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Soziale Ungleichheit, Diskriminierung, Korruption, Straflosigkeit und Menschenrechtsverletzungen sind in Guatemala an der Tagesordnung. Doch wie konnte sich solch ein menschenrechtsverachtendes System etablieren? Francisca Gómez Grijalva gibt im folgenden Text einen kurzen Abriss über Guatemalas ungerechte Geschichte und zeigt, wo die Wurzeln der aktuellen Probleme liegen. Aus dem Spanischen von Stephanie Brause.
15.7.2015
Francisca Gómez Grijalva
Korruption und Straflosigkeit sind in Guatemala keine neuen Plagen. Die ersten Fälle lassen sich auf die spanische Invasion und Kolonialisierung zurückdatieren, wo Encomenderos[1], koloniale Behörden und der Klerus sich unter Vorwänden bereicherten. Sie beuteten die Arbeitskraft der Xinca und Maya-Völker aus und vertrieben sie von ihrem Land – mit und ohne Billigung des Gesetzes, aber auf jeden Fall immer unrechtmäßig. Die spanische Krone fungierte bei dieser Schandtat als Komplize. Sie erhielt Tributzahlungen und stellte sich bezüglich der Schikanen und Machtmissbräuche dieses Herrschaftsregimes taub.
Nach der Unabhängigkeit von Spanien ergriff die kreolische[2] Oligarchie die politische und ökonomische Macht. Sie führte die koloniale Politik der Enteignung und Plünderung fort. Die Wurzeln der Korruption hatten sich bereits zu tief in Guatemala gegraben. Es war ein Diebstahl, der den Weg freimachte für einen hegemonischen, rassistischen und marginalisierenden Staat. Systematisch wurden soziale, politische und wirtschaftliche Rechte verweigert, um den Status quo zu erhalten – mit anderen Worten: Das, was bereits geraubt wurde und das, was noch in Zukunft geraubt werden würde, konzentrierte sich in den Händen einer kleinen Gruppe.
Um jeglichen Verstoß gegen das etablierte System zu vermeiden, wurden konservative, korrupte Militärdiktaturen institutionalisiert, die gegen Aufständische vorgingen. Als ländliche Maya-Gemeinden, Gewerkschafter, Studenten und Akademiker in den 60er Jahren begannen, die Plünderungspolitik und das ausbeuterische Arbeitssystem in Frage zu stellen, anzuprangern und dagegen aufzubegehren, antwortete der Staat mit brutaler Repression, die mehr als 36 Jahre andauerte.
Der staatliche Terrorismus verschärfte sich, als sich das Militär im März 1982 an die Macht putschte und den Diktator und Massenmörder Fernando Romeo Lucas García absetzte. Wenige Monate nach dem Staatsstreich erklärte sich der General José Efraín Ríos Montt zum Präsidenten der Republik und versicherte, dass seine Regierung gegen Korruption kämpfen und das Land demokratisieren würde. Nichts davon bewahrheitete sich. Zwischen 1982 und 1983 setzte er die blutigste Völkermordpolitik in der Geschichte Guatemalas in Gang, vor allem gegen das Volk der Maya.
Der Völkermord und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die Regierung Ríos Montts gegen die Ixil-Maya und andere Maya-Völker verübte, blieben bis heute ungestraft. Nur wenige Tage, nachdem das Hochsicherheitsgericht A, geleitet von den Richterinnen Yassmín Barrios Aguilar, Patricia Bustamante García und dem Richter Oablo Xitumul de Paz, Ríos Montt wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen hatte, hob das Verfassungsgericht das Urteil wieder auf. […] Die Tatsache, dass es unterwürfige Richterinnen und Richter gibt, zeigt, dass eine enge Beziehung zwischen Korruption, Straflosigkeit, Repression und Menschenrechtsverletzungen in Guatemala besteht.
[…]
[1] Konquistadoren, denen große Ländereien mitsamt der darin lebenden indigenen Bevölkerung von der spanischen Krone übertragen wurden
[2] Nachkommen weißer europäischer Einwanderer
[Zur Autorin]
FRANCISCA GÓMEZ GRIJALVA ist eine indigene Journalistin aus Guatemala. Wöchentlich veröffentlicht sie in der wichtigsten guatemaltekischen Tageszeitung Prensa Libre ihre Kolumne „Ukemik Na’oj“, was in Kʼicheʽ so viel bedeutet wie Gefühle, Gedanken und Ideen weben. In ihrer Kolumne thematisiert sie Menschenrechtsverletzungen und soziale Probleme, unter denen die Gesellschaft in Guatemala zu leiden hat.