Vom Dach der Welt und tibetischen Flüchtlingen: Ein Urlaub in Nepal

Irgendwo zwischen den schneebedeckten Bergen des Himalayas und dem indischen Dschungel liegt das kleine Land Nepal. Nach politischen Unruhen trauen sich jetzt wieder ein paar neugierige Touristen ins Land. So auch Werner H. T. Fuhrmann und seine Frau Inse Geismar. Was sie alles in dem interessanten Land erlebt haben, erzählt der ehemalige dpa-Nachrichtenredakteur in diesem Blogbeitrag.

Von Werner H. T. Fuhrmann; Foto: Inse Geismar

Prinz Dipendra ermordet, angeblich im Drogenwahn, im Palast in Kathmandu seinen Vater, König Birendra, seine Mutter und acht andere Familienmitglieder. Dann gibt er sich selbst eine Kugel  und stirbt wenige Tage später. Vorher wird er noch  – obwohl angeblich Mörder – zum König gekrönt. Danach wird sein Onkel Gyanendra,  der bei dem Massaker nicht dabei war, der letzte König von Nepal. Er hat aber nichts  mehr zu bestimmen und muss den Thron 2008 endgültig  räumen.

Tatsächlich, so hörten wir immer wieder,  ist  nie geklärt worden, wer wen erschossen hat. Die Nepalesen  sehen  inzwischen in dem königlichen Massaker ein von Gyanendra inszeniertes Komplott. Die Korruption und Vetternwirtschaft in dem Land sei sowieso unübersehbar gewesen. Eine ernsthafte Untersuchung gab es nie.

Seitdem regieren in Nepal die mit Mehrheit  vom Volk gewählten Kommunisten und Maoisten.  20 000 Menschen hat der Wechsel von der seit 239 Jahren bestehenden Monarchie zum Pseudokommunismus das Leben gekostet. Das Land hat noch nicht einmal eine Verfassung. Auch keine Justiz. Das Militär hat sich in die Kasernen zurückgezogen. Die Schulen funktionieren. Die Müllabfuhr nicht. Die Menschen freuen sich nach dem katastrophalen Rückgang  des Tourismus über die ersten Reisenden, die jetzt wieder kommen, und wirken außerordentlich entspannt und sehr freundlich.

Inse und ich gehoeren zu den neuen Touristen. Die Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft ist überwältigend.  Schon nach acht Tage in Kathmandu und Umgebung sind wir fasziniert von dem Land und der Menschen.  Zwar ist die Hauptbeschäftigung Zehntausender arbeitsloser Männer in der Millionenstadt, gefälschte Kaschmirschals zu verkaufen, mit ihren Motorrädern die engen Gassen zu verstopfen oder möglichst weit vor sich in den Staub zu spucken. Alle scheinen von dem leidenschaftlichen Bedürfnis beseelt, ein ausreichendes Einkommen zu verdienen.  Aber die meisten sind wohl Überlebenskünstler. Wir sahen aber auch Hunderte Meter lange Schlangen von meist jüngeren Männern vor der Passausgabestelle, um eine Sklavenarbeit in den Emiraten zu ergattern oder nach Europa zu kommen. Noch besser nach Deutschland, wo die Mercedesse oder BMWs an den Bäumen wachsen.

Werner H.T. Fuhrmann schaut sich zusammen mit zwei Männern Fotos auf seiner Kamera an. Da viele Menschen in Nepal arbeitslos sind, verbringen die Männer viel Zeit in den Straßen von Kathmandu. Foto: Inse Geismar

Was es sonst noch in Kathmandu zu sehen gibt, ist religiös aufgeladen,  atmosphärisch, mystisch und voller Geheimnisse. Dicker grauer Staub liegt auf Tempeln, Pagoden und Nandis. Die verschiedenen Gerüche sind überwältigend. In keiner Stadt haben wir bisher einen Straßenverkehr beobachtet, bei dem die Fahrer vor dem Überholen die Seitenspiegel einklappen, um dann im Zentimeterabstand vorbeizurasen.

Wir hatten großes Glück auf der Reise. Unsere Freundin Monika Knapp lebt seit 14 Jahren in Nepal und leitet Hilfsprojekte.  Wir hatten sie vor vielen Jahren in Mali kennengelernt, als wir unsere zwei Expeditionen zu den Dogon starteten. Monika weiß alle Schleichwege abseits des Tourismusrummels und wir folgten ihr.  Man steckte ihr Schlüssel zu und wir kletterten in die obersten Stockwerke,  auf Böden und Türme uralter Paläste und Tempel; auch Bauernhöfe und Berghütten zeigte sie uns.

Monika vermittelte uns für die Ausflüge ins Land ein geländegängiges Fahrzeug und vor allem einen Fahrer, der den uneingeschränkten Freistil- Versionen von Verkehr gewachsen war und „fast“ immer allen Schlaglöchern von mehr als 30 Zentimetern Tiefe blitzschnell auswich. Wie alle hier hupte er jeweils die halbe Fahrzeit. Er zögerte auch nicht vor steilsten Steigungen und holperigsten Pisten.

Apropos Berge: Natürlich haben wir mit 18 anderen Touristen einen Rundflug entlang des Himalayamassivs bis zum Mount Everest gebucht – mit Fensterplatz für jeden. Vermutlich weil wir so fröhlich aussahen, durften wir zu den beiden Piloten in die Kanzel klettern und dann flogen wir ganz dicht und direkt auf den Gipfel zu. Das war Nervenkitzel pur. In einer steilen Kurve wendeten wir kurz vor dem Aufprall.  So sah es für uns jedenfalls Schrecksekunden-lang aus.

Vor der Reise waren wir  einem Insidertip gefolgt und hatten das Hotel gebucht,  einen ehemaligen Stadtpalast. Eine Oase mitten  im Getümmel. Man hätte allein einen ganzen Tag damit verbringen können, um die feinen Schnitzereien in dem Prachtbau zu bestaunen. Leider gab es oft Powercut, das heißt nur wenige Stunden am Tag Elektrizität. Aber wir wollten sowieso trotz morgendlicher Kälte – Temperaturgefälle am Tag 25 Grad – immer wieder raus zu den spannenden Nepalesen und ihren oft vielarmigen Göttern, Königspalästen, Gärten, in die Antiquitätengeschäfte und den empfohlenen ehrlichen Kaschmir-Händlern.

In Kathmandu gibt es jede Menge zu sehen und zu erleben. So auch die vielen Tempel, wie zum Beispiel den buddhistischen Affentempel. Foto: Werner H. T. Fuhrmann

Es gab für uns auch viele ernsthafte und nachdenkliche Momente: Wir interviewten den in Nepal geborenen agilen Generalsekretär der tibetischen Flüchtlingsinitiative von Kathmandu, Tenzin Paljor. Es sei schwierig, fast unmöglich und nur mit teuren Schleppern machbar, über die scharf von den Chinesen  bewachte tibetische Grenze nach Nepal zu flüchten. Den mindestens 28 Tage dauernden Fußmarsch  über die eisigen Hochtäler schafften sowieso nur die Kräftigsten. Erst 5000 sei bisher die Flucht nach Nepal gelungen. Sie sind von der nepalischen Regierung nur geduldet und erhielten keine Papiere. „Wir wünschen uns einen offiziellen Flüchtlingsstatus“, sagte er. Anders als in Deutschland dürften sie jedoch arbeiten. „Viele von uns beschäftigen sich in der Landwirtschaft.“ Stolz berichtete er, dass sie ohne Hilfe leben könnten. In einer vom Schweizer Entwicklungskomitee unterstützten Teppichmanufaktur knüpfen Frauen Kostbares unter dem blumengeschmückten Bild des Dalai Lamas. Und immer nach den tradierten tibetischen Mustern und Techniken. Sie unterhielten sogar inzwischen eine eigene tibetische Schule und Geschäfte, berichtet der Generalsekretär nicht ohne Stolz. Traurig verabschiedete er uns mit einigen Zeilen aus einem Gedicht: „Ich bin ein Tibeter, aber nicht aus Tibet. Ich war nie in Tibet, aber ich träume davon, dort zu sterben“.

Alle Tibeter, mit denen wir sprachen, sind sich einig: Unter der Monarchie ging es ihnen bedeutend besser. In der Zeit gelang es ihnen, ihre Teppichmanufaktur, die Schule für etwa 500 Kinder und eine große Siedlung aus festen Gebäuden zu errichten. Sie seien nicht besonders integriert im Land, heirateten überwiegend untereinander, viele wanderten jedoch auch in die US A oder nach Canada aus.

Ex-König Gyanendra kann ihnen nicht mehr helfen, weigert  sich aber standhaft, ins Exil zu gehen. Angeblich träume er von einem Comeback als Politiker.

Wir umrundeten das stark bewachte, riesige Grundstück seines ehemaligen Sommerpalastes in einem Naturschutzgebiet, wo er mit einigen Getreuen am Stadtrand  lebt. Leider ließ er sich nicht blicken. Er soll zuletzt  im Festsaal seines Schlosses noch eine zündende Rede gehalten haben, aber keiner habe ihm mehr zuhören wollen. Frustriert habe er sein Zepter und seinen Schmuck zurückgelassen, eiligst in einem Konvoi aus gepanzerten Limousinen den Palast verlassen und wurde seitdem nicht mehr öffentlich gesehen. Angeblich soll er als Bettler oder Holzkohlenbrenner verkleidet nachts durch die Millionenstadt streifen. Wir haben nicht den Eindruck, als habe das abgewählte Regime  eine zerbrochene Gesellschaft hinterlassen.

Der hinduistische Tempel Pashupatinath wurde im 5. Jahrhundert errichtet und ist der Hindu-Gottheit Shiva gewidmet. Mitten im Trubel vom Kathmandu ist der Tempel eine Oase der Ruhe. Besucher können dort auch die bunten Sadhus – heilige Männer – kennen lernen. Foto: Werner H. T. Fuhrmann

Zu dem Bewegendsten gehörten auf dieser Reise die Trauerzeremonien am Pashupatinath-Tempel, dem wichtigsten hinduistischen Heiligtum. Am Ufer des völlig verdreckten Bagmati-Flusses liegen die in orangefarbene Tücher gewickelten Toten auf schrägen Rampen. Die Trauernden waschen den Verstorbenen die Gesichter und Füße, dann werden sie von „Unberührbaren“, umringt von den weinenden und laut klagenden oft sehr zahlreichen Angehörigen, auf die Scheiterhaufen gelegt, mit Stroh bedeckt und angezündet. Die Asche wurde in den Fluss geschaufelt. Als wir da waren, brannten gleichzeitig fünf Tote.

Einen ersten atemberaubenden Ausblick über die Berggipfel vom Daulangeri bis zum Everest hatten wir aus 2200 Meter Höhe in Nagarkot, das wir nach unendlicher Rüttelei erreichten.

Für  15 Dollar pro Kopf  ließen wir uns später ins Mittelalter Asiens katapultieren und besuchten die über 1000 Jahre alte frühere Hauptstadt Bhaktapur. Unser Auto musste draußen bleiben. Die 80 000 Bewohner sind zumeist Newar, Ureinwohner des Tals mit eigener Sprache und schwarz-roterTracht. Faszinierend altertümlich, Unesco-Kulturerbe und Dank des „Eintrittsgelds“ fantastisch restauriert, blitzsauber und in seinen zum großen Teil aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammenden Gebäudeensembles wirklich einmalig: Statt Autogehupe Hähnekrähen und das Geläut der mächtigen Tempelglocken. Da hieß es tief Luftholen, bevor wir am Abend wieder unter der undurchdringlichen Dunstglocke Kathmandus eintauchten.

Werner H. T. Fuhrmann und seine Frau Inse Geismar in der restaurierten Mittelalter-Stadt Bakhtapur. Ihr Tipp: Schon früh am Morgen hin fahren, dann ist man ganz alleine mit den Bewohnern. Die Touristen kommen erst ab Mittag.

[Zum Autor]

WERNER H. T. FUHRMANN war 45 Jahre Nachrichtenredakteur der Deutschen Presseagentur (dpa). Er ist der Gesellschaft für bedrohte Völker seit ihrer Gründung eng verbunden und ist Mitglied des GfbV-Beirats. Mit seiner Frau Inse Geismar hat er die ganz Welt bereist. Dieses Mal zog es die beiden nach Nepal.

[Update 5. Mai 2015]

Die im Text erwähnte Monika Knapp lebt seit 12 Jahren in Nepal und hat langjährige Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit. Seit dem schrecklichen Erdbeben am 25. April 2015 laufen mehrere Hilfsinitiativen über sie. Der Förderverein für bedrohte Völker hat jetzt für ihre Projekte ein Spendenaufruf gestartet, den wir gerne unterstützen:

Förderverein für bedrohte Völker
Postbank
IBAN: DE 89 2001 0020 0007 4002 01
BIC: PBNKDEFF
Verwendungszweck: Nepal

Name und Anschrift für die Zusendung einer Spendenquittung Anfang 2016 bitte angeben!

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