Zum Verhältnis von Politik & Fußball

Das scheinbar nichtexistierende Verhältnis von Fußball und Politik ist präsenter als je zuvor. Eine Trennung lässt sich nicht mehr aufrechterhalten, die Grenzen sind fließend. Es stellt sich die Frage, ob der Sport nicht zweckentfremdet wird, da er für (politische) Zwecke genutzt wird, die weit über den Sport hinausgehen.

Von Hubeyb Yöntem, Tabea Giesecke; Foto: Finalspiel der Weltmeisterschaft 1974 in München, Westdeutschland gegen die Niederlande. Foto: Alfvanbeem via Wikimedia

Anzunehmen ist: Je öffentlicher und bedeutender der Fußball ist, umso politischer wird er. Wie kritisch man als Fußballkonsument also auch sein mag – man ist immer Teil des Systems, in denen Menschen Schaden nehmen. Dies zeigt sich z.B. in der Ausbeutung asiatischer Trikotnäher, bei Sponsoren und Vermarktern, die mit chinesischen, russischen oder arabischen Konzernen eng verflochten sind oder bei Zahlungen immenser Summen der ARD und des ZDF an Russland für die Übertragungsrechte der WM 2018.

FIFA-Präsident Gianni Infantino, Vladimir Putin & Emmanuel Macron (v. l. n. r.) bei der Siegerehrung der WM 2018. Foto: Philip Terry Graham via Wikimedia

Bill Shankley, der prominente Ex-Manager des FC Liverpool sagte einmal: „Some people think football is a matter of life and death. I don’t like that attitude. I can assure them it is much more serious than that.“ Dabei handelt es sich um eine mit britischem Humor konnotierte, nicht ganz ernst gemeinte Übertreibung. Fußball prägt nämlich seit jeher und immer mehr die Alltagskultur von Menschen, nicht zuletzt durch seine finanzielle und mediale Dominanz gegenüber anderen Sportarten, weshalb er ein gesellschaftlich machtvoller Akteur ist. Er eignet sich gerade deshalb für politische Machthaber als öffentlichkeitswirksame Plattform. Neben den vielen Vorteilen, die die Globalisierung und Digitalisierung mit sich bringt, rücken Politik, Wirtschaft, Kulturen und Sport immer weiter zusammen. Auch die Bundesregierung und zigtausende deutsche Unternehmen kooperieren mit autoritären Regierungen, die im Fußball nach Dominanz streben.[1] Investoren aus Golfstaaten, Russland und China sichern sich Anteile an europäischen Vereinen, um den politischen Einfluss ihrer autoritären Regierungen zu erweitern. Staaten verschaffen sich Platz, Machtsphären und Möglichkeiten durch Beteiligung in Form von Sponsoring. Viele Regime nutzen das sportliche Feld, um durch Sporterfolge des eigenen Landes anderen eine Niederlage zuzufügen oder auch die eigene Bevölkerung für sich zu gewinnen und von existierenden Problemen abzulenken. Das zeigen die jüngsten Beispiele der Golfstaaten Saudia-Arabien, die VAE und das Emirat Katar, das durch die in diesem Jahr stattfindende WM wegen Menschenrechtsverletzungen besonders ins negative Rampenlicht gerückt ist.

Politisierung des Fußballs

Fußball ist weder Übel noch ein Allheilmittel für soziale oder politische Konflikte. Er ist von Natur aus weder gut noch böse. Er ist, was aus ihm gemacht wird. In England gibt es eine alte Tradition, die besagt, Sport und Politik würden sich nicht vermischen. Im Weltmeisterjahr 1954 war kein Vertreter der Bundesregierung im Stadion in Bern anwesend. Auch 1974 war die Verflechtung von Politik und Fußball bei weitem nicht so stark wie heute. Die gewachsene gesellschaftliche Relevanz und zunehmende Kommerzialisierung, Medialisierung und Internationalisierung des Fußballs in den letzten Jahrzenten führten dazu, dass politische Akteure sich ebenfalls für den Fußball interessieren.

Politik kam mit Fußball in der Geschichte das erste Mal durch die britischen Heimatnationen England, Irland, Schottland und Wales in Berührung, als sie sich weigerten, gegen Deutschland, Österreich und Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg zu spielen. Sie erwarteten, dass jeder in der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) nachziehen würde. Als dies nicht geschah, zogen sie sich vorübergehend aus der Organisation zurück. Seitdem mischt sich die Politik regelmäßig in die Fußballwelt ein. Einer der ersten Momente, der die Überschneidung des politischen Feldes mit dem Fußball zeigt, ist, wenn der italienische Diktator Benito Mussolinis den Sieg der zweiten WM 1934 auf heimischem Boden voraussagte. Die Starspieler Argentiniens wurden „überredet“ und spielten zum Vorteil Italiens. Seltsame Schiedsrichterentscheidungen verstärkten den Heimvorteil Italiens, während den italienischen Spielern mit sofortiger Einberufung in die Armee gedroht wurde, falls sie nicht gewinnen sollten. Mussolini gewann die WM als hässlicher Sieger.[2]

Während sich politische Vereinnahmungen in den Anfängen der FIFA noch in Form von Beeinflussung der Spiel- oder Turnierergebnisse zeigten, offenbarten sich die größten politischen Skandale erst in jüngster Zeit bei Bewerbungen um die Ausrichtung der Weltmeisterschaft. Die Vergaben der WM von 2000 und 2010 gehören zu den größten dieser Skandale. Seitdem sind Jahre vergangen und in dieser Zeit tauchten erdrückend viele Beweise auf. Im Jahr 2000 trat das Exekutivkomitee der FIFA zusammen, um über den Ausrichter des Turniers 2006 zu entscheiden. Es wurde erwartet, FIFA-Präsident Sepp Blatter würde seine entscheidende Stimme zugunsten Südafrikas abgeben. Charles Dempsey, der Präsident der neuseeländischen Föderation, verschwand aber auf mysteriöse Weise, bevor die Abstimmung stattfand, was Deutschland einen überraschenden 12:11-Sieg bescherte. Der Investigativjournalist Andrew Jennings enthüllte, Dempsey sollen 250.000 Dollar gezahlt worden sein, damit er seine Stimme ändert.[3] Dempsey behauptete später, er hätte sowohl vonseiten des Bundeskanzlers Gerhard Schröder als auch des südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela unter unerträglichem Druck gestanden.[4]


Ehemaliger FIFA-Präsident Sepp Blatter. Foto: BrokenSphere via Wikimedia

Die Vergabe der diesjährigen WM an Katar steht jedoch mit Blick auf Skurrilität nicht im Schatten der Vergabe von 2000. Im November 2010 wurde in einem technischen Bericht der FIFA festgestellt, Katar sei neben starken und attraktiven Kandidaten wie Japan, den USA und Neuseeland der einzige Kandidat, der als Gastgeber hohe operationelle Risiken aufweist. Dies lag unter anderem daran, dass eine für die Ausrichtung eines so großen Events notwendige Infrastruktur nicht vorhanden war, die sehr heißen und feuchten Wetterbedingungen die WM in Katar unmöglich machten und der Weltfußballkalender unterbrochen werden müsste, wenn in Katar im Winter gespielt werden sollte. Am 2. Dezember 2010 kündigte der damalige FIFA-Präsident Sepp Blatter die Gastgeberländer der Fußball-WM 2018 und 2022 an: Russland und Katar. Von Beginn an stand die Vergabe unter Verdacht, gekauft worden zu sein. Blatter und der ehemalige UEFA-Präsident Michel Platini sind in der FIFA-Korruptionsuntersuchung wegen Betrugs angeklagt.[5] Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy wurde des gleichen Vorwurfs belastet, der sich am 23. November 2010 im Élysée-Palast in Paris, eine Woche vor der Abstimmung über die Vergabe, mit Platini und dem katarischen Staatsoberhaupt Tamim bin Hamad Al-Thani traf. Platini willigte ein, im FIFA-Ausschuss für Katar einzutreten. Der Wüstenstaat erklärte sich im Gegenzug bereit, den professionellen Fußballklub Paris Saint-German (PSG) zu übernehmen und in Frankreich eine TV-Sportkette aufzubauen. Blatter erklärte der französischen Zeitung „Le Monde“ später, dass Katar die WM ohne die Intervention von Präsident Sarkozy bei Platini nie bekommen hätte.[6]


Die Politik der „unpolitischen“ Fußballverbände

Die FIFA wurde 1904 gegründet und ist der größte Weltfußballverband. Sie besteht gegenwärtig aus 211 Fußballverbänden. In ihren Statuten führt die FIFA vor, dass sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Fußball fortlaufend zu verbessern, sich für Integrität, Ethik und Fairness einzusetzen und Korruption, Missbräuchen oder Spielmanipulationen vorzubeugen. Sie ist für die Durchführung internationaler Wettbewerbe verantwortlich, legt die Regeln im Fußball fest und sichert den freien Zugang im Fußball für jegliches Geschlecht oder Alter. Sie verschreibt sich zudem der Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte.[7] Die Union of European Football Associations (UEFA) erklärt in den Artikeln ihrer Rechtspflegeordnung, dass unangemessenes Verhalten untersagt ist. Darunter fallen Botschaften politischen, ideologischen, religiösen oder beleidigenden Inhalts, die durch Geste, Bild, Wort oder andere Mittel geäußert werden.[8]

Problematisch wird es, sobald Akteure dieses Kalibers politische Macht im Weltfußball ausüben, wenn z.B. Turniere organisiert oder Stadien errichtet werden – gleichzeitig jedoch diese latente gesellschaftliche und politische Macht von sich weisen, sobald sie unter Druck geraten oder Kritik vernehmen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen bei Weltmeisterschaften, Arbeitsumstände von Billiglohnmigranten oder Korruption geht. Die FIFA hat sich trotz der Aufforderung von Menschenrechtsorganisationen den Machenschaften des syrischen Diktators Bashar al-Assads wie Mord, Folter und Terror und damit seiner Zweckentfremdung des Fußballs gegenüber zurückgehalten oder gar passiv bestärkt durch Besuche von FIFA-Delegationen.[9] Es ist denkbar, dass sie Rücksicht auf den Assad-Verbündeten Russland nimmt. In Statements soll die FIFA die Verantwortung von sich gewiesen haben, indem sie kundgab, solche tragischen Umstände gingen weit über den Verantwortungsbereich des Fußballs hinaus.[10]


Baschar al-Assad und Vladimir Putin am 21.11.2017. Foto: Roman Kubanskiy via Wikimedia

Der Weltverband FIFA verbietet per Lippenbekenntnis ferner die politische Vereinnahmung des Fußballs, geriet jedoch in unzählige Korruptionsaffären, die ihn seit langer Zeit erschüttern. Es erfolgten zahlreiche Festnahmen wegen Korruptionsverdachts, um z.B. Unterstützung von Funktionären für die Vergabe der WM nach Katar zu sichern. Der bereits höchst umstrittene FIFA-Präsident Blatter wurde 2015 für 90 Tage wegen Verstoßes gegen den Ethikkodex suspendiert. Blatter soll dem Präsidenten der UEFA Platini Millionen zugeschachert haben, woraufhin im Dezember 2015 Blatter und Platini für jeweils acht Jahre gesperrt wurden.[11] Die FIFA und die UEFA – und damit stehen sie für die meisten Fußballverbände – spielen ein doppeltes Spiel. Einerseits beanspruchen und beteuern die Machthaber, die Gesellschaft und ihre Werte mitzugestalten und Großturniere wie die WM als Anlass für nachhaltige Entwicklung zu betrachten. Das zeige sich z.B. in der Integration von „Ausländern“ im Jugend- und Amateurfußball oder bei dem Anspruch, mit Fußball internationale Völkerverständigung herbeizureden. Die Behauptung, Sport eröffne Gesellschaften, erweist sich jedoch oft als falsch: In fast allen Austragungsorten entstehen Strukturen wie Flughäfen, Straßen, Wohnviertel – profitieren tun aber in der Regel Politiker, Funktionäre und Baukonzerne. Die WM in Brasilien 2014 ist hierfür ein gutes Beispiel: Die Polizeigewalt steigt durch das Hochfahren des Sicherheitsapparats. Sportstätten und Stadien werden nicht mehr angemessen genutzt, zeitgleich leiden Gesundheitswesen und Bildung unter Finanzknappheit.[12] Andererseits möchte man aber mit den Konsequenzen nichts zu tun haben wie etwa mit der Kritik an autokratischen Zuständen in Ausrichterländern von Großereignissen. Dadurch verwickeln sich die Verantwortlichen immer wieder in Widersprüche. Menschenrechtsorganisationen wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Human Rights Watch und Amnesty International nehmen Fußballverbände wie die FIFA, den Deutschen Fußball-Bund (DFB) etc. hier in die Pflicht zu handeln und Druck auf autokratische Regierungen auszuüben.[13]

Dieser Blogbeitrag ist der erste Teil eines in Kürze anschließenden zweiten Teils. In der Fortsetzung soll den Spuren rund um Marketing & Reputationspflege, Sicherheitspolitik, Wirtschaft & „Gemeinnützigkeit“ in Verbindung mit Fußball nachgegangen werden.


Quellen

[1]https://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/doha-deutsche-bahn-vor-milliarden-auftrag-in-katar/20057142.html

[2]https://theconversation.com/fixed-matches-and-prisoners-of-conscience-a-history-of-politics-intruding-on-football-96913

[3]https://www.dailymail.co.uk/sport/article-3223727/250-000-suitcase-Germany-bought-World-Cup-shady-deals-lead-FBI-Sepp-Blatter-s-door.html

[4]https://theconversation.com/fixed-matches-and-prisoners-of-conscience-a-history-of-politics-intruding-on-football-96913

[5]https://www.spiegel.de/sport/fussball/joseph-blatter-und-michel-platini-wegen-betrugs-angeklagt-a-2735e858-084c-46b8-bfd2-7d5cf5622087

[6]https://www.rnd.de/sport/fussball-wm-2022-warum-in-katar-war-die-wm-vergabe-gekauft-JWKIH3I7MBEAPB4ENUHMUYYHGY.html

[7] https://digitalhub.fifa.com/m/24e7ebf51adb535c/original/upjo9uvafywdznh4wu73-pdf.pdf

[8] https://documents.uefa.com/v/u/kmAnEshiaFkCrh_UA_72Tw

[9] https://diary.thesyriacampaign.org/fifa-betrays-syrian-football-players/

[10] https://www.fr.de/sport/fussball/spielzeug-propaganda-11414925.html

[11] https://www.kicker.de/chronologie-der-fifa-korruptionsaffaere-635927/artikel

[12] https://www.tagesschau.de/brasilien-160.html

[13] https://www.gfbv.de/de/news/keine-spiele-fuer-diktatoren-fifa-soll-menschenrechte-bei-vergabe-von-weltmeisterschaften-mehr-berue/;

https://www.hrw.org/news/2021/12/18/fifa-and-qatar-need-do-more-migrant-workers; https://www.amnesty.org/en/latest/news/2021/03/qatar-fifa-must-act-on-labour-abuses-as-world-cup-qualifiers-kick-off/

https://www.gfbv.de/de/news/keine-spiele-fuer-diktatoren-fifa-soll-menschenrechte-bei-vergabe-von-weltmeisterschaften-mehr-berue/

https://www.hrw.org/news/2021/12/18/fifa-and-qatar-need-do-more-migrant-workers

Qatar: FIFA must act on labour abuses as World Cup qualifiers kick off 

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