Die Corona-Pandemie verschärft auch in Chile die sozialen und ethnischen Gegensätze. Allen voran haben die etwa eine Million Mapuche ganz besonders unter der Corona-Krise zu leiden. Alina Namunkura Rodenkirchen, ehrenamtliche Mapuche-Fachfrau der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und selbst Mapuche, lebt in Temuco, dem politischen Zentrum der Mapuche. Sie schickte uns Ende April diesen Stimmungsbericht, der leicht gekürzt wurde.
Von Yvonne Bangert, Referentin für Indigene Völker; Foto: In der Bildmitte ist Alina Rodenkirchen bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Sprachenrechte. (Copyright Niels Keilhack GfbV)
„Es ist eine sehr schwierige und gefährliche Situation für uns. Bekanntermaßen ist das chilenische Gesundheitssystem alles andere als zugänglich und bezahlbar. Die politische Elite macht sich lustig über die Personen, die die Gesundheitszentren aufsuchen. Es heißt, die Menschen würden zur frühen Morgenstunde die Gesundheitszentren aufsuchen, um soziale Kontakte zu knüpfen. Dabei muss man schon vor den Öffnungszeiten in der Schlange stehen, damit man noch eine Nummer ziehen kann und eine Chance hat, vielleicht behandelt zu werden. Die Behandlung sieht dann meistens so aus, dass einem egal für welches Leiden nur Paracetamol verschrieben wird. Falls es dann doch ernster ist, wird man zu einem Arzt im Krankenhaus überwiesen. Das bedeutet bis zu einem Jahr Wartezeit nur um einen Termin zu vereinbaren, auf den man dann wiederum Monate warten muss. Und so ist es in der Stadt.
In den ruralen Gegenden der Mapuche gibt es Gesundheitsstationen, die kaum medizinische Ausstattung oder Personal haben. Die Quarantäne macht deutlich, wie allein gelassen die Mapuche-Gemeinden wirklich sind. Man darf nur mit einer polizeilichen Bescheinigung auf die Straße, die man sich im Internet runterlädt oder bei einer Polizeistation beantragt. In den ersten Tagen der Quarantäne hat aber sich gezeigt, dass ein Internetzugang entweder gar nicht oder nur vereinzelt vorhanden ist und die alten Menschen in den Gemeinden komplett auf sich allein gestellt sind – ohne Smartphone, Computer oder Drucker zum Ausdrucken der Bescheinigung. Es gibt keinen Zugang zu Masken oder Desinfektionsmitteln, keine Zeit und kein Geld stundenlang Schlange zu stehen. Vielerorts gibt es gar kein Wasser mehr, durch die extensive Beforstung durch Eukalyptus und Kiefern, sodass die Stadt wöchentlich den Wassertank der Menschen befüllen muss.
Die Schule und Universitäten erhalten Onlineunterricht. Aber nur Wenige haben einen eigenen Computer oder Internet. In Chile ist die Studiengebühr horrend hoch und einige Studenten sind schon in Streik getreten, da sie keinen Zugang zu den Onlineaufgaben haben und damit Geld für nichts ausgeben. Als der Virus das öffentliche Leben lahmlegte, haben sich die Reichen aus Santiago gedacht, sie fahren einfach in den Süden in ihr Landhaus, um dort die Quarantäne auszusitzen. Kilometerlange Staus, Hubschrauberlandeplatz in der Nähe von Pucon überfüllt. Nicht nur Mapuche haben Barrikaden dagegen errichtet. Die einzige Zone, die keine Corona-Fälle hat, ist die Bergregion Lonquimay, in der die Mapuche keinen hineinlassen.
Allerdings wurde das Virus von vielen Mapuche in den ländlichen Gemeinden auch als eine Krankheit angesehen, die nur die Wigka (Nicht-Mapuche; yb) und nur die Menschen betrifft, die in der Stadt leben bzw. sich vom Mapuche Leben entfernt haben. Leider gab es dadurch schon Todesfälle in den Gemeinden. Unsere Logik ist dabei komplett anders. Wenn in anderen Ländern, die Älteren nicht mehr behandelt werden, weil sie ja schon alt sind, ist dieses Denken mit unserem Denken überhaupt nicht vereinbar. Gerade in den Alten ist das ganze Wissen und vor allem auch unsere Sprache gespeichert, also wären es diejenigen, die zuerst geschützt werden müssten.
Jetzt wird wurde auch noch die Quarantäne aufgehoben und es wird eine totales Chaos geben. Wir sind die Region mit den meisten Infizierten (nach Santiago) und noch dazu die ärmste Region mit der höchsten Zahl an Toten durch Covid. Die Krankenhäuser sind nicht ausgestattet, um eine größere Anzahl an Infizierten aufzunehmen. Die Meinungen sind gespalten. Viele sind natürlich erleichtert, weil sie wieder Bewegungsfreiraum haben und versuchen können Geld zu verdienen. Andererseits, werden die Ansteckungen in die Höhe schießen. Die Luftqualität ist in Temuco die schlechteste in ganz Chile und gehört zu den schlechtesten in ganz Lateinamerika. Außerdem werden die Luft und damit auch die Atemwege zusätzlich belastet, weil es fast Winter und kalt ist und die Holzöfen den ganzen Tag qualmen. Die Quarantäne gerade jetzt aufzuheben, als ob wir in Deutschland wären, ist sehr gefährlich.“ (Alina Namunkura Rodenkirchen, 28.4.20 und 3.5.20; Bearbeitung Yvonne Bangert/ yb)