In der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang, die von den dort lebenden muslimischen Turkvölkern Ostturkestan genannt wird, werden von der chinesischen Regierung schwerste Menschenrechtsverletzungen an Uigur*innen, Kasach*innen und Kirgis*innen verübt.
Text und Fotos von Katharina Blackstein
Hunderttausende von ihnen werden willkürlich in sogenannte Umerziehungslager verschleppt und sind dort Misshandlungen und Folter ausgesetzt. Am 13. Mai 2022 protestierten uigurische Gruppen vor den Vereinten Nationen in Genf, um die Veröffentlichung eines Berichts zur Menschenrechtslage in Xinjiang zu fordern. Diesen hatte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, bereits vor Monaten versprochen.
Situation der Uigur*innen in Nordwestchina
Nicht erst seit dem Bekanntwerden der „Xinjiang Police Files“ sind die Menschenrechtsverletzungen, welche die chinesische Regierung an den Uigur*innen und anderen Turkvölkern verübt, bekannt. Seit bereits mehreren Jahren geht die chinesische Regierung unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit gegen die muslimischen Turkvölker in Xinjiang vor. Mithilfe von willkürlichen Masseninternierungen in sogenannten Umerziehungslagern, strenger Überwachung und der Überführung uigurischer Kinder in staatliche Waisenhäuser soll die Kultur der Uigur*innen und anderer Turkvölker ausgelöscht werden. Ein 2021 veröffentlichter Bericht von Human Rights Watch und der Stanford Universität spricht aufgrund der umfassenden und systematischen Aktionen der Regierung gegen die zivile Bevölkerung in Xinjiang von schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit [1]. Dazu zählen laut des Berichts illegaler Freiheitsentzug, Verfolgung ethnischer oder religiöser Gruppen, Verschwinden, Folter, Mord, Zwangsarbeit und sexuelle Gewalt [2]. Angehörige der Minderheit werden schon bei kleinsten Vergehen wie dem Versenden islamischer Texte oder dem Download von E-Books in uigurischer Sprache zu langen Haftstrafen verurteilt. Dieses Vorgehen der chinesischen Regierung wurde vom Außenministerium der USA bereits sogar als Völkermord eingestuft [3].
Veröffentlichung des Reports seit Monaten überfällig
Auch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte fertigte einen Bericht über die Menschenrechtslage in Xinjiang an, der sich laut der Hochkommissarin Michelle Bachelet im September 2021 in der Fertigstellung befand. Trotzdem wurde er bisher weder veröffentlicht, noch wurde ein Termin zur Veröffentlichung genannt. Gemeinsam mit über 200 anderen Organisationen forderte die Gesellschaft für bedrohte Völker bereits im März 2022 in einem offenen Brief die Herausgabe des Reports, um sowohl der chinesischen Regierung als auch den Opfern zu zeigen, dass kein Staat über dem internationalen Recht steht und Menschenrechtsverletzungen begehen kann [4].
Über die Gründe für das Zögern der UN-Hochkommissarin kann dabei nur spekuliert werden. China hat einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, ist einer der größten Geldgeber und damit einen großen Einfluss auf das Handeln der Organisation. Außerdem ist China eine Wirtschaftsmacht, von der viele Staaten ökonomisch abhängig sind. Entschiedene Maßnahmen und die Verurteilung des Vorgehens der chinesischen Regierung in Xinjiang sind aufgrund dieser Abhängigkeiten nicht zu erwarten. Darüber hinaus werden Michelle Bachelet persönliche Ambitionen auf das Amt der UN-Generalsekretärin nachgesagt, wofür sie auf die Unterstützung der chinesischen Regierung nicht verzichten könne [5].
Protestzug in Genf
Aufgrund dieser Situation und des Zögerns der Hochkommissarin den Bericht zu veröffentlichen, riefen uigurische Gruppen zu der Kundgebung und dem Protestzug in Genf auf. Die Gesellschaft für bedrohte Völker war ebenfalls vertreten. Wir forderten Bachelet in unserer Rede auf, den Report herauszugeben und mit Uigur*innen im Exil über ihre persönlichen Erfahrungen zu sprechen.
Kundgebung in Genf, Foto: Katharina Blackstein, GfbV
Besuch von Michelle Bachelet in China
Die chinesische Regierung verhindert seit Jahren, dass sich neutrale Beobachter*innen die Menschenrechtslage in Xinjiang und die Situation der Uigur*innen ungehindert anschauen können. Somit ist eine lückenlose Dokumentation der dort begangenen Verbrechen äußerst schwierig und der Regierung wird es leicht gemacht, ihre Propaganda und Falschinformationen über das Lagersystem und die Unterdrückung der Bevölkerung zu verbreiten.
Deshalb war es den uigurischen Gruppen in der Diaspora und vielen Organisationen besonders wichtig, dass Michelle Bachelet bei ihrer Reise nach China Ende Mai uneingeschränkten Zugang zu den sogenannten Umerziehungslagern bekommt und die Möglichkeit erhält, unbeobachtet mit Betroffenen zu sprechen. Diese Erwartungen wurden allerdings enttäuscht. Stattdessen sprach Bachelet davon, dass ihr Besuch keine Untersuchung, sondern lediglich eine Chance für Dialog sein solle. [6] Unter diesen Voraussetzungen lief die Reise auch äußerst unkritisch ab. Bachelet traf sich mit dem chinesischen Außenminister und zeigte sich in einem Videotelefonat mit Staatspräsident Xi Jinping, der die Möglichkeit nutzte, um vor einer „Politisierung der Menschenrechte“ [7] zu warnen. Durch die fehlende Kritik der UN-Hochkommissarin wurde der Besuch zu einem Propagandaerfolg für die chinesische Regierung, den auch das deutsche Außenministerium kritisierte: „Die Reise der Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, nach China – für die wir uns lange Zeit eingesetzt hatten – konnte [den Erwartungen] nicht gerecht werden. Aufgrund der chinesischen Beschränkungen war während der Reise ein freier, ungehinderter Zugang zu Personen und Orten nicht möglich. Eine unabhängige Einschätzung der Lage vor Ort war dadurch ausgeschlossen.“ [8].
Mit diesem Vorgehen und der Vermeidung von Kritik an der chinesischen Regierung wird sich auch in Zukunft nichts an der Situation der Minderheiten in China ändern. Mittlerweile wurde sogar die öffentliche Sicherheit in China teilweise wieder heruntergefahren, da viele Uigur*innen bereits in den sogenannten Umerziehungslagern waren und wissen, was ihnen bei kleinsten Verstößen gegen die willkürlichen Auflagen der Regierung droht. Deshalb ist es nach wie vor wichtig, dass die Hochkommissarin den Bericht veröffentlicht. Die Menschenrechtsverletzungen an den Uigur*innen und anderen Minderheiten müssen von der internationalen Staatengemeinschaft verurteilt und entsprechende Maßnahmen gegen die chinesische Regierung verhängt werden. Ansonsten kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Situation der Minderheiten in Xinjiang/Ostturkestan verbessert.
Über die Autorin:
Katharina Blackstein studiert an der Universität Kiel und absolviert derzeit ein Praktikum im Referat für Genozidprävention und Schutzverantwortung.
Quellen
[4] https://www.amnesty.org/en/documents/ior40/5304/2022/en/
[6] https://www.sueddeutsche.de/politik/bachelet-china-menschenrechte-1.5593200
[7] https://www.sueddeutsche.de/politik/bachelet-china-menschenrechte-1.5593200
[8] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/bachelet-china/2533196