Der Online-Dienst Instagram ist gewöhnlich ein Ort, in dem Katzenfotos geteilt werden oder neue Selfie-Trends entstehen. Nicht so jedoch in Tschetschenien, wo der Regierungschef Kadyrow martialische Drohungen gegen Aktivisten und Oppositionelle über Instagram verbreitet.
von Sarah Reinke; Foto: Instagram
“Tarzan” heißt der Hund, den Ramzan Kadyrow, Regierungschef in Tschetschenien, auf dem Instagram-Foto an der Leine hält. Der Kaukasische Owtscharka zerrt am Strick, mit dem Kadyrow ihn festhält, Speichel tropft aus seinem weit aufgerissenen Maul. Gepostet hat das Foto der Kadyrow-Vertraute Magomed Daudov. Großen Appetit hätte „Tarzan“ auf „ausländische“ Hunde – eine Bezeichnung, mit der Daudov wichtige Vertreter der russischen Opposition meint. Dabei scheut Daudov auch nicht im davor zurück, durch erniedrigende, aber klar verständliche Spitznamen bestimmte Aktivisten und Oppositionelle herauszustellen: Den Antikorruptionsaktivisten Aleksej Navalny, Ilja Jaschin, ein Vertrauter des ermordeten Boris Nemzow, den Chefredakteur des Radiosenders „Echo Moskau“ Aleksej Wenediktov sowie die Menschenrechtsverteidiger Lev Ponomarjov und Igor Kaljapin. Für die Genannten ist es ein brandgefährlicher Post, der zudem nur wenige Tage nach einer Provokation Kadyrows online ging, in der er die russische Opposition als „Feinde des Volkes“ bezeichnet hat. Ein Ausdruck, der einem während der Sowjetzeit einen sicheren Platz im Gulag verheißen hat. Einen Tag nach dem Instagram-Post setzte Kadyrow persönlich noch eins drauf: In der staatstreuen Zeitung „Izvestia“ bezeichnet er Putins Kritiker als „Schakale“, man solle sie in psychiatrische Anstalten in Tschetschenien sperren und ihnen großzügig Spritzen verabreichen. Ein Artikel in der „Izvestia“ erscheint dabei nicht einfach so. Putin hat seinen kaukasischen Schäferhund von der Leine gelassen , auch oder gerade, um in Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs Angst zu verbreiten.
Russische Menschenrechtler gedenken der Journalistin Anna Politkovskaja. Die investigative Journalistin, die 2006 im Treppenhaus ihres Wohnhauses in Moskau ermordet aufgefunden wurde, war berühmt für ihre kritische Berichterstattung über den Krieg in Tschetschenien.
Diejenigen Kritiker, die namentlich von Kadyrow oder seinen Vertrauten genannt werden, schweben in Lebensgefahr. Denn Kadyrow schreckt nicht vor Mord und Terror zurück. So sollen er und seine Regierung, gestützt von rund 20.000 schwer bewaffneten, gut ausgebildeten und ihm einhundert Prozent treuen Kämpfern, hinter dem Mord an Boris Nemzow vom 27. Februar 2015 stehen. Systematisch hat er alle seine politischen Gegner in Tschetschenien, der Russischen Föderation, der Türkei, Dubai, sogar in Österreich ermorden lassen, ganz zu schweigen von den Morden an Menschenrechtsverteidigerinnen wie Natalja Estemirowa, Zarema Sadullaeva und Anna Politkovskaja. Konsequenzen seines Handels muss er allerdings nicht befürchten. Ganz im Gegenteil: Putin bestärkt und ermutigt Kadyrow. Anfang 2016 übereignete das russische Kabinett Tschetschenien auf Anraten Putins ein großes Ölunternehmen. „Tschetschenneftechimprom“ war Teil des russischen Staatskonzerns Rosneft. Kadyrow warf Rosneft vor, die tschetschenische Firma nicht gut zu führen und das Potential nicht zu nutzen. Wenn das Unternehmen in tschetschenische Hände käme, würde man in Tschetschenien mehr Arbeitsplätze in der Ölindustrie schaffen. So begründete er seinen Antrag zur Überschreibung von „Tschetschenneftechimprom“ vom 3. Dezember 2015. Kadyrow ist mit der Übereignung gelungen, was tschetschenische Regierungen und Behörden seit vielen Jahren versuchen: die Rechte am tschetschenischen Öl zu bekommen. Putin hat mal wieder Kadyrows Wunsch erfüllt, obwohl dieser in Tschetschenien die russischen Gesetze in den Dreck tritt.
Sippenhaftung und öffentliche Demütigungen sind nur einige der Mittel, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu halten.
In Tschetschenien herrscht Kadyrow durch Angst und Repressionen. Doch sein Terror verbreitet er auch über die Grenzen der autonomen Republik hinaus. Als am 24. Dezember 2015 Tschetschenen in Wien gegen die Politik Kadyrows demonstrierten, antwortete er mit Drohungen. Am 30. Dezember 2015 schwor er im Fernsehen, die Familien der Tschetschenen, die an den Protesten in der österreichischen Hauptstadt teilgenommen hatten, in Tschetschenien ausfindig zu machen und dafür zu sorgen, dass diese wiederum ihre Angehörigen in der Diaspora zum Schweigen bringen. „Unser Brauch ist es, dass der Bruder für seinen Bruder verantwortlich ist. Ich habe den Befehl gegeben, herauszufinden, ob sie [die Protestierenden] Brüder und Väter haben, zu welcher Familie sie gehören, wo sie geboren wurden und wer sie sind“, sagte Kadyrow. Er wolle “alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, damit die Familien in Tschetschenien ihre Angehörigen im Ausland zur Vernunft bringen. Wenn sie keine Entscheidungen treffen, werden wir ihnen befehlen, das zu tun“, warnte Kadyrow.
Dass der Druck Kadyrows funktioniert, zeigt das Beispiel von Aishat Inaeva: Anfang 2015 tauchte über den Internetdienst WhatsApp eine Sprachnachricht von der Sozialarbeiterin auf. In ihr kritisiert sie, dass ein Großteil der Bevölkerung in Armut lebe, die Regierung aber reich sei. Alle öffentlich gezeigten Wohlfahrtsaktivitäten dienten nur der Eigenwerbung. Am 18. Dezember musste sie gemeinsam mit ihrem Ehemann in der Gegenwart von Kadyrow und weiteren Angehörigen seiner Administration diese Kritik während einer Fernsehsendung öffentlich zurück nehmen. Der Ehemann entschuldigte sich, er habe seine Frau nicht unter Kontrolle gehabt und Kadyrow erniedrigte das Ehepaar. Inaeva soll zuvor geschlagen worden sein. Nach dem Fernsehauftritt kritisierte Isa Achjadow, ein Tschetschene im französischen Exil, die Behandlung Inaevas. Die Reaktion der Kadyrow-Behörden ließ nicht lange auf sich warten. Nur Tage später erschienen sein Bruder und weitere seiner Verwandten im tschetschenischen Fernsehen, sagten sich von Isa Achjadow los und enterbten ihn öffentlich.
Der tschetschenische Regierungschef postet täglich auf Instagram Auszüge aus seinem Leben. Mal ist er im Fitnessstudio, in der Moschee beim Beten oder mit Freunden beim Essen. Dazwischen finden sich auch politische Kommentare oder Fotos, die seine Loyalität zu Putin zum Ausdruck bringen. Kritik ist dabei nicht erwünscht.
Diese öffentlichen Demütigungen haben fast schon eine Tradition in Tschetschenien. Beispiel dafür ist das Verfahren gegen den Historiker und Bürgerrechter Ruslan Kutaev 2014. Aus einem allgemein geachteten Bürger machte das Gerichtsverfahren einen Drogensüchtigen, der unter Folter zugab, süchtig zu sein und Verbrechen begangen zu haben, dies alles wurde im Fernsehen übertragen. Ein weiterer Fall hat einen Post auf dem Internetdienst Instagram zum Thema. Adam Dikajew machte sich lustig über ein Video, was von Kadyrow selbst auf diesen Dienst hochgeladen wurde und auf dem der Tschetschene sich mit einem T-Shirt mit Präsident Putins Konterfei in einem Fitnessstudio zeigt. „Und der Zar (…) singt „Mein bester Freund ist Präsident Putin“, kommentierte Dikajew und kritisierte, dass Kadyrow Putin verehre, der für einen entsetzlichen Krieg gegen Tschetschenien verantwortlich sei. Dikajews Post wurde entfernt und durch ein Video ersetzt, das diesen selbst ohne Hosen zeigt. Das ist eine besonders entwürdigende Demütigung für einen Tschetschenen. Dikajew sagt in diesem Video, er habe einen Fehler gemacht. „Von jetzt an ist Putin mein Vater, mein Großvater und mein Zar“.
„Das Schlimmste ist nicht, dass sie dich ermorden, sondern, dass sie dich öffentlich erniedrigen, dass sie aus dir einen Drogensüchtigen machen oder eine Prostituierte“, gibt ein Opfer einer solchen öffentlichen Demütigung in einem Gespräch an. Die Führung Tschetscheniens weiß genau, wie sie ihre Bevölkerung erniedrigen kann, denn eine öffentliche Demütigung eines Familienmitglieds zieht die gesamte Familie, ja den ganzen Clan (Teip) in den Dreck und verlangt auch nach einer Reaktion.
Kadyrow sei „eine Schande für Russland“ kommentierten führende russische Demokraten in einem offenen Brief. Darauf reagierte Grosny sofort mit massiven Drohungen, so dass manche Unterzeichner des Briefes sich umgehend bei Putins Ziehsohn Kadyrow entschuldigten. Putin ließ ihn auch hier gewähren. Denn der tschetschenische Regierungschef ist der Person Putin gegenüber treu und loyal. Dies nutzt dem russischen Präsidenten. Kadyrow garantiert für Putin relative Ruhe in Tschetschenien. So lange das so bleibt, kann er dafür in Tschetschenien und zunehmend darüber hinaus tun und lassen, was er möchte.
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Zur Autorin
SARAH REINKE ist Leiterin des GfbV-Büros in Berlin und gleichzeitig Referentin für die GUS-Staaten. Sie verfügt über tiefgreifende Kenntnisse der Lage bedrängter Minderheiten in dieser Region, hält ständig Kontakt zu Betroffenen und gibt ihnen eine Stimme.
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