Russland hat ein Rassismusproblem

Die EM 2016 in Frankreich hatte gerade begonnen, als Ausschreitungen zwischen russischen und englischen Hooligans die Schlagzeilen füllten. Trotz Verwarnung der Uefa gab es in Russland kaum Kritik am Verhalten der Fans. Im Gegenteil:  „Tolle Kerle, habt richtig Courage gezeigt!“, schrieb beispielsweise ein Kommentator. Die Ausbrüche von Gewalt aber auch die Reaktionen darauf zeigen den gefährlichen Nationalismus, der sich in Russland entwickelt hat.

Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe „Wir sind schwarz, na und?“ (6/2012) der Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir ihn nochmal auf unserem Blog.

von Sarah Reinke; Foto: dimitrisvetsikas1969 via pixabay

Wenn bei Fußballspielen in den russischen Ligen ein schwarzer Spieler an den Ball kommt, übertönt das Gebrüll von den Rängen häufig die Pfeife des Schiedsrichters. Der Fanklub „Landskrona“ des russischen Meisters, Zenit St. Petersburg, veröffentlichte am 17. Dezember 2012 ein Manifest, in dem der Ausschluss von schwarzen und homosexuellen Spielern gefordert wird. Ein halbes Jahr zuvor hatte Zenit – bis dahin der einzige Klub der russischen ersten Liga ohne schwarze Spieler – den Brasilianer Givanildo Vieira de Souza, Fußballfans als „Hulk“ bekannt, sowie den Belgier Axel Witsel verpflichtet. Zuvor hatte der Franzose Yann M’Vila im Juli 2012 den Petersburgern nach Todesdrohungen abgesagt. Der brasilianische Superstar Roberto Carlos verließ Mitte 2011 kopfschüttelnd das Spielfeld des Stadions in Samara, nachdem zum wiederholten Mal eine Banane neben ihm gelandet war.

Ausländerfeindlichkeit ist nicht nur bei Sportereignissen präsent, sondern auch im öffentlichen Leben Russlands. In den ersten Januartagen 2013 wurde in St. Petersburg ein Mann aus Kirgisien ermordet; in Moskau wurde ein Staatsbürger Kameruns verprügelt. Der Nichtregierungsorganisation „Sova Center“ zufolge wurden im letzten Jahr 18 Menschen bei rassistischen Gewaltverbrechen in Russland getötet und 171 verletzt. Opfer sind Zentralasiaten, Nordkaukasier und Menschen „nicht-slawischen“ Aussehens, meist jedoch Personen mit dunkler Hautfarbe. In vielen Städten und Regionen gab es 2012 Aufmärsche von Neonazis. Im Winter 2012 mischten sie sich unter Demonstranten der demokratischen,politischen Opposition, um ausländer- und staatsfeindliche Parolen zu grölen. Das Sova Center stellt zwar fest, dass Gewaltverbrechen zurückgegangen seien. Dennoch sei rassistisches Gedankengut in der Bevölkerung nach wie vor weit verbreitet. Die russische Politik gehe dagegen nur ungenügend vor, in manchen Fällen leiste sie dem Rassismus sogar Vorschub, indem sie beispielsweise bei Verbrechen immer wieder von einer „kaukasischen Spur“ spreche.

Vera (rechts) lebt mit ihrer Tochter am Stadtrand von Moskau. Sie teilen sich eine kleine Wohnung mit Veras Mutter, Schwester und ihrem Schwager. „Meine Familie toleriert uns zwar, aber sie akzeptiert das Kind nicht. Ich achte darauf, dass meine Tochter in einem anderen Raum ist, wenn mein Schwager betrunken ist. Denn er wird aggressiv und beleidigt uns. Die Geburt meiner Tochter war ein Traum, der wahr geworden ist.“ Foto: Liz Johnson

Als „Schwarze“ werden in der Russischen Föderation nicht nur Menschen mit dunkler Hautfarbe bezeichnet, sondern auch Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Sie sind die häufigsten Opfer rassistischer Gewalttaten und Anfeindungen. Der US-Amerikaner Dewaine Farria, der für die Vereinten Nationen im Nordkaukasus arbeitet und seit langem in Russland lebt, berichtet in einem Blogbeitrag über rassistische Vorfälle: An den Rassismus gegen ihn als Schwarzen und die Verblüffung darüber, dass er Amerikaner sei, habe er sich schon gewöhnt. Zu seinem Erstaunen sei aber auch ein kaukasischer Freund trotz weißer Hautfarbe als „Schwarzarsch“ beschimpft worden.

Eine ehemalige Praktikantin, die selbst aus dem Fernen Osten Russlands stammt, berichtete mir, dass ihre Schwester, die in Moskau studiert, immer sofort die Straßenseite wechsle, wenn ihr jemand mit „nordkaukasischem Aussehen“ entgegenkomme. Sie habe Angst vor Menschen aus dem Nordkaukasus – Angst, die ganz bewusst von der russischen Politik und vielen regierungstreuen Medien geschürt wird, indem sie kollektiv als Diebe, Verbrecher und Terroristen diffamiert werden.

Auch an den Universitäten nimmt der Rassismus zu. Betroffen sind hier vor allem Studierende aus dem Nordkaukasus oder Afrika. Selbst die Hochschulverwaltungen spielen dabei eine unrühmliche Rolle. In einem Interview mit der Deutschen Welle sagte der Geschichtsprofessor Dmitri Dubrowski aus St. Petersburg: „Zuerst haben meine Studenten es mir gar nicht erzählt. Dann fand ich aber heraus, dass alle aus dem Nordkaukasus ein Formular ausfüllen müssen, wo sie über ihre Verwandten befragt werden. Sie müssen angeben, wo ihre Verwandten wohnen, ob sie Mitglieder einer Rebellengruppe sind, welches Auto sie fahren.“ Besonders nach Gewaltakten oder Terroranschlägen in Zentralrussland wurden vermehrt Übergriffe auf Nordkaukasier dokumentiert. Aber auch die 130.000 ausländischen Studierenden in Russland, von denen viele aus China, Vietnam oder afrikanischen Staaten kommen, sind Rassismus ausgesetzt. So wurde der kongolesische Student Boris Dengsten 2011 an einer Bushaltestelle angegriffen, als er sich mit einer jungen Russin unterhielt: „Warum sprichst du mit diesem Affen“, fragten die Angreifer die junge Frau. Als Dengsten sagte: „Ich sehe hier keine Affen, wir sind doch auch Menschen wie ihr“, wurde er von 15 Russen angegriffen. Schließlich wurde er exmatrikuliert, da er den Streit begonnen habe. Nachdem er ein Gerichtsverfahren gegen die Täter verloren hatte, musste er in den Kongo zurückkehren.

„Meine Mutter ist eine Burjatin, mein Vater war nigerianischer Student in Ulan-Ude in Burjatien. Als ich zehn war, haben sie sich getrennt. Mein Vater ist nach Nigeria zurückgekehrt; ich bin mit meiner Mutter nach Moskau gezogen. Bisher habe ich zweimal meinen Vater in Nigeria besucht, aber mein Zuhause ist Moskau.“ Foto: Liz Johnson

Ein weiterer Aufsehen erregender Fall ereignete sich in Orenburg, rund 1.230 Kilometer südöstlich von Moskau: Im Mai 2012 forderte der Verwaltungschef Orenburgs den Direktor der Universität auf, die internationalen Studierenden aus dem Studentenwohnheim zu „entfernen“. In dem Wohnheim, das in einem weitläufigen Park liegt, leben junge Menschen aus 23 Ländern wie Zimbabwe, Kongo und dem Tschad. Der Verwaltungschef sagte, er wolle keine Bilder im Fernsehen sehen, auf denen die Schwarzen im Park herumliefen und „Kinder vergewaltigten“. In der Folge durchsuchte die Polizei die Zimmer der ausländischen Studierenden, diese organisierten daraufhin Protestdemos in Orenburg. Viele von ihnen sind Söhne oder Töchter von Diplomaten und zahlen mindestens 1.800 US-Dollar pro Semester; Geld, das die unterfinanzierten russischen Hochschulen gut gebrauchen können. Überhaupt benötigt Russland aufgrund der demographischen Entwicklung gut ausgebildete junge Menschen. 2018 wird die Russische Föderation Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft sein. Stadien werden jetzt schon ausgebaut; die russischen Fußballvereine kaufen sich weltweit Spitzenspieler ein. Ob es auch dann wieder Bananen „regnen“ wird auf Menschen „nicht-slawischen“ Aussehens?

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Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe „Wir sind schwarz, na und?“ (6/2012) der Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“.

[Zur Autorin]

SARAH REINKE ist Leiterin des GfbV-Büros in Berlin und gleichzeitig Referentin für die GUS-Staaten. Sie verfügt über tiefgreifende Kenntnisse der Lage bedrängter Minderheiten in dieser Region, hält ständig Kontakt zu Betroffenen und gibt ihnen eine Stimme.

Ein Gedanke zu “Russland hat ein Rassismusproblem


  1. Ich habe die Befürchtung, dass die WM2018 sehr hässlich wird, da dann russische nationalistische Hooligans Jagd auf Ausländer machen werden. Der Hass den auch Putin säht wird gewiss aufgehen.

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