Die präkoloniale Geschichte des afrikanischen Kontinents wird in den Medien leider oft übergangen. Zum Abschluss des Black History Months möchten wir einen weiteren interessanten Aspekt afrikanischer Geschichte vorstellen: Die Reiche Nubiens, die in der Wissenschaft lange im Schatten Ägyptens standen.
Von Kári Weiner; Foto: Pyramiden von Meroë. Quelle: Valerian Guillot
Die vergessenen Reiche Nubiens
Es gibt wohl wenige Kulturen, die in der Archäologie und historischen Forschung so übergangen und heruntergespielt wurden, wie die nubischen Königreiche in Napata und Meroë. Deren im heutigen Sudan am oberen Nil gelegenen historischen Stätten wurden bis vor wenigen Jahren im Grunde als unbedeutender Nebenschauplatz der Ägyptologie betrachtet.
So wurden die einzigartigen, spitzen Pyramiden von Meroë als bloße Nachahmung der ägyptischen interpretiert. Gleichzeitig wurden nubische kulturelle Einflüsse auf Ägypten, zum Beispiel in der Keramikherstellung, pauschal abgelehnt. Nubische Inschriften, die in einer lokalen Kreolsprache verfasst sind, wurden als gescheiterter Versuch an der ägyptischen Hieroglyphenschrift abgetan und der Fund einer Liste nubischer Namen in ägyptischen Aufzeichnungen wurde wie selbstverständlich als Liste von Sklav*innen interpretiert.
In den letzten Jahrzehnten hat sich dies verändert – die „Nubiologie“ tritt aus dem Schatten der Ägyptologie und etabliert sich zunehmend als eigene archäologische Disziplin. Heute werden die nubischen Reiche und Kulturen nicht mehr als „ägyptisches Hinterland“ betrachtet. Es kristallisiert sich Fund um Fund heraus, dass sie ihren nördlichen Nachbarn am Nil in nichts nachstanden und oft sogar zu einer ernstzunehmenden Bedrohung für sie wurden.
Auf Augenhöhe mit Ägypten
Die Beziehungen zwischen den Menschen im nördlichen und südlichen Niltal waren immer vielfältig. Aus ägyptischer Perspektive war Nubien der vielleicht wichtigste Handelspartner. Von dort aus kamen Gold und (teils kuriose) Luxusgüter aus südlicheren Teilen Afrikas ins Niltal. Zum Beispiel Giraffenschwanzhaare, die in Ägypten dringend gebraucht wurden – um darauf Perlenketten aufzufädeln. Damit war auch die Macht des ägyptischen Adels von Nubien abhängig. Verebbte der stetige Strom an Gold und Geschenken an die Mächtigen, machte sich der Pharao oder die Pharaonin schnell unbeliebt. Und falls sie das dann verfrüht ins Grab führte, musste selbst der Stein für ihre Pyramiden oft aus Nubien importiert werden.
Für beide Regionen spielte auch Migration eine wichtige Rolle. Großflächiger Ackerbau wie im nördlichen Niltal war im engeren südlichen Niltal Nubiens nicht möglich. Also machten sich die Menschen aus Nubien oft auf der Suche nach Arbeit auf den Weg in den Norden. Dort fanden sie nicht nur einfache Feldarbeit, sondern stiegen auch hoch in den Hierarchien auf. Viele Männer fanden zum Beispiel Arbeit als Söldner: Das ägyptische Heer war regelrecht abhängig von nubischen Bogenschützen, die als die fähigsten der Welt galten. Eine weitere Gemeinsamkeit der nubischen und ägyptischen Kulturen war aber auch immer die weitgehende Gleichberechtigung von Mann und Frau. Dies ermöglichte es vielen Frauen mit Töpferei, Bierbrauen oder Schusterei Geld zu verdienen – in Ägypten weiblich dominierte Berufe. Zudem war höhere Bildung Frauen nicht verwehrt. Es gab Schreiberinnen und Priesterinnen, auch Medizin wurde oft von Frauen praktiziert.
In Nubien war der kulturelle Einfluss Ägyptens überall zu spüren. Erkennbar ist das heute noch an den spitzen Pyramiden in der nubischen Stadt Meroë und den Tempeln für ägyptische Gottheiten, die am oberen Nil errichtet wurden. Auch die meroitische Schrift war vom älteren ägyptischen System inspiriert, das in Nubien jahrhundertelang Verwendung fand.
All dies sind aber auch Beispiele dafür, wie aus den unterschiedlichen Kulturen einzigartige, neue Traditionen entstanden. Die Kapellen am Eingang der Pyramiden von Meroë erinnern an Eingangskapellen an nubischen Grabhügeln, die zuvor schon seit Jahrhunderten errichtet wurden. Der ägyptische Gott Amun verschmolz wohl mit einer lokalen religiösen Tradition Nubiens und wurde seitdem mit Widderkopf dargestellt, was später sogar in Ägypten Verbreitung fand. Und die meroitische Schrift war, anders als die ägyptische, eine Silbenschrift. Statt circa 7000 Hieroglyphen kam sie mit weniger als 50 aus.
Der erste Schwarze Pharao
Den Höhepunkt seiner Macht erreichte Nubien im Reich von Kusch ab ca. 700 v.u.Z. Nachdem die kuschitischen Adligen in ihrer Heimat an die Macht gekommen waren und über ein großes Gebiet um die Städte Napata und Meroë herrschten, gewannen sie auch in Ägypten zunehmend an Einfluss, das zu dieser Zeit von mehreren Gegenpharaonen umkämpft war.
So wurde die Kuschitin Amenirdis I. zur „Gottesgemahlin des Amun“. Damit war sie oberste Priesterin, Theokratin und Herrscherin über die Metropole Theben. Wenig später führte ihr Bruder Piye einen Feldzug von Nubien bis zum Nildelta an, der auf einer Schrifttafel in Napata beschrieben wird. Auch wenn das zu Beginn des Feldzuges wohl kaum seine Absicht war, wurde er so zum ersten Schwarzen Pharao Ägyptens.
Einige Jahre später festigte dann sein Nachfolger Schebitqo die kuschitische Herrschaft über Ägypten: Politische Gegner wurden ausgeschaltet und kuschitische Verbündete in der Bürokratie eingesetzt. Um sich beim assyrischen Reich beliebt zu machen, das über die östliche Mittelmeerküste herrschte, übergab man ihnen mit politischem Kalkül den Gefangenen Yamani, der zuvor eine Rebellion in Assyrien angeführt hatte.
Danach regierte Kusch als 25. Dynastie Ägyptens noch circa 60 Jahre lang. Auf Reliefs wurden sie sowohl mit der „Kuschitenkappe“ der nubischen Könige als auch mit der „Roten Krone“ Unterägyptens abgebildet. Schließlich fielen sie dann aber doch dem Assyrischen Reich zum Opfer, die ihren eigenen Pharao einsetzten, womit die ägyptische Spätzeit begann. Lange Zeit war nur bekannt, dass der letzte kuschitische Pharao Tanutamani sich daraufhin an einen unbekannten Ort namens „Kipkipi“ zurückziehen musste. Das Rätsel darum ist inzwischen gelüftet. Die neue Übersetzung lautet: „er war im Arsch“.
Die Königinnen von Meroë
Im Jahr 250 v.u.Z. verlagerte sich das Machtzentrum Kuschs von Napata nach Meroë, woran dort heute noch die spitzen Pyramiden erinnern. Diese wurden in Kusch, anders als in Ägypten, nicht als Zeichen göttlicher Herrschaft errichtet, sondern als Statussymbol. In den Pyramiden von Meroë ließen sich nicht nur Könige und Königinnen beerdigen, sondern auch andere Adlige und Mächtige. Dabei finden sich in den Grabkammern fast so viele Frauen wie Männer.
Auch wenn die genauen Modalitäten bis heute unklar sind, scheinen kuschitische Frauen nämlich eine feste und wichtige Rolle in der Erbfolge gespielt zu haben. So wird gebetet, König Aspelta möge lange regieren, und zwar „mit seiner Mutter“. Er selbst beschreibt sie auf einer Schrifttafel als „Tochter des Re“ und listet ganz nebenbei stolz alle seine weiblichen Vorfahren über acht Generationen hinweg auf.
Fest steht, dass Frauen in Kusch noch mehr Macht als in Ägypten hatten und dass sie oft auch allein oder zusammen mit einem König das Land regierten. Diese Königinnen nannte man auf meroitisch Kandake.
Eine solche Kandake war Amanirenase, die zusammen mit ihrem Mann Teriteqase regierte, als Ägypten vom römischen Kaiser Augustus besetzt wurde. Das königliche Paar erkannte die Gelegenheit und startete einen Feldzug, von dem symbolträchtige Beute zurück nach Nubien gebracht werden konnte: Der Kopf einer Bronzestatue Augustus wurde später in Meroë ausgegraben.
Diese Schmach konnte der Kaiser nicht ertragen und ein Rachefeldzug nach Nubien wurde in die Wege geleitet. Dabei verlor Teriteqase das Leben und Amanirenase musste die Armee von da an allein anführen.
Römische Quellen berichten, das die Offensive ein voller Erfolg für Rom war, dass die Stadt Napata trotz Friedensangebote zerstört wurde und Gefangene aus Napata in einer Siegesparade in Rom vorgeführt wurden. Danach erst sei es zu Friedensverhandlungen mit Amanirenase gekommen.
Wie sich aber inzwischen herausstellte, hat diese Geschichte ganz erhebliche Lücken: In Napata gibt es keinerlei archäologischen Indizien für eine Zerstörung der Stadt. Die Gefangenen, die Kaiser Augustus in Rom gesehen haben will, hätten in der kurzen Zeit, die die Quellen angeben, kaum den langen Weg nach Italien zurücklegen können. Und zu allem Überfluss verrät sich Rom an anderer Stelle selbst: eine Liste eroberter Ortschaften am Nil hört deutlich vor Napata auf.
Schlachtenrelief auf dem Grab einer Kandake in Meroë. Quelle: Wikimedia
Fest steht, dass es nach dem Krieg gegen die Feldherrin aus Meroë zu Friedensverhandlungen kam. Und dass Rom dabei etwa 100 km Niltal an Nubien abtreten mussten. Nach einem erfolgreichen Feldzug klingt das ganz entschieden nicht, eher nach einem Kaiser, dem es peinlich ist, gegen eine Frau verloren zu haben.
Was bleibt vom alten Nubien?
Nach mehrfacher Missionierung durch Christentum und Islam und anschließend Jahren der Kolonialherrschaft könnte man meinen, dass im heutigen Sudan nicht mehr viel an dieses alte Nubien erinnert.
Damit läge man allerdings weit daneben. Bei einer sudanesische Hochzeitstradition zum Beispiel wird der Braut beim Tanz „Kedi, Kedi“ zugerufen und gesungen – das meroitische Wort für „Frau“, mit dem auch „Kandake“ verwandt ist. Und auf der Insel Sai werden noch heute nubische Grabhügel errichtet, nach inzwischen jahrtausendealter Tradition. So erinnern an die Städte Meroë und Napata, das Reich Kusch und den Glanz seiner Kandaken und Könige nicht nur die beeindruckenden Ruinen und Pyramiden. Vielmehr sind auch Bräuche und Geschichten Nubiens ein wichtiger Teil des kulturellen Erbes im heutigen Sudan.
Der deutsche Ägyptologe und Nubienforscher Francis Breyer fasst in seinem Buch „Schwarze Pharaonen: Nubiens Königreiche am Nil“ den aktuellen Forschungsstand zum Thema Nubien zusammen.
Auch in einer Episode der ARTE-Serie „Stadt, Land, Kunst“ wird das antike Nubien vorgestellt: https://www.arte.tv/de/videos/099671-000-A/sudan-das-reich-der-schwarzen-pharaonen/