Mordfall Nemzow – Manipulationen aus Rücksichtnahme auf Ramzan Kadyrow und den FSB?

Der Hauptschuldige im Mordfall Nemzow hat zahlreiche Verletzungen an seinem Körper. Die Ermittlungen verdecken die Spuren zum tschetschenischen Präsidenten Kadyrow. Alles weist darauf hin, dass der interne Kampf zwischen dem russischen Geheimdienst FSB und Ramzan Kadyrow zugunsten des letzteren ausgegangen ist.

von Sarah Reinke; Foto: Flickr/Evgeniy Isaev

Andrej Babuschkin, Leiter der Organisation „Komitee für Bürgerrechte“, einer der wichtigsten Menschenrechtler Russlands und Mitglied des Menschenrechtsrats beim Kreml, besuchte gemeinsam mit einer Journalistin am 10. März 2015 den wegen Mordes an Boris Nemzow festgenommenen Tschetschenen Zaur Dadajew  in der Untersuchungshaft. Nach dem Besuch berichtete Babuschkin, dass Dadajew seine Unschuld beteuert habe. Der Anwalt des Tschetschenen bestätigte diese Aussagen und teilte mit, dass sein Mandant für die Tatzeit ein Alibi habe. Schlimmer allerdings ist, dass Babuschkin „zahlreiche Verletzungen“ an Dadajew bemerkte. An seinen Hand- und Fußgelenken seien „Abschürfungen“ zu erkennen, die von Handschellen verursacht wurden und die Finger und Zehen des Angeklagten seien verletzt. „Wir können nicht bestätigen, dass er gefoltert wurde, aber wir haben zahlreiche Verletzungen an seinem Körper entdeckt“, sagte Babuschkin. Seit der Menschenrechtler diese Aussagen getätigt hat, darf er Dadajew nicht mehr besuchen. Er wurde sogar vom russischen Geheimdienst als „Zeuge im Fall Nemzow“ verhört und mit Strafanzeige bedroht.

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Auch sonst verändern sich die Ermittlungen im Mordfall. Mittlerweile behandelt die russische Justiz die Tat nicht mehr als „Auftragsmord“, sondern als „Verbrechen aus Hass“: Der Tschetschene habe Nemzow umgebracht, weil er ihn für islamophob gehalten habe. Diese Theorie macht es den Ermittlungsbehörden leicht, die Kette der Hintermänner und Auftragsgeber zu decken, erscheint aber selbst den Kommentatoren in Russland völlig unglaubwürdig. Geschützt wird hier besonders einer: das „Oberhaupt“ der Republik Tschetschenien, Ramzan Kadyrow. Er steht am Ende einer Kette von Personen und Hinweisen, die den Mord an Nemzow mit Kadyrow in Verbindung bringen. Die neue Herangehensweise in den Ermittlungen bedeutet, dassder Geheimdienst FSB seine Hände schon nach Kadyrow ausgestreckt hatte. Jetzt, wie schon oft in der Vergangenheit, wurde die Spur wieder fallen gelassen.

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Auffällig ist auch, dass Kadyrow innerhalb von neun Tagen im unmittelbaren Anschluss an den Mord drei hohe Auszeichnungen erhielt: Am 9. März den Orden der Ehre, die höchste staatliche Auszeichnung, am 16. März verliehen ihm die Behörden der Krim die Medaille für „Treue und Pflichterfüllung“ und am 18. März  wurde er vom föderalen Gefängnisdienst ausgezeichnet. Fast während dieser gesamten Zeit war der russische Präsident Putin von der Bildfläche verschwunden. Russland erschien führungslos. Vielleicht, so Medien in Russland, versuchte Putin während seiner Abwesenheit aus der Öffentlichkeit, die Wogen zwischen Kadyrow und dem FSB zu glätten. Denn die Konkurrenz zwischen dem FSB und Kadyrow dauert schon lange an: Im Mai 2007 zum Beispiel weigerte sich der FSB in Tschetschenien, bewaffnete Kadyrowzy, wie die frühere Leibgarde Kadyrows genannt wurde, in sein Hauptquartier zu lassen. Kadyrow ließ darauf die Zugänge zum Gebäude verbarrikadieren und erst die Intervention des damaligen FSB-Leiters, Nikolai Patruschew, konnte die Situation auflösen. Der FSB biss auch auf Granit als er 2014 versuchte, den Mord an Saigidpasha Umachanow, Bürgermeister der dagestanischen Stadt Chassawjurt und Konkurrent Kadyrows, aufzuklären. Die Spur führte direkt zum tschetschenischen Präsidenten. Doch der FSB und die russische Staatsanwaltschaft hatten keinen Zugriff auf ihn.

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Kadyrow hat in den letzten Jahren den Kampf mit dem russischen Geheimdienst immer wieder für sich entschieden. Und auch dieses Mal scheint er wieder gewonnen zu haben. So lange der russische Präsident die Hand über Kadyrow hält, wird sich daran auch nichts ändern und so lange ist Putin auch für die Verbrechen, wie den Mord an Nemzow, direkt verantwortlich. Kadyrow wird es seit Monaten zu eng in Tschetschenien – er sieht sich als Anführer aller Muslime in Russland, schickt seine Kämpfer offen in den Osten der Ukraine und kommentiert Ereignisse, die weit hinter den Grenzen seiner Republik passieren. Sein Traum ist ein hohes politisches Amt in Moskau. Man mag sich nicht vorstellen, was das für die Zivilbevölkerung in ganz Russland bedeuten würde.

[UPDATE]

In einer früheren Version des Artikels wurde der Besuch von Andrej Babuschkin im Gefängnis auf den 10. März 2014 datiert. Das stimmt natürlich nicht und ist zu 2015 geändert worden.

[Zur Autorin]

SARAH REINKE ist Leiterin des GfbV-Büros in Berlin und gleichzeitig Referentin für die GUS-Staaten. Sie verfügt über tiefgreifende Kenntnisse der Lage bedrängter Minderheiten in dieser Region, hält ständig Kontakt zu Betroffenen und gibt ihnen eine Stimme.

2 Gedanken zu “Mordfall Nemzow – Manipulationen aus Rücksichtnahme auf Ramzan Kadyrow und den FSB?


    • Lieber, sehr geehrter Herr Pohl,

      danke für den Hinweis! Wir haben das umgehend geändert. Wenn Sie wollen, löschen wir ihren Kommentar. Aber er kann auch gerne stehen bleiben.

      Herzliche Grüße,
      Michaela vom GfbV-Team

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