Chile: Wenn die „Sprache der Erde“ verschwindet

Täglich benutzen wir sie, ohne uns dessen meist bewusst zu sein: unsere Muttersprache. Wir streiten und vertragen uns mit ihrer Hilfe, wir machen Witze und teilen uns unserer Umgebung mit. Doch nicht jeder Mensch auf der Welt hat das Glück, seine Muttersprache so selbstverständlich zu benutzen. So auch die indigenen Mapuche in Chile und Argentinien, die um den Erhalt ihrer Sprache kämpfen.

von Andrea Pagani Ábalos; Foto: emesilva via iStock

Grund haben alle Menschen das Recht darauf, ihre eigene Sprache sprechen zu können. Das sieht auch die UNESCO so und hat deswegen den 21. Februar zum Internationalen Tag der Muttersprache ausgerufen. Es ist ein Gedenktag, der motivieren soll, sprachliche und kulturelle Vielfalt sowie Mehrsprachigkeit zu fördern.

Was für uns vielleicht wie eine Selbstverständlichkeit erscheint, ist es für viele Minderheiten nicht. Deswegen sind im Vorfeld dieses Tages Vertreter der indigenen Mapuche in der chilenischen Stadt Temuco auf die Straße gegangen. Sie fordern unter anderem, dass ihre Sprache Mapuzungun vom Staat als offizielle Sprache anerkannt wird und es eine größere Rolle in der chilenischen Gesellschaft spielen soll. Mapuzungun soll als Schulfach in Chile angeboten werden. In einigen ländlichen Gegenden ist das zwar bereits der Fall, doch die Mapuche möchten, dass die Sprache überregional verbreitet wird. Dies ist nur möglich, wenn sich die Politik aktiv für die Wiederbelebung der Sprache einsetzt und für die nächsten Jahre eine Art Plan erstellt, der das vorantreibt. Ein erster Schritt wäre es dabei, Mapuzungun als offizielle Sprache anzuerkennen.

Das Mapuzungun, das „Sprache der Erde“ bedeutet, hat heute noch etwa 260.000 Sprecher in Chile und Argentinien. Doch schon jetzt zählt es zu den gefährdeten Sprachen, da es kaum von Generation zu Generation weitergegeben wird. Dabei ist das so wichtig, denn Mapuzungun besitzt kein offizielles Alphabet. Deswegen benutzen die Sprecher momentan verschiedene Alphabete, wenn sie in Mapuzungun schreiben und haben sich bisher noch nicht auf ein einheitliches geeinigt.

Seit Jahrzehnten gibt es Bewegungen, um das Mapuzungun wiederzubeleben, lediglich die Akteure änderten sich. Aktuell hat sich eine Mapuche-Bewegung zur Revitalisierung und Schutz des Mapuzungun gebildet, die versucht, die Sprache wiederzubeleben. Die Aktivisten der Bewegung wissen, dass das nicht einfach ist. Denn Mapuzungun ist eine sogenannte isolierte Sprache. Das bedeutet, dass es nicht von anderen Sprachen beeinflusst wurde und keine Gemeinsamkeiten mit anderen Sprachen hat. Das größte Hindernis jedoch ist, dass es aktuell keine Strategie gibt, wie die Sprache wiederbelebt werden soll. Außerdem mangelt es an der finanziellen Unterstützung für konkrete Projekte. Und doch kann die Bewegung schon einige Erfolge vorweisen: Lieder werden auf Mapuzungun gesungen; Gedichte und Texte geschrieben. So breitet sich die Sprache langsam aber stetig aus und findet mehr Beachtung und Anerkennung.

[Update 16. März 2017]

Einige Textpassagen wurden etwas verändert, um Ungenauigkeiten zu beheben.


Für Interessierte haben wir zehn Wörter aus dem Mapuzungun übersetzt. Zum Lernen und Weiterverwenden. 😉


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[Zur Autorin]

ANDREA PAGANI ÁBALOS stammt aus Malaga und ist in vielen Sprachen zu Hause. Ihre Mutter ist Spanierin, ihr Vater Italiener. In ihrem Studium für Dolmetschen und Übersetzung spezialisierte sie sich auf Deutsch und Italienisch. Zudem spricht Andrea Englisch und hat durch ihre viermonatige Freiwilligenarbeit in Brasilien Portugiesisch gelernt.

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