Tourismus ist in Nordfinnland auf dem Vormarsch. Beworben als magische Landschaft der Nordlichter und des Weihnachtsmannes werden immer mehr Besucher*innen angezogen, die auf Huskysafaris die Wildnis erkunden und in Glasiglus schlafen wollen. Huskys und Glasiglus – klingt das nach Finnland? Wer hier stutzt, dem ist aufgefallen, dass das Tourismusmarketing es mit der örtlichen Kultur wohl nicht gerade genau nimmt. Die indigenen Sámi wehren sich gegen diesen Tourismus und wollen ihn mit eigenen Projekten umgestalten.
Von Theresa Luedtke; Foto: Nikola Johnny Mirkovic on Unsplash
Allein der offizielle und noch immer gebräuchlichste Name dieser finnischen Provinz – Lappi, zu Deutsch „Lappland“ – ist eigentlich ein Relikt aus der Vergangenheit. Er entstammt einem veralteten, heute als diskriminierend geltendem Begriff für die indigenen Sámi, zu deren traditionellem Heimatland das Gebiet gehört. Sápmi, wie es in ihrer eigenen Sprache heißt, erstreckt sich über die nördlichen Gebiete Norwegens, Schwedens und Finnlands sowie über die russische Kola-Halbinsel. Und so wäre es besser, statt von Finnisch-„Lappland“ von Finnisch-Sápmi zu sprechen.
Ignoranz gegenüber den Sámi ist aber nicht allein ein Problem der Namensgebung; sie ist ein generelles Problem im aktuellen Tourismus, der die samische Kultur ausbeutet und stereotype Fehldarstellungen verbreitet. Gegen diese problematische Form des Tourismus wehren sich die Sámi – nicht gegen Tourismus an sich. Das finnische Sámediggi – Parlament und offizielle Vertretung der finnischen Sámi – hat daher Richtlinien aufgestellt, die den Weg weisen zu einer Form des verantwortungsvollen, nachhaltigen Tourismus, der den Sámi nicht schadet, sondern im Gegenteil einen positiven Einfluss auf den Erhalt ihrer Kultur hat. Doch um die positive Vision Wirklichkeit werden zu lassen, müssen die ausbeuterischen und kulturschädigenden Formen des Tourismus gestoppt werden.
Was ist Sámi-Tourismus?
Sámi-Tourismus bedeutet, dass die Kultur der Sámi für touristische Angebote genutzt wird. Er-wünscht ist eine Form des Tourismus, die tatsächlich in der authentischen Sámi-Kultur verwurzelt ist und von den Sámi selbst gestaltet wird. Problematisch ist hingegen die Form des Tourismus, die von Nicht-Sámi betrieben wird, die die Sámi-Kultur für touristische Angebote ausnutzen, ohne Verbindung zu den Sámi und ohne ihre Zustimmung. Diese Form des Tourismus ist häufig geprägt von nicht authentischen, teils diskriminierenden Darstellungen. Sámi werden zu Objekten degradiert, exotisiert, Fehlinformationen über ihre Kultur werden verbreitet, rassistische Stereotype bestärkt. Kulturelle Symbole wie die samische Tracht oder der traditionelle Yoik-Gesang werden aus ihrem Kontext gerissen, ihre Bedeutung für die Sámi ignoriert. Diese Art von Tourismus fügt der Sámi-Kultur Schäden zu, die sich in eine Chronik von Angriffen auf die Sámi-Kultur einreihen. In allen Ländern, in denen Sámi leben, haben sie Diskriminierung und Unterdrückung erfahren. Auch wenn die rechtliche Situation sich mittlerweile gebessert hat: optimal ist sie nicht. Industrieprojekte und Tourismus drängen in das Territorium der Sámi und bedrohen ihre traditionellen Erwerbs-zweige, die einen zentralen Pfeiler ihrer Kultur darstellen. Würden diese wegbrechen, könnte das die gesamte lebendige Kultur vernichten.
Rentiere in Gefahr
Besonders die Rentierwirtschaft ist unter Druck. Immer weniger Sámi können allein von der Rentierwirtschaft leben. Insbesondere der Klimawandel ist ein ernstes Problem. Mildere Temperaturen im Winter lassen den Schnee zu Wasser schmelzen, welches dann auf dem Boden zu Eis gefriert. Die entstehenden Eisschichten können die Rentiere im Gegensatz zu Schnee nicht durchdringen, um Futter zu finden. In Norwegen sind erst kürzlich etliche Rentiere durch Lawinen verschüttet worden – da sie auf ihren eigentlichen Winterweiden nicht genügend Futter fanden, waren sie auf einen Steilhang gewandert. Für die Rentierhirten ein herber wirtschaftlicher Verlust. In Finnland ist die Rentierwirtschaft zwar im Gegensatz zu Norwegen und Schweden nicht allein den Sámi vorbehalten, dennoch handelt es sich um einen traditionellen Sámi-Erwerbszweig, der große Bedeutung für ihre lebendige Kultur hat. Der Ärger mit den Schlittenhunden Ein weiteres großes Problem besteht in Hundeschlittenfahrten, bei Tourist*innen sehr beliebt. Doch handelt es sich hierbei nicht um eine Tradition der Sámi, sondern um eine „geborgte“ Tradition anderer arktischer Völker, die zu rein touristischen Zwecken in Sápmi eingeführt wurde. Früher spannten die Sámi Rentiere vor ihre Schlitten, keine Hunde, und heutzutage verwenden sie moderne Technik, Schneemobile beispielsweise . Trotzdem verweisen einige Anbieterinnen dieser Hundeschlittenfahrten auf die „uralte“ Tradition des Hundeschlitten bei „den arktischen Völkern“. Dadurch vermischen und verallgemeinern sie nicht nur eine Vielzahl kulturell äußerst diverser indigener Völker, sondern suggerieren auch noch, dass es sich um eine Tradition der Sámi handele. Sie tragen damit also zur Fehldarstellung bei. Aber das ist nicht das einzige Problem. Abgesehen von den wenigen zahmen Lastrentieren sind die meisten Rene halbdomestiziert und ziehen in großen Herden umher . Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um Nutztiere handelt – jedes Ren gehört einem Rentierhirt oder einer Rentierhirtin. Die Gefahr besteht vor allem in von Huskyfarmen ausgebüxten Schlittenhunden, die durch Rentiergebiet streifen und die Rene verängstigen, angreifen und dabei verletzen oder schlimmstenfalls töten. Jedes verlorene Ren ist eine Belastung für die Rentierhirtinnen. Wer sich fragt, wie ein paar entlaufenen Hunde zu solchen Probleme führen können, sollte sich einmal die Dimensionen vor Augen führen: wer im Internet über Reisen nach Nordfinnland recherchiert, wird von Hundeschlittenangeboten förmlich erschlagen. Bei etwa 4000 Schlittenhunden in Finnisch-Sápmi ist es nicht verwunderlich, wenn sich die Konflikte mit Rentierhirtinnen häufen. Was tun? Als Tourist*in kann es aber schwierig sein, nicht authentische von authentischen und problematische von unproblematischen Angeboten zu unterscheiden. In den Richtlinien des Sámediggi wird daher vor allem die Tourismusindustrie in die Pflicht genommen, besser mit den Sámi zusammen-zuarbeiten. Außerdem arbeitet das Sámediggi derzeit an einem Projekt, um genau diese Richtlinien auch in die Praxis umzusetzen; unter anderem soll ein Siegel entwickelt werden, mit dem Angebote gekennzeichnet werden, die die Richtlinien erfüllen. In der Zwischenzeit sollten sich Tourist*innen vor ihrer Reise nach Sápmi die entsprechenden Hinweise auf der Website des Sámediggi anschauen, um grob falsche Angebote zu vermeiden.
Und die Natur lieber mit einem Rentierschlitten und Sámi-Guides erkunden, statt mit einem Hundeschlitten, der überhaupt nicht traditionell ist.