Grönland hofft durch mehr Tourismus auf mehr Wohlstand und Unabhängigkeit von Dänemark. Doch der wachsende Wirtschaftszweig birgt nicht nur Vorteile für die Indigenen.
Von Sarah Brandmeier, Praktikantin im Indigenen Referat; Foto: Kai Voet van Vormizeele auf flickr; Ilulissar, Grönland 2018
Den Klimawandel spüren auf Grönland sowohl Regierung als auch Inuit. Wegen des wärmeren Klimas friert das Eis nicht mehr so dick zu, was das traditionelle Jagen auf Eis schwieriger und gefährlicher macht. Zusätzlich dauern die warmen Monate immer länger, was die Indigenen vor zusätzliche Herausforderungen stellt. Doch die Regierung hat in den Veränderungen einen positiven wirtschaftlichen Nutzen entdeckt.
Ganz nach dem Vorbild Islands, wo schon heute auf 360.000 Einwohner jährlich über eine Million Tourist*innen kommen, will sie das Land für Tourist*innen attraktiv machen. Die Voraussetzungen dafür sind gut, da im Süden der Insel drei UNESCO Weltkulturerbe – Stätten liegen, wie der Eisfjord bei Ilulissat. Er ist wegen seiner enormen Größe und dem in der Gletscherforschung bedeutsamen Sermeq Kujalleq besonders beeindruckend. Dazu kommt die einzigartige Kultur der Inuit als Alleinstellungsmerkmal. Bisher kommt ein Großteil der Besucher*innen aus Dänemark und nur wenige aus anderen Ländern wie den USA oder Deutschland. Um das zu ändern, plant die Regierung den Ausbau von Infrastruktur und Hotelkapazitäten. Die Zahl der Besucher*innen soll jährlich um fünf Prozent wachsen. Dafür werden nicht nur mehr Hotels gebraucht, sondern auch größere Flughäfen. Denn um internationale Tourist*innen anzulocken, ist eine gute Anbindung an den internationalen Flugverkehr äußerst wichtig.
2016 wurde darum der Flughafenbetreiber Kalaallit Airports gegründet. Er baut die Landebahnen der beiden Flughäfen bei Nuuk und Ilulissat für internationale Maschinen aus und errichtet zusätzliche Terminals für den internationalen Reisekomfort. Hinzu kommt ein neuer Flughafen bei Qaqortoq, um Inlandsreisen für Tourist*innen noch attraktiver zu machen. Auch für den Kreuzfahrttourismus werden neue Anreize geschaffen. So sollen die Gebühren und Steuern, die beim Anlegen im Hafen anfallen, gesenkt werden.
Gefahren für die Inuit
Auf den ersten Blick scheint die Investition in den Tourismus eine gute Idee. Viele Inuit beobachten jedoch mit Sorge, dass in den bisherigen Plänen nicht genug auf Nachhaltigkeit geachtet wird. Die Regierung winkt viele Beschlüsse durch, ohne zuvor die betroffene Bevölkerung zu informieren oder zu konsultieren. Auch fürchten die Inuit, dass die Weltkulturerbe-Stätten bald ähnlich überfüllt sein werden wie im Nachbarland Island und dann Schaden nehmen. Abgesehen vom Eisfjord bei Ilulissat zählen zwei weitere Naturlandschaften dazu. Ein Inuit-Jagdgebiet in Westgrönland namens Aasivissuit-Nipisat, und fünf Gegenden in Südgrönland, namens Eystribyggd, für ihre Agrarhistorie seit dem zehnten Jahrhundert besonders. Alle drei Stätten sind Naturlandschaften, was sie besonders anfällig für Verschmutzungen und darum besonders schützenswert macht. Es ist also sehr wichtig, dass die Regierung im zukünftigen Umgang mit Investoren und Unternehmen hierauf achtet.
Laut Kritiker*innen setzt auch die Tourismuswerbung einen falschen Fokus. Oft wird mit Abenteuern wie Skifahren auf den Gletschern oder Trophäenjagd mit anschließender Hundeschlittenfahrt zu einem Dinner unter den Nordlichtern geworben, wobei die besondere Kultur der Inuit nicht erwähnt wird. Auch „einfache“ Bootstouren oder Tagesausflüge erfordern meist einen ortskundigen Guide. Dies klingt zuerst einmal nach gut bezahlten Jobs und mehr Arbeitsplätzen für die Inuit, denn wer wäre besser dafür geeignet als sie. Doch leider ist es immer noch die Ausnahme, einen Guide aus Grönland zu haben. Da viele Inuit immer noch frühzeitig die Schule beenden, sprechen sie oft nur mäßig bis gar kein Englisch. Weshalb viele Unternehmen, auch Kreuzfahrtschiffe, eigene Reiseführer*innen mitbringen.
Natürlich schaffen auch Jobs als Bootsführer*innen neue Einnahmequellen, zumal die Tourismuspreise in Grönland verhältnismäßig hoch sind. Doch diese Einkünfte kommen oft nicht den Inuit zugute. Der Markt wird hauptsächlich von ausländischen Unternehmen beherrscht und diese drücken Preise und bieten lokalen Partner*innen oft schlechte Konditionen an. Auch sorgen sich viele Inuit, dass mit dem Anstieg an internationalen Flügen auch Billigflugreisende nach Grönland gelockt werden, die wenig umweltbewusst oder kulturell interessiert sind.
Einige deutsche Unternehmen verdienen bereits am Grönlandtourismus, allen voran das Reiseunternehmen Tui. Dessen Kreuzfahrten nach Grönland bieten Tagesausflüge aufs Festland an, auf denen eigene Guides auf deutsch betreuen. Die Inuit verdienen daran nichts. Zudem produzieren die Schiffe sehr viele Abgase und fahren mit besonders umwelt- und gesundheitsschädlichem Schweröl. Auch die Schiffe von Tui, die zwar laut NABU bei der Luftreinhaltung nicht als Schlechteste abschneiden, jedoch noch keine Partikelfilter nutzen. Es liegt also nicht nur an der grönländischen Regierung, die Bevölkerung zu schützen, sondern auch an den Tourist*innen und Unternehmen, die vom Tourismus profitieren.
Wie geht’s jetzt weiter?
Noch pilgern keine Menschenmassen nach Grönland, was vor allem an der fehlenden Infrastruktur liegt. Die Regierung hat also noch Zeit, die nationalen Unternehmen und die Inuit miteinzubeziehen und zu schützen. Noch kann in Kooperation mit den Einheimischen eine Lösung gefunden werden, von der nicht nur die Tourismusindustrie profitiert, sondern vor allem auch die Inuit. Ein Lichtblick hier ist das ARCTISEN Projekt, welches als Zusammenschluss mehrerer Universitäten und Organisationen versucht, ein kulturell sensibles Tourismusmodell zu entwickeln, mit besonderem Fokus auf den indigenen Völkern des Nordens und der Arktis.
Doch solche Projekte allein reichen nicht aus, um die Traditionen, das Land und Kultur der Inuit zu bewahren. Es benötigt mehr Sensibilität der Verantwortlichen, der Tourismusbranche und der Tourist*innen selbst, um einen ökologischen Tourismus zu schaffen, von dem alle langfristig profitieren können. Aus diesem Grund ist es wichtig die Inuit in jegliche zukünftige Planung miteinzubeziehen, um Ausbeutung und Gefährdung der traditionellen Lebensweise zu stoppen. Darum müssen Regierung, aber auch Unternehmen ihre Prinzipien gegenüber Umweltschutz und Menschenrechten zu jeder Zeit einhalten.
Nur von einem fairen und umweltbewussten Tourismus profitieren alle Beteiligten langfristig, da Grönland für den Tourismus nur attraktiv sein wird, solange Natur und Kultur erhalten bleiben.
Es müßte doch Inuit*Innen heißen! Mal wieder nicht konsequent durchgegendert….
Hey, nein, es ist ein Eigenname – Rohingya wird bspw. auch nicht gegendert. Viele Grüße! 🙂