Seit 2011 wird in Syrien gekämpft. Der Arabische Frühling weitete sich zu einem Bürgerkrieg aus. Mit dem Aufkommen der Terrororganisation “Islamischer Staat” hat sich seit 2014 die Lage der Minderheiten in Syrien – und im Irak – dramatisch verschlechtert. Yeziden kämpfen um ihr Leben, kurdische Kämpfer erobern Zentimeter für Zentimeter ihr Land zurück und mehr als 200.000 assyrische Christen sind auf der Flucht vor den Extremisten. Dabei geht es in Syrien mittlerweile sogar um die pure Existenz christlichen Lebens.
von Wiebke Höner; Foto: Ankawa.com
Am 23. Februar 2015 griffen Kämpfer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) zwei assyrische Dörfer in der Provinz Hassaka in Syrien an. 3.000 Christen flohen noch bei Tagesanbruch aus ihren Häusern, um den Islamisten zu entkommen. Alle anderen mussten mit ansehen, wie der IS die Kirchen in der Region zwang, ihre Kreuze zu entfernen. Auch wurde für Christen eine Kopfsteuer erhoben, verbunden mit der Drohung, diejenigen zu töten, die nicht bezahlen. Mit dem Angriff auf das assyrische Leben in Syrien beweist der IS erneut, dass prä-islamische Kultur und Traditionen nicht in sein Weltbild passen.
Die ca. 40.000 noch in Syrien lebenden Assyrer führen ihre Existenz auf die altorientalischen Völker der Assyrer, Babylonier und Aramäer zurück, die seit der zweiten Hälfte des dritten Jahrtausends v. Chr. in Syrien und Mesopotamien ansässig wurden. Und auch wenn große Teile der Christen in Syrien sich als Assyrer bezeichnen, ist die Zugehörigkeit unabhängig von den einzelnen christlichen Konfessionen. Ausgehend von ihrer 4.000 Jahre alten Geschichte sehen sich Assyrer als eigenständige Ethnie, verbunden durch eine gemeinsame christliche Religion mit Traditionen und Gebräuchen sowie durch Siedlungsgebiet und ihre Sprachen.
Embed from Getty Images“Die Assyerer sind nicht bloß Christen, sondern die ursprünglichen Bewohner des Mittleren Ostens” sagt Mardean Isaac, ein assyrischer Schriftsteller, der in Großbritannien lebt und ein Mitglied von „A Demand for Action“ ist – eine Organisation, die assyrische und andere Minderheiten in Irak und Syrien unterstützt. Nach dem Irak-Krieg 2003 und dem Beginn der Syrien-Krise 2011 ist die Verfolgung in Bagdad, der Niniveh-Ebene und in einem großen Teil des nordöstlichen Syriens so sehr voran geschritten, dass die bloße Existenz der Assyrer in ihrem angestammten Heimatland ernsthaft gefährdet ist. Issa Hanna, Zweiter Vorsitzender der Assyrischen Demokratischen Organisation (ADO), Sektion Europa, organisiert Hilfsaktionen von Deutschland aus. Er schätzt, dass bis zu 200.000 Assyrer auf der Flucht vor Gewalt und willkürlichen Hinrichtungen sind. Somit steht längst auch die viele Jahrhunderte alte Kultur und Siedlungstradition der Assyrer in Syrien auf dem Spiel. „Von den rund 150.000 Christen in der Stadt Homs sind fast alle geflohen. Die Zerstörung dort ist extrem, ganze Viertel wurden dem Erdboden gleichgemacht. Die Lebensmittel werden knapp.“ Das assyrische Leben in Homs gehört heute schon der Vergangenheit an. Beobachter befürchten, dass das gleiche Schicksal auch die assyrischen Gemeinschaften im Nordosten von Syrien ereilen könnte. Doch dort haben sich die Assyrer nun bewaffnet, um sich selbst zu schützen. Und auch die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) sind seit einigen Tagen auf dem Vormarsch. Bis jetzt kontrolliert der IS noch zehn assyrische Dörfer in dem Gebiet. Es wurde gemeldet, dass Kämpfer der Terrororganisation dort zwei Kirchen niedergebrannt haben. 220 Assyrer wurden bisher verschleppt.
Embed from Getty ImagesDer Autor Al Jussuf nennt die Situation der Assyrer „schmerzlich und düster“. Sie und die anderen Minderheiten in Syrien würden dem Krieg zum Opfer fallen. Die wachsende Rolle der extremistischen und terroristischen Islamisten-Organisationen wie IS, Al-Nusra und Al-Kaida mache die Lage komplizierter. Eine Lage, die eine große Gefahr für die Zukunft und für das Bestehen der Christen, der Yeziden und der anderen Minderheiten in der Region darstelle. Es kann keine Sicherheit für die Minderheiten in der Region geben, “solange diese Länder nicht zur Ruhe kommen und sich in zivile, demokratische Staaten verwandeln”. Davon ist im Moment nichts zu spüren.
[Zur Autorin]
WIEBKE HÖNER hat einen B.A. in Ethnologie von der Universität Tübingen. Bereits während ihres Studiums hat sie ihren Schwerpunkt auf den Nahen Osten gelegt und verbrachte in der Zeit ein Auslandssemester in Maschad, Iran. Seit Februar 2015 ist Wiebke Praktikantin im Nahost-Referat der GfbV.