Erklärung Seiner Heiligkeit, des amtierenden 14. Dalai Lama, zum 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte / Statement by His Holiness the 14th Dalai Lama on the 75th Anniversary of the Universal Declaration of Human Rights

Gerichtet an die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
Original below

Foto: NIH Image Gallery

Der 75. Jahrestag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte soll uns daran erinnern, dass es sich dabei um ein wegweisendes Dokument in der Geschichte unseres Planeten handelt. Die Erklärung bekräftigt, dass alle Menschen das Recht haben, frei von Not und frei von Furcht zu sein. Die Menschenrechte gelten inklusiv, unabhängig und universell.

Inspiriert von dieser Deklaration bin ich optimistisch, dass sich die Menschen in der ganzen Welt zunehmend des grundlegenden Wertes dieser Menschenrechte bewusst werden. Es besteht ein großer und zunehmender Wunsch nach Veränderung in der Welt – nach Veränderung, die auf einem gewaltfreien Ansatz zur friedlichen Lösung von Konflikten beruht, auf der Grundlage des Dialogs. Eine solche Veränderung hin zur allgemeinen Wahrung der Menschenrechte und der Menschenwürde muss auch den Aspekt der Verantwortung der Menschen berücksichtigen. Wir brauchen wirksame internationale Maßnahmen, um die globalen Probleme aus der Perspektive der Einheit der Menschheit – und aus einem tiefen Verständnis der vielfältig vernetzten Natur unserer Welt heraus – anzugehen.

Alle Menschen sind von Geburt an mit jenen Eigenschaften ausgestattet, die wir zum Überleben brauchen – im Wesentlichen liebevolle Güte und Mitgefühl für andere. Wir müssen größere Anstrengungen unternehmen, um diese Qualitäten zu erhalten und weiterzuentwickeln, ohne andere nach dem Prinzip von „wir“ und „die“ zu beurteilen und diese Unterscheidung auf eher nebensächliche Dinge wie politische oder religiöse Differenzen zu stützen. Wir alle sind Menschen mit den gleichen Rechten und Bedürfnissen.

Wenn wir akzeptieren, dass andere dasselbe Anrecht auf Frieden und Glück haben wie wir selbst, tragen wir selbstverständlich die Verantwortung, denen zu helfen, die in Not sind. Der Wunsch nach Demokratie und Respekt für diese fundamentalen Rechte sind für die Menschen in Afrika und Asien genauso wichtig, wie für diejenigen in Europa oder Amerika.

Armut trägt nach wie vor in erheblichem Maße zu sozialen Verwerfungen, zu Krankheit, Leid und sogar zu bewaffneten Konflikten bei. Die Kluft zwischen den „Besitzenden“ und den „Habenichtsen“ ist ein schwerwiegendes Problem. Die internationale Gemeinschaft muss alles tun, was in ihrer Macht steht, um dieses ökonomische Ungleichgewicht zu überwinden.

Wir alle wollen in Frieden leben und wir alle haben das Recht, frei von Angst zu leben. Eine der verheerendsten Ursachen menschlichen Leids war im letzten Jahrhundert und darüber hinaus jedoch der Rückgriff auf Einschüchterung, auf Gewalt und Blutvergießen als Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten. Es ist nun von entscheidender Bedeutung, dass wir gemeinsame Anstrengungen unternehmen und einen absolut friedlichen Ansatz zur Lösung von Konflikten durch Dialog verfolgen. Der Rückgriff auf Gewalt hinterlässt nichts als Zerstörung und menschliche Tragödien – und legt gleichzeitig den Grundstein für wiederkehrende Gewalt in der Zukunft.

Ich bin zutiefst traurig über Gewaltausbrüche, wann und wo immer sie auftreten. Ich bete für diejenigen, die ihr Leben verloren haben – ebenso wie für diejenigen, die auf andere Weise von solchen Konflikten betroffen waren und sind. Ich bete ständig für eine dauerhafte Lösung von Konflikten mit friedlichen Mitteln.

Das alte indische Konzept der Gewaltlosigkeit, Ahimsa, ist ein wahrer Ausdruck von Mitgefühl, Karuna. Es beinhaltet ein Gefühl der Nähe zu anderen in Verbindung mit einem Verantwortungsbewusstsein für ihr Wohlergehen. Die Grundlage für die Entwicklung eines solchen Mitgefühls ist die Erkenntnis, dass andere Menschen genauso wie wir Glück anstreben und kein Leiden wollen. Wir sollten daher bestrebt sein, Meinungsverschiedenheiten im Geiste der Gewaltlosigkeit und des Mitgefühls zu lösen.

Mit meinen Gebeten für das Wohlergehen der gesamten Menschheit, jetzt und in Zukunft.

27. November 2023, Dharamsala, Indien


Celebrating the 75th anniversary of the adoption of the Universal Declaration of Human Rights reminds us that it is a landmark document in the history of our planet. The declaration affirms that all human beings have the right to freedom from want and freedom from fear. These human rights are inclusive, interdependent and universal.

Inspired by this declaration, I am optimistic that people throughout the world are increasingly conscious of the fundamental value of human rights. There is a great and growing desire for change in the world – change founded on a non­violent approach to resolving conflicts peacefully, on the basis of dialogue. The kind of change that upholds human rights and human dignity must also involve human responsibility. We need effective international action to address global issues from the perspective of the oneness of humanity, and from a profound understanding of the deeply interconnected nature of our world.

All human beings are endowed at birth with the qualities we need for our survival – essentially, loving kindness and concern for others. We need to make greater efforts to sustain and develop these qualities without seeing others in terms of ‚us and ‚them‘, basing our distinction on political or religious differences which are secondary. We are all human beings with the same rights and needs.

If we accept that others have an equal right to peace and happiness as ourselves, naturally we have the responsibility to hclp those in need. The aspiration for democracy and respect for fundamental human rights are as important to the people of Africa and Asia as they are to those in Europe or the Americas.

Poverty continues to be a significant contributor to social disharmony, ill health, suffering and even armed conflict. The gap between the ‚haves‘ and ‚have-nots‘ is a major problem. lt is very important that the international community do whatever it can to bridge this econornic disparity.

We all want to live in peace and we all have a right to live in freedom from fear. However, over the last century and more, one of the most devastating causes of human suffering has been the recourse to inlimidation, violence and bloodshed to settle disputes. lt is vital that we must make concerted efforts to adopt an entirely peaceful approach to resolving conflicts by engaging in dialogue. Resorting to violence leaves nothing but destruction and human tragedy in its wake, while sowing seeds for a recurrence of violence in the future.

I am deeply saddened whenever and wherever violence occurs. I pray for those who have lost their lives as well as those who have been affected by these conflicts in other ways. I continually pray for a lasting resolution of conflicts by peaceful means.

The ancient Indian concept of non-violence, ahimsa, is a true expression of compassion, karuna. lt involves a feeling of closeness to others combined with a sense of responsibility for their welfare. The basis for developing such compassion is the recognition that other people are just like us in wanting happiness and not wanting suffering. Therefore, we must endeavour to resolve disputes in a spirit of non-violence and compassion.

With my prayers for the wellbeing of the whole of humanity, now and in the future.

Nov 27, 2023, Dharamsala, India


Das Schreiben im Original können Sie auch hier als PDF herunterladen.

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