Türkischer Drohnenkrieg gegen Kurd*innen – mit deutscher Unterstützung?

„Die Sicherheit wird (…) bei allen Bestrebungen im Vordergrund stehen (…)“, schreibt die Bundesregierung zu UAS[1] (Unmanned Aircraft Systems) – und lässt dennoch zu, dass deutsche Rüstungsunternehmen Technologie für die türkischen Kampfdrohnen liefern, die in kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt werden.

Von Alicia Kupka; Foto: Das türkische Aushängeschild: Die Kampfdrohne Bayraktar TB2

Aufrüstung der Türkei – mit deutscher Technologie

Die Türkei rüstet seit Jahren im Bereich der UAS auf, gehört inzwischen mit zu den führenden Ländern weltweit. Sie setzt verstärkt auf ihren Einsatz sowohl im eigenen Land als auch in den Kriegsgebieten in Syrien, Libyen oder Armenien mit dem Ziel, eine Regionalmacht zu werden. Die Kampfdrohne Bayraktar TB2 des türkischen Herstellers Baykar, ein Unternehmen geführt vom Schwiegersohn des Präsidenten, ist das Aushängeschild. Sie ist sechseinhalb Meter lang mit einer Flügelspannweite von 12 Metern und in der Lage, bis zu 9.000 Meter hochzufliegen – die vollautonome Steuerung macht zudem eine menschliche Steuerung nicht notwendig.

Fehlende technologische Kenntnisse gleicht die Türkei mit Hilfe deutscher Rüstungsfirmen aus und der Zustimmung der deutschen Bundesregierung aus: Ein „Zielerfassungssystem“ kommt mit dem System Argos II HDT von einer in Südafrika sitzenden Tochterfirma des deutschen Unternehmen Hensoldt, an dem die Bundesregierung eine Sperrminorität von 25,1 Prozent besitzt. Doch in Anspruch nehmen tut sie diese nicht – stattdessen nutzt das Unternehmen aus, dass deutsche Beschränkungen für die Rüstungsindustrie eben nur auf deutschem Boden gelten.[2] Aber auch anderen deutsche Unternehmen investieren in und profitieren vom Technologieaustausch mit der Türkei, beispielsweise MT-Propeller, SMS Smart Microwave Sensor GmbH oder die Firma Hengst. „Wenn die Türkei darüber nicht verfügt hätte, hätte sie vermutlich noch fünf bis zehn Jahre gebraucht, um selbstständig in der Lage gewesen zu sein, solche Technologie dann auch herzustellen und einzusetzen“, sagt Simone Wisotzki von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

Türkische Drohnen bedrohen und zerstören kurdisches Leben

Was sich auf den ersten Blick alles sehr theoretisch liest, hat in der Realität insbesondere für die Kurd:innen in ihren vier Hauptsiedlungsländern Türkei, Syrien, Irak und Iran dramatische Auswirkungen. Seit der Präsidentschaftswahl 2015 geht der türkische Präsident Erdoğan wieder verstärkt gegen Kurd*innen vor: Gegen Abgeordnete der prokurdischen Partei HDP wird rechtswidrig ermittelt, in HDP-geprägten Gebieten Ausgangssperren verhängt und die beiden Vorsitzenden festgenommen. Gewählte Regionalpolitiker werden ebenfalls von der türkischen Regierung abgesetzt und kurdische Menschen mit einer regierungskritischen Haltung entweder unter Arrest gestellt oder mit langjährigen Haftstrafen belegt. Auch in den Medien weiß die türkische Regierung Propaganda gegen Kurd*innen zu nutzen, sodass in der Gesellschaft nationalistisch und rassistisch motivierte Angriffe auf Kurd*innen keine Seltenheit sind. Zu dieser gesellschaftlichen Lage der Kurd*innen in der Türkei kommt nun zusätzlich die militärische Intervention der türkischen Regierung: Viele kurdische Gebiete, auch außerhalb der Türkei, sind immer wieder für längere Zeit unter Beschuss und bei den Angriffen gibt es regelmäßig Tote und Verletzte, unter ihnen auch Zivilpersonen.

Die Türkei rechtfertigt dies unter anderem damit, dass die Angriffe gegen die verbotene kurdische Partei PKK gerichtet seien – die nach Syrien und in den Irak gegangen sind. Die folgende Auflistung der Einsätze türkischer Kampfdrohnen gegen Kurd*innen[3] zeigt, dass die Gefahr durch türkisches Militär für sie in ihren Siedlungsgebieten in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist:

2017

Am 01. September trifft eine türkische Drohne das Dorf Talê (Oğul) in (Türkei/ Nordkurdistan) und verletzt vier Menschen. Am selben Tag verstarb Mehmet Temel. İbrahim Sak, Musa Tarhan und İsmail Aydın wurden schwer verletzt und mussten mehrmals operiert werden.

2018

Im Januar startete die Türkei im Zuge einer Militärinvasion in Afrin (Efrîn, Nordsyrien) Luftangriffe, unter anderem mit Kampfdrohnen, bei denen bis Ende Februar 176 Zivilpersonen ihr Leben verloren und 484 verletzt wurden, unter ihnen viele Frauen und Kinder.

2019

Am 19. November griffen türkische Kampfdrohnen die yezidische Stadt Chana Sor (Xanesor, Kurdistan/Irak) an, zunächst werden fünf Mitglieder der Widerstandseinheiten Şengals (YBŞ) verletzt. Egîd Şengalî starb am darauffolgenden Tag an seinen Verletzungen.

2020

Am 15. April kamen durch einen Angriff türkischer Kampfdrohnen Eyşê Ehmed Ferhan, Ezîme Akdogan und Hewa Akdogan im Geflüchtetencamp Mexmûr (Kurdistan/Irak) ums Leben.

Am 23. Juni in Kobanê (Nordsyrien) werden Zehra Berkel, Hebûn Mele Xelîl und Amina Waysî durch eine türkische Kampfdrohne getötet. Zehra Berkel hatte eine Führungsposition in der Frauenorganisation „Kongreya Star“ inne und auch die anderen beiden Frauen engagierten sich in der Frauenbewegung.

2021

Am 19. August stirbt Sosin Bîrhat, Mitglied der „Frauenverteidigungseinheiten“ (YPJ) und „Demokratischen Kräfte Syriens“ (SDF), bei einem Angriff einer türkischen Drohne auf eine Verwaltungseinheit des Militärrats im assyrischen Tell Tamer (Nordsyrien). Drei weitere Angehörige der SDF, Egîd Girkêlegê, Rubar Hesekê und Seyfullah Ehmed, werden durch den Angriff ebenfalls getötet. Eine Woche später, am 24. August, verletzte ein erneuter Drohnenangriff in einem in der Nähe liegenden Dorf Amina Khader und einen weiteren Mann.

Am 07. Dezember wurde der ezidische Politiker Merwan Bedel in der Stadt Chana Sor in der Nähe von Sinjar (Şengal), dem Hauptsiedlungsgebiet der Yezid*innen durch einen türkischen Drohnenangriff getötet, während er mit seinen zwei Kindern im Auto saß. Die beiden können aus dem Auto gerettet werden und überleben.

Forderungen an die Bundesregierung und deutsche Rüstungskonzerne

Diese Betrachtung der Jahre seit 2016 zeigt, dass die Einsätze von Kampfdrohnen der Türkei auf Kurd*innen und andere Minderheiten angestiegen sind und sie dadurch immer mehr in Gefahr geraten, verletzt oder getötet zu werden. Ein weiteres Problem ist die Expansion der türkischen Rüstungsindustrie ins Ausland, wodurch die türkischen Drohnen in einer großen Anzahl von militärischen Auseinandersetzungen weltweit eingesetzt werden und dort ebenfalls Menschenleben bedrohen.

Die deutsche Bundesregierung muss nun Auflagen an die eigene Rüstungsindustrie stellen, die es jener verbietet, weiterhin mit ihrer Technologie dieses sinnlose Sterben von Menschen zu unterstützen. Außerdem muss sie ihre Sperrminorität in der Firma Hensoldt umsetzen. Aber vor allem muss auch die gesamte deutsche Rüstungsindustrie endlich aufhören, sich lediglich am eigenen Profit zu orientieren und ihre Lieferungen an die Türkei mit sofortiger Wirkung einstellen.


[1] Seite 7

[2] Video, Minute 03:12-03:18

[3] Es ist keine vollständige Aufzählung der türkischen Drohnenangriffe seit 2016, sondern eine bewusste Auswahl an Angriffen in den Jahren 2017-2021, die zeigen, wie dramatisch die Lage ist

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