rojava-Nordsyrien. (Commentary) Dieser Schlussfolgerung von Michael Rubin kann ich nur zustimmen.
Es ist unsere Aufgabe und wir sind sogar verpflichtet, die Menschen in Rojava-Nordsyrien dabei zu unterstützen, ein Mindestmaß an Leben in Würde zu führen und Perspektiven für sich und ihre Kinder zu entwickeln. Dies ist möglich und wird uns viel weniger kosten als sie als Flüchtlinge in den Asylunterkünften in Deutschland zu beherbergen. In dieser Not können wir durch gezielte humanitäre Maßnahmen von Deutschland und von Europa aus, das Leben oder das Überleben der Kurden, arabischen Sunniten, Assyrer/Chaldäer/Aramäer, Armenier, Christen, Yeziden, Tscherkessen, Turkmenen und anderer viel verträglicher machen. Nicht zu vergessen sind die fast eine Million Flüchtlinge, die in Rojava-Nordsyrien Zuflucht gefunden haben. Diese benötigen dringend unsere Solidarität und Hilfe. Durch unsere humanitäre Hilfe kann auch Einfluss auf die Geschehnisse vor Ort in Nordsyrien genommen, die Lage in Nordsyrien stabilisiert und die lokalen Selbstverwaltungsstrukturen gestärkt werden. So können wir Toleranz, das friedliche Zusammenleben von verschiedenen Ethnien und Religionsgemeinschaften und Menschen- und Minderheitenrechte fördern. Was aber Nordsyrien schnellstens benötigt, ist die sofortige und dauerhafte Öffnung der Grenzübergänge von der Türkei und dem Irak für humanitäre Hilfe nach Nordsyrien.
Die einzelnen Kapitel im Überblick:
Semalka: Der einzige Weg nach Rojava
Plädoyer für ein multiethnisches und multireligiöses Rojava
Auf jüdischen Spuren in Qamischli
Kurdisches Neujahrsfest in Kobani
Militärischer Begleitschutz in Tall Abyad
Das neue Militärbündnis „Syrian Democratic Forces“ in al-Hasakeh
Christliches Leben in al-Hasakeh und Qamischli
Rojava-Nordsyrien benötigt unsere Solidarität
Vielen Dank für den Interessanten Reisebericht! Sehr spannend und ehrlich! Viele Hintergrundinfos, die man sonst nicht bekommt.