Südsudan: Eine (Un-)Möglichkeit des Friedens?

Der 12. November 2019 stellt ein Datum besonderer Bedeutung für den Südsudan dar: An diesem Tag endet die Frist zur Bildung einer nationalen Übergangsregierung, um nach jahrelangem Bürgerkrieg schließlich Frieden im Land einkehren lassen zu können. Trotz Annäherungen der Konfliktparteien erscheint eine Einigung jedoch noch in weiter Ferne. Wie auch immer sich die Lage im Land entwickeln mag – eins steht fest: die Dimensionen des Leides der südsudanesischen Zivilbevölkerung sind kaum noch zu übertreffen.  

Von Lasse Meyerink, Praktikant bei der politischen Leitung der GfbV; Foto: UN Photo/JC McIlwaine; als Titelbild

Der Südsudan gilt als jüngster Staat der Welt. Im Jahr 2011 feierte die ganze Bevölkerung endlich die Unabhängigkeit vom Sudan, dem großen Nachbarn aus dem Norden. Doch trotz der Möglichkeit der Selbstbestimmung und einer damit einhergehenden Hoffnung auf Frieden sowie nationales Wirtschaftswachstum bleibt die aktuelle Situation des Landes verheerend. Während des Bürgerkrieges zwischen 2013 und 2018 forderten die, in erster Linie an ethnischen Linien orientierten, Konflikte fast 400.000 Menschenleben. Ein Drittel der Bevölkerung wurde vertrieben und eine weitaus höhere Zahl von etwa sieben Millionen Personen ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Omnipräsenz der Gewalt führt zu einer Einschränkung aller Sphären zivilen Lebens. Besonders Brandstiftung und Plünderungen im Zuge von Zerstörungszügen der Rebellengruppen führten zur Verhinderung landwirtschaftlichen Anbaus, resultierend in einer akuten Hungersnot von mehr als 45.000 Personen. Neben diesen Aufständen gehören willkürliche und erbarmungslose Tötungen, Flucht, Folter sowie sexuelle und geschlechtsspezifische Gewaltakte zum lebensbedrohlichen Alltag der südsudanesischen Zivilbevölkerung. 

Bild: UN Photo/Tim McKulka

Ein System korrupter Kleptokratie

Anhand dieser Darstellungen kommt die Frage auf, wie es überhaupt zu solch einem vernichtenden Bürgerkrieg kommen konnte. Die Antworten scheinen bekannt – wie so oft gelten Kämpfe um Macht und Geld zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen als Ursachen der Konflikte. Insbesondere die individuellen machtpolitischen Bestreben von Präsident Salva Kiir Mayardit und dem in Opposition stehenden, ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar sowie eine ungleiche Aufteilung der lukrativen Erdöl-Einnahmen fachten die Konflikte immer weiter an. Die Regierungsinstitutionen wurden durch lokale Eliten und deren nicht staatliche, kommerzielle Handelspartner übernommen. Langfristige Verträge mit ausländischen Investoren, Vetternwirtschaft bei der Vergabe von hohen politischen und wirtschaftlichen Posten, großanteiliger Besitz an Wirtschaftsunternehmen und eine vehemente Gewaltanwendung sorgen für die Erhaltung sowie Ausweitung von Macht.

Als weiteres Charakteristikum des Systems endemischer Korruption kann die nicht vorhandene Trennung von Legislative und Exekutive betrachtet werden; resultierend in einem Privileg der Straffreiheit der südsudanesischen Elite. Der große politische Einfluss der militärischen Führungsriege der beiden konkurrierenden Konfliktparteien, der Sudan People’s Liberation Movement/Army (SPLM/A) und der Sudan People’s Liberation Movement/Army – In Opposition (SPLM/A-IO), sorgt einerseits für die Versorgung mit Waffen, Munition und weiteren Rüstungsmaterialien der verschiedenen Milizen. Andererseits manipulierten die Führungspersonen Anhänger ethnischer Gruppen, um für eigene Interessenkonflikte zu mobilisieren. An Zynismus und Menschenunwürdigkeit nicht zu übertreffen ist jedoch der Umgang mit Frauen und Kindern. So rekrutierten die hohen Militärs der Konfliktparteien laut UNICEF, unter Zwang oder, verwaist und dem Hungertod nahe, aus Verzweiflung über einen Mangel an Alternativen, etwa 20.000 Kindersoldaten. Des Weiteren wurden Befehle zu Gruppenvergewaltigungen an Frauen und Mädchen gegeben. Gerade die systematische Ausführung dessen, deklariert als eine Art Belohnung für die Soldaten und Rebellen, sollte als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt werden.

Bild: UNMISS/Eric Kanalstein

Ein Friedensabkommen als Hoffnungsschimmer

Obwohl verschiedene Waffenstillstände und Friedensabkommen im Verlauf des Bürgerkrieges von den Konfliktparteien vereinbart und unterzeichnet wurden, leiden das Land und seine Bevölkerung noch immer unter willkürlichen Menschenrechtsverletzungen. Erst das am 12. September 2018 von einem Großteil der politischen Parteien unterzeichnete Revitalized Agreement on the Resolution of the Conflict in the Republic of South Sudan (R-ARCSS), die achte Neuauflage des ARCSS vom August 2015, ließ die Bevölkerung auf ein Ende der Grausamkeiten hoffen. Das Friedensabkommen beinhaltet eine Frist, datiert auf den heutigen Tag, den 12. November 2019, welche die Bildung einer Übergangsregierung der nationalen Einheit vorsieht. Dies impliziert, neben einer Entwaffnung und Demobilisierung von Rebellen, einer Wiedereingliederung von geflohenen Personen, einem Konsens über Anzahl und Grenzen der Bundesstaaten oder einer Zusammenführung und Professionalisierung eines nationalen Einheitsmilitärs, in erster Linie eine erneute Machtaufteilung zwischen Kiir und Machar, zwischen SPLM/A und SPLM/A-IO, zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Nach erfolgreicher Bildung einer Einheitsregierung soll es eine 36-monatige Übergangsphase geben, bis im Jahr 2022 demokratische Neuwahlen anstehen.

Die weit verbreitete Skepsis am nationalen Frieden

Seit der Implementierung des R-ARCSS konnten zwar kleine Fortschritte wie ein besserer Zugang zu humanitärer Hilfe oder eine größere Bewegungsfreiheit verbucht werden, jedoch gelten diese und der Frieden per se als fragil. Bei großen Teilen der Zivilbevölkerung scheint es nach wie vor eine große Skepsis gegenüber einem Ende der Feindseligkeiten und des korrupten Regimes zu geben. Dies ist nicht zuletzt auf das tiefsitzende Misstrauen der gesamten südsudanesischen Gesellschaft zurückzuführen. Da die Lage im Staat seit Beginn seiner Existenz von einer ethnischen Polarisierung zwischen den Dinka und den Nuer, denen Kiir und Machar respektive angehören, geprägt ist, präferieren viele Akteure eine Gewaltanwendung gegenüber der Aufnahme von Gesprächen. So wird die bestehende Dominanz der regierungsfreundlichen Dinka, einhergehend mit einer Ablehnung der Reduktion von Souveränität, als Bedrohung angesehen. Einerseits lässt sich dies auf die Erfahrung zurückführen, da ein Wiederaufleben der Gewalt bereits im Jahr 2016 die Konsequenz eines Friedensabkommens, begleitet von der Rückkehr Machars in die Regierungshauptstadt Juba, darstellte. Andererseits wurde die Frist zur Bildung der nationalen Einheitsregierung, aus mangelnder Kompromissbereitschaft aller Beteiligten, bereits vom Mai auf den November 2019 verschoben. Da nämlich nach wie vor humanitäre Hilfsorganisationen behindert oder Flüchtlingslager angegriffen werden, ist nichts von einem erhöhten Pflichtbewusstsein oder einem Engagement zur Friedenskonsolidierung zu spüren. Vielmehr wurden gewisse Annäherungen lediglich aufgrund des wachsenden internationalen Drucks eingegangen.

Bild: UN Photo/Isaac Billy

Ausblick: Was kommt nach dem 12. November?

Der 12. November 2019 gilt als zukunftsweisendes Datum und als letzte Chance für den noch jungen Staat, sich selbstbestimmt der so prekären Situation entziehen zu können. Kommt es zu keiner Einigung zwischen den Konfliktparteien, erwarten Experten ein Wiederaufleben der Gewalttaten, welche Ausmaße eines Genozids annehmen können.

Somit liegt es nun an der südsudanesischen Führungselite, das entsprechende Engagement aufzuzeigen, um den ewigen Kreislauf aus Krieg, Armut und Hunger zu durchbrechen. Dies muss mit einem generellen nationalen Umdenken und der Etablierung neuer sozioökonomischer Perspektiven einhergehen. Etwaige Waffenstillstände und Friedensabkommen mögen in der Theorie gelten, in der Realität hingegen kam es auch im Jahr 2019 zu weiteren Kampfhandlungen. Es bedarf also eines nationalen Versöhnungsprozesses, um den Status einer Misstrauensgesellschaft loswerden und Frieden final konsolidieren zu können. Anstatt mehr als die Hälfte des Staatshaushaltes für die selektive Sicherheit und Aufrüstung ausgewählter Bevölkerungsgruppen auszugeben, muss ein nationaler Wiederaufbau des Landes, durch so dringend notwendige Investitionen in Bereichen wie Bildung, medizinische Versorgung und Infrastruktur, angestrebt werden. Auch wenn die Frist eingehalten wird und es zur Formation einer nationalen Übergangsregierung kommt, müssen die humanitären Krisen, welche ein fast fünf Jahre wütender Bürgerkrieg hinterlassen hat, adressiert und bewältigt werden. Kompromissbereitschaft aller beteiligten Akteure sowie der authentische Wille, einen stabilen, demokratischen Rechtsstaat aufzubauen, müssen für die internationale Gemeinschaft deutlich erkennbar sein, um diese von der Einhaltung der Konditionen des Abkommens zu überzeugen. Das Verhängen von Sanktionen, besonders jene, welche ganze Netzwerke von Akteuren oder die bedeutenden Erdöl- und Hartwährungssektoren treffen, oder die Einrichtung eines hybriden Gerichtshofes im Südsudan, der die Verbrechen aufarbeiten und eine zukünftige Amnestie politischer Machthaber verhindern soll, können als nützliche Instrumente dienen, um den Friedensprozess zu unterstützen. Denn letztlich muss ein Zeichen gesetzt werden, dass Menschenleben eine höhere Priorität als Macht und Identität haben – immer und überall.        

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