„Frischer Schnee ist schwarz im Land der Schoren“

Über 6.000 Kilometer liegen zwischen dem Rheinland und der Region Kuzbass in Südsibirien. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten: In beide Regionen wird Kohle im Tagebau gefördert. Der Essener Energiekonzern RWE fördert Braunkohle in Deutschland und importiert Steinkohle aus Südsibirien. Gegen beides wächst der Widerstand.

Von Anke Konietzny; Bild: Tjan Zaotschnaja, Vladislav Tannagaschev und Dimitri Berezhkov demonstrieren bei der RWE-Jahreshauptversammlung 2016 gegen die Kohleimporte von RWE aus Südsibirien.

Die drei Tage, die ich Ende April 2018 mit Tjan Zaotschnaja von der GfbV-Regionalgruppe München rund um die RWE-Hauptversammlung mit Protestaktionen gegen Kohleabbau verbringen wollte, begannen eigentlich schon vier Tage vorher. Da schrieb sie mir, dass ihre Freunde vom südsibirischen Volk der Schoren aufgegeben hatten. Der Druck auf Yana und Vladislav Tannagaschev hatte stetig zugenommen und als selbst ihre Kinder auf dem Schulweg verfolgt wurden, hatten sie einen Auslandsurlaub zur Flucht aus Russland genutzt. Tjan hielt per E-Mail Kontakt zu dem schorischen Ehepaar. Aber sie wusste nicht, in welchem Land die Familie sich aufhielt, um politisches Asyl zu beantragen.

Ich hatte Vladislav vor zwei Jahren kennengelernt, als er zusammen mit Dimitri Berezhkov, dem Vertreter der Indigenen Russlands, auf einer Deutschlandrundfahrt war. Sie wollten zusammen mit der GfbV darüber aufklären, unter welchen Bedingungen die Steinkohle abgebaut wird, die RWE aus dem südsibirischen Kuzbass bezieht. (GfbV) Alle Bewohner des dortigen Kohlereviers leiden unter der massiven Umweltverschmutzung. Doch die Schoren und drei weitere indigene Völker sehen sich zusätzlich von kulturellem Genozid bedroht. Ihre heiligen Berge wurden für die Kohle gesprengt, ihre traditionellen Lebensgrundlagen werden zerstört. Die beiden Männer diskutierten damals angeregt über die beste Vorgehensweise. Wie sehr sollte man RWE bekämpfen? War die deutsche Firma vielleicht nur das kleinere Übel verglichen mit chinesischen Geschäftspartnern, denen man erst gar nicht mit Menschenrechten zu kommen brauchte?

Die Aktivistin Tjan Zaotschnaja demonstriert 2018 in der Essener Innenstadt gegen die Kohleimporte des Energiekonzerns RWE. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Essen.

Foto: Anke Konietzny

Jetzt, zwei Jahre später, sollte Tjan an einem Mittwochabend in der Essener VHS einen Vortrag zum Thema „Frischer Schnee ist schwarz im Land der Schoren“ halten. Dabei lernten wir auch Mafe aus Kolumbien kennen. Ihre Geschichte ähnelte sich in trauriger Weise mit der von Vladislav und Dimitri. Denn auch in Mafes Heimat wird die Bevölkerung rücksichtslos vertrieben, um einen riesigen Steinkohletagebau weiter ausweiten zu können. Dem Volk der Wayuu wird die Heimat weggesprengt.

Kolumbien exportiert fast seine gesamte Kohle – auch nach Deutschland. Ein Viertel der Steinkohle, die vor allem RWE, STEAG, EO.N und EnBW nach Deutschland importieren, stammt aus Kolumbien, ein weiteres Viertel aus Russland. (GfbV)

Am nächsten Tag durften Tjan und Mafe, eingeladen von den „Kritischen Aktionären“, auf der Hauptversammlung von RWE sprechen. Zusammen mit Vertretern verschiedener Umweltschutzorganisationen sowie Clumsy und Luna, zwei Baumbewohnern aus dem Hambacher Forst, mahnten sie die Aktionäre, verstärkt Menschenrechts- und Umweltschutzstandards von RWE einzufordern.

Doch nicht nur auf der RWE-Hauptversammlung hatte sich eine breite Allianz aus Umwelt- und Klimaschutzverbänden, Menschenrechtsverteidigern, bürgerlichem Protest und jugendlichen Aktivisten geformt. Denn zeitgleich stand ich mit Kollegen vom BUND und anderen Initiativen in der Essener Innenstadt und versuchte, Passanten für unser Anliegen zu gewinnen. Auch einige RWE-Kleinaktionäre, die eben noch auf der Hauptversammlung waren und jetzt an unserem Infostand vorbeischauten, erinnerte unsere gemischte Truppe nochmals an die vielfältigen Auswirkungen und die Tragweite einer veralteten Energiepolitik. Mehrere Unterschriftenlisten zu Protestbriefen füllten sich.

Im Rheinland hat sich seit Jahren ein starker Widerstand gegen Kohleabbau und Umweltzerstörung formiert. Im Hambacher Forst wohnen Aktivisten in Bäumen, um die Abholzung des letzten Stück Waldes, der dem Kohleabbau weichen soll, zu verhindern.


Foto: Cécile Lacavalerie für GfbV

Für Tag 3 schließlich hatten Tjan und ich uns bei den Baumbeschützern im Hambacher Forst angemeldet. Dieser ist der kleine Rest eines ehemals stattlichen Waldgebietes, das bereits dem Braunkohletagebau im rheinischen Revier zwischen Köln und Aachen zum Opfer gefallen ist. Aktuell leben dort junge Menschen aus nah und fern in Baumhäusern, um die Rodung des schützenswerten Waldes zu verhindern. In den vergangenen sechs Jahren hat sich der Hambacher Forst deswegen zum Symbol des Widerstandes gegen den Energieriesen RWE entwickelt. Journalisten aus aller Welt waren ebenso schon zu Besuch wie indigene Aktivisten und Klimaschützer. Im Sommer 2017 begleiteten GfbV-Praktikantinnen vier Water Protectors, die in Standing Rock gegen die Dakota Access Pipeline kämpften. (GfbV Blog)

Ein Mädchen namens Woh empfing uns und führte uns auf schmalen Pfaden durch den frühlingsgrünen Wald zu verschiedenen Baumbesiedlungen und zur Rodungskante. Sie selbst lebt seit ein paar Wochen in schwindelerregender Höhe auf zwei schlanken Buchen, um diese dadurch vor den Fälltrupps von RWE zu schützen. Die Aktivisten im Hambacher Forst sind solidarisch mit indigenen und autochthonen Gemeinschaften in aller Welt, die um Landrechte und gegen Umweltzerstörung kämpfen. Darum kamen auch gut zwanzig von ihnen zu einem spontan angesetzten Treffen, bei dem Tjan aus dem Land der Schoren berichtete und sich ihrerseits nach brauchbaren Formen des Widerstandes erkundigte. Die großen Entfernungen im dünnbesiedelten Land, Demonstrationsverbot, extreme Verflechtungen zwischen Staat und Wirtschaft sind nur einige der Umstände, die den Widerstand im Kuzbass erschweren. Die Fotos vom „frischen Schnee“ in Südsibirien und das Schicksal von Yana, Vladislav und ihren Kindern berührte die jungen Leute sehr.

Die GfbV-Menschenrechtlerinnen Anke Konietzny (l.) und Tjan Zaotschnaja trafen sich im Hambacher Forst mit Umweltaktivisten. Tjan berichtete von der der massiven Umweltzerstörung durch den Kohleabbau in Südsibirien und den Gefahren, denen sich Aktivisten in der Region in Russland ausgesetzt sehen. 


Foto: Anke Konietzny

Eins wurde schnell klar – so bedrohlich die hiesigen Aktivisten die Konfrontation mit der Polizei und dem RWE-Sicherheitsdienst empfinden, so sehr sie die von Baggern aufgerissene Erde schmerzt und so groß ihr Zorn auf die kurzsichtige, klimaschädliche Firmenpolitik von RWE ist – das alles ist in anderen Teilen der Welt noch viel schlimmer. Dort schert man sich nicht um Umweltauflagen, Artenschutz, Entschädigungszahlungen oder Rekultivierung. Stattdessen werden für den Profit und für unsere Versorgung mit scheinbar billiger Energie Erde, Luft und Wasser hemmungslos verseucht und die Menschen vertrieben. Denen, die nicht weichen wollen, werden die Häuser angezündet und sie sind ihres Lebens nicht sicher.

Versehen mit solidarischen Grüßen an die Schoren und einem denkwürdigen Abschiedsfoto verließen wir die gastfreundlichen Wald- und Wiesenmenschen. Auf dem Heimweg warfen Tjan und ich am RWE-Besichtigungscenter „Terra Nova“ noch einen Blick in das „Loch“, wie die Aktivisten die riesige Tagebaugrube nennen. Am Kraftwerk Niederaußem erinnerte ich mich noch mal an Vladislavs Worte „Habt ihr es gut – bei Euch ist der Qualm weiß …“

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[Zur Autorin]

ANKE KONIETZNY engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich für die GfbV in der Regionalgruppe Düsseldorf. Um für die Rechte von Minderheiten und indigenen Völkern zu werben, organisiert sie Infostände, beteiligt sich an Mahnwachen oder kritisiert bei Aktionen die Energiepolitik in Deutschland.

3 Gedanken zu “„Frischer Schnee ist schwarz im Land der Schoren“


  1. Anke, vielen Dank für die Informationen und Dein nachhaltiges Engagement. Ich wünsche Dir weiter viel Kraft, Geduld und Erfolg. Glück Auf, Michael.

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