Indigene Menschenrechtsverteidigerinnen trotzen Bedrohungen

Sich für Menschenrechte einzusetzen – das reicht in vielen Regionen der Welt schon aus, um in Gefahr zu geraten. Während sich engagierte Frauen zusätzlich geschlechtsspezifischen Bedrohungen gegenübersehen, sind indigene Frauen besonders gefährdet. Dennoch gibt es viele indigene Aktivistinnen, die allen Widrigkeiten trotzen und sich aktiv und laut für ihre Rechte einsetzen.

Von Linda Fiene, GfbV-Referentin in Berlin; Foto: GfbV-Archiv

Menschenrechtsorganisationen dokumentieren, dass Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen (MRV) in den letzten Jahren weltweit kontinuierlich zunehmen. Repressiven oder diktatorischen Regimen sind sie oft ein Dorn im Auge, da sie für Freiheit, Gleichheit oder Demokratie einstehen. Daneben üben Unternehmen oder nicht-staatliche Akteure wie Milizen Druck auf MRV aus, wenn diese ihre wirtschaftlichen Interessen als umweltschädlich oder menschenrechtsfeindlich enttarnen. Zu den Einschüchterungsstrategien gegen MRV gehören unter anderem Drohungen und Kriminalisierung, aber auch Gewalt, Folter und Mord. Aufgrund der vorherrschenden Ungleichheit und (Mehrfach-)diskriminierung sind manche Gruppen von MRV besonders bedroht.

Menschenrechtsverteidigerinnen sprengen ihre zugeteilten Rollenbilder

Der Kontext, in dem Frauen sich weibliche Menschenrechtsverteidigerinnen (WMRV) stark machen, ist in vielen Gesellschaften weltweit noch immer geprägt von traditionellen Geschlechterrollen und sozialen Vorstellungen, wie Frauen auszusehen und sich zu verhalten haben. Es ist gefährlich, wenn Regierungschefs oder Führungspersonen frauenfeindliche, sexistische Sprache verwenden, denn sie macht Diskriminierung und Gewalt salonfähig. Ein Beispiel ist Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro: Er bezeichnet Frauen als minderwertig, darunter seine eigene Tochter und befürwortet schlechtere Bezahlung für Frauen. Nebenbei spricht er sich für Folter aus und zeigt offen seinen Rassismus gegenüber der indigenen und afrobrasilianischen Bevölkerung. Auch der U.S.-Amerikanische Präsident Donald Trump beleidigt offen Journalistinnen oder Politikerinnen und findet sexuelle Belästigung „okay“.

Frauen, die sich politisch engagieren und lautstark für sozialen Wandel einsetzen, werden daher als „störend“ angesehen. Den Privilegierten wäre es lieber, wenn sie „auf ihrem Platz“ und somit still blieben. Aktivistinnen brechen Tabus, wenn sie über Vergewaltigungen oder sexualisierte Gewalt sprechen. Sie bekommen den Zorn von Fundamentalist*innen und Konservativen zu spüren, wenn sie sich beispielsweise für Abtreibung einsetzen.

Wie sehen geschlechtsspezifische Bedrohungen aus?

Zu den Gefahren zählen verbale und physische Gewalt, besonders auch sexualisierte Gewalt (z.B. sexuelle Belästigung und Vergewaltigung), bis hin zu Folter und Mord. Aber auch bloße Gerüchte, beispielsweise über eine Vergewaltigung, können bereits weitreichende Folgen haben und zu Stigmatisierung und Ausgrenzung führen.

Weibliche Menschenrechtsverteidigerinnen (WMRV) sind aufgrund der Rollenbilder vermehrt Schikanierungen oder Schmutzkampagnen ausgesetzt. Damit sollen sie diskreditiert und isoliert werden. Beschimpfungen und Anschuldigungen wie „Terroristinnen“ oder „Verräterinnen“ sind gängige Beispiele. Zum einen richten sich Attacken gegen das, was Frauen tun, zum anderen aber auch gegen das, was sie angeblich sind, wie „schlechte Mütter/Ehefrauen“, „verrückt“ oder „unmoralisch“. Damit wird nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihr Charakter, ihr Körper oder Familienstand zur Zielscheibe für sexistische und frauenfeindliche Sprache. Auch online sind WMRV Drohungen, Hasskommentaren oder sonstigen Belästigungenausgesetzt. Mobilisierungen gegen die Aktivistin oder Aufrufe zur Gewalt können dann in die offline-Welt überlaufen. Gegner*innen machen auch vor Familienmitgliedern der Frauen nicht halt, auch sie werden bedroht oder angegriffen. Daneben kommen Online-Stalking, Hacking von E-Mail-Konten oder andere Überwachungsformen gegen WMRV zum Einsatz.

Zusätzlich kann es vorkommen, dass aus eigenen Reihen Druck auf WMRV ausgeübt wird, ihren Aktivismus niederzulegen. Durch Diskriminierung und patriarchale Strukturen in den eigenen Familien sind Frauen ungleich mehr häuslicher Gewalt und wirtschaftlicher Abhängigkeit ausgesetzt. Besonders in ländlichen Gebieten haben Frauen weniger Möglichkeit für Nebenerwerbstätigkeit, die sie von ihren Familien und Ehemännern finanziell unabhängig machen könnte.

Staaten bleiben dabei oft untätig oder unwillig, WMRV zu schützen. Einerseits kann die Regierung selbst WMRV einschüchtern oder sie unrechtmäßig festnehmen und einsperren. Andererseits kann der Staat es unterlassen, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen und juristisch zu verfolgen, die Aktivistinnen bedrohen oder ihnen Gewalt antun. Diese Straflosigkeit sendet das Signal, dass es gesellschaftlich akzeptiert ist, Frauen zu beleidigen, anzugreifen oder zu ermorden.

Indigene Menschenrechtsverteidigerinnen beweisen Mut

Indigene Frauen, die sich für Umwelt- und Menschenrechte einsetzen, haben nicht nur mit patriarchalen Strukturen zu kämpfen, sondern ebenso mit Rassismus und „weißen“ (bzw. nicht-indigenen) Privilegien. Indigene Gruppen sind fast überall wirtschaftlich und sozial marginalisiert und strukturell diskriminiert, beispielsweise beim Zugang zu öffentlichen und politischen Positionen. Oftmals haben Staat, Unternehmen oder andere Akteure wirtschaftliche Interessen an indigenem Land: Planen sie beispielsweise folgenreiche Großprojekte oder die Ausbeutung von Rohstoffen, ist der Einsatz zum Schutz von indigenen Rechten diesen Akteuren ein Dorn im Auge. In diesem Kontext werden indigene Aktivistinnen als „einfache“ Ziele für Attacken gesehen. Sie gelten als „schwach“ und „vulnerabel“ – auch weil der Staat kein Interesse daran hat, sie zu schützen.

Dennoch nehmen viele indigene Frauen die Risiken auf sich und machen sich stark für indigene Rechte und die Umwelt. Sie sind bedeutende Akteurinnen im Kampf gegen Diskriminierung und im Einsatz für sozialen Wandel. Immer häufiger studieren junge indigene Frauen, übernehmen wichtige politische und gesellschaftliche Positionen und vernetzen sich international. Damit überwinden sie alte, stereotype Rollenbilder und schaffen sich einen neuen Platz in der Gesellschaft.


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