Polizeigewalt und -willkür, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sexuelle Belästigung von Frauen: der vor über einem Monat nach Morden an acht Indigenen ausgesprochene Ausnahmezustand in San Juan Sacatepéquez ist vollkommen gescheitert. Außer der guatemaltekischen Regierung scheint dies allen klar.
von Céline Sonnenberg; Foto: Luis Roberto Lainez
Über einen Monat dauert der durch den Präsidenten Otto Pérez Molina verhängte Ausnahmezustand im Landkreis San Juan Sacatepéquez in Guatemala nun schon an. Seit dem 22. September ist es den Bewohnern verboten, sich öffentlich zu versammeln, auch das Recht auf freie Rede ist ausgesetzt. Offiziell gilt in den Gemeinden das Kriegsrecht.
Auslöser für den präsidialen Beschluss war die Eskalation des seit Jahren andauernden Konflikts um eine geplante Zementfabrik in der Gegend. Viele der Anwohner, die zum Großteil der indigenen Ethnie Kakchiquel, einer Untergruppe der Maya angehören, fürchten, dass die Fabrik dir Wasserqualität verschlechtern und die Umwelt verschmutzen wird.
Ende September kam es zu massiven gewaltsamen Auseinandersetzungen, acht Menschen wurden ermordet, Häuser und Autos in Brand gesetzt. Die Reaktion der guatemalaschen Regierung war das Aussprechen des Ausnahmezustandes. Etwa 1000 Polizisten und Soldaten, Kleintransporter voll mit geladenen Maschinengewehren und Panzer wurden nach San Juan entsendet. Von Anfang an beklagten sich Anwohner, dass ihr Privateigentum zerstört, ihre persönlichen Dokumente einbehalten und nicht genehmigte Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden.
Einen Monat später sind diese Stimmen nicht verstummt. Immer noch wird protestiert, immer noch gibt es keine neuen Entwicklungen in den Ermittlungen. Zu den Vorwürfen von Polizeiwillkür kommen nun zahlreiche Meldungen über sexuelle Belästigung und Gewalt gegen indigene Frauen durch die ansässigen Streitkräfte. Sogar Mädchen im Alter von elf bis 14 Jahren sollen belästigt worden sein. Etwa 1000 Frauen der Kakchiquel-Gemeinden in der Region haben nun in der Hauptstadt Guatemala-Stadt protestiert. Sie fordern die Aufhebung des Ausnahmezustands und neue Maßnahmen der Regierung. In ihrem Kommuniqué sprechen sie von Verfolgung, Angst, Beklemmung und Furcht, die seit Beginn des Ausnahmezustands herrschen.
Diese Berichte stehen im extremen Kontrast zu der Aussage der Regierung, Sie behauptet nämlich, der Ausnahmezustand würde „die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Sicherheit und den umfassenden Frieden der Menschen“ schützen.
Viele Anwohner in San Juan glauben allerdings, dass die Militarisierung der Region eine Maßnahme der Regierung ist, um die Anführer der Proteste und der Gemeinden besser kontrollieren und beobachten zu können.
Dass diese Vermutungen begründet sein könnten, zeigt die Verhaftung der Kaqchiquel-Aktivistin Bárbara Díaz Surin aus der Gemeinde Cruz Blanca. Als sie gemeinsam mit ihrer neunjährigen Tochter und einem Mitarbeiter Frühstücken ging, wurde sie festgenommen. Bis zur Ankunft im Gericht von Mixco wusste sie nicht einmal den Grund für ihre Festnahme. Angeblich als Schuldige für einen einige Monate zurückliegenden Mord verhaftet, scheint es offensichtlich, dass die offene Gegnerin der Zementfabrik für ihren Aktivismus festgenommen wurde. Zurzeit ist sie die einzige Frau, die in dem Gefängnis inhaftiert ist und leidet nicht nur unter verbalen Anfeindungen, sondern angeblich auch unter sexueller Belästigung durch die männlichen Insassen.
Die guatemaltekische Regierung muss endlich konkrete Schritte zur Aufklärung der Morde einleiten und die Verstöße gegen die Menschenrechte in dem Landkreis bestrafen. Weiter an einem Ausnahmezustand festzuhalten, der zu Gewalt und Machtmissbrauch in der Region führt, kann und darf keine Reaktion einer demokratischen Regierung sein.
[Zur Autorin]
CÉLINE SONNENBERG studiert Internationale Beziehungen an der Universität Malmö (Malmö högskola). Nächstes Jahr wird sie ihren Bachelor of Arts abschließen. Céline arbeitete als Freiwillige auf einem Pferdegestüt in der Nähe von Santiago de Chile und reiste durch Südamerika. Seitdem interessiert sie sich besonders für die Situation der indigenen Gemeinschaften in Lateinamerika.