Wie erleben Indigene Covid-19?

Indigene sind durch die Pandemie besonders großen Risiken ausgesetzt, sie sind mehr als andere Bevölkerungsgruppen gefährdet. Warum ist das so?

übersetzt und bearbeitet von Yvonne Bangert; Foto: Katie Maehler

Oft leben sie in abgelegenen Gegenden, die von außen kaum erreichbar sind. Die Versorgung mit gesunder Nahrung, sauberem Wasser oder Dienstleistungen einer Gesundheitsversorgung sind oft schlecht oder gar nicht erreichbar. In vielen Gebieten ist die Zahl der Indigenen mit Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen, die ein besonders großes Risiko für schwere Krankheitsverläufe nach einer Infizierung darstellen, sehr hoch. Gleichzeitig ist der soziale Zusammenhalt in indigenen Gemeinschaften meist ganz besonders eng. Viele leben in Großfamilien zusammen. So fällt das Gebot der Kontaktvermeidung hier ganz besonders schwer. 

Die US-amerikanische NGO Cultural Survival gibt einen Einblick in existenzielle Nöte, die uns in unserer relativen Wohlstandswelt eher fremd sind.

Perry Bellegard, oberster Repräsentant des Dachverbandes der First Nations in Kanada „Assembly of First Nations“, sagte gegenüber Cultural Survival: “Für viele Inuit und First Nations Angehörige in abgelegenen Siedlungen sind Krankenhäuser nicht unmittelbar erreichbar. Für Behandlungen müssen sie in städtische Zentren ausgeflogen werden. Ihnen und allen Risikopatienten muss unsere besondere Sorge gelten.“

Risikopatienten sind vor allem die betagten Angehörigen indigener Gemeinschaften und dies nicht nur wegen ihres Alters. Sie leben oft in Mehrgenerationenhaushalten mit meist sehr vielen Angehörigen, in denen es kaum möglich ist, einzelne Mitglieder zu isolieren. Entsprechend groß ist die Infektionsgefahr. Gleichzeitig sind gerade diese älteren Menschen Träger des traditionellen Wissens. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei Gemeindeversammlungen, Tänzen, Heilungszeremonien oder auch der Selbstverwaltung. Sie sind oft die Letzten, die noch über das traditionelle Wissen ihrer Gemeinschaften verfügen und die eigene Sprache fließend beherrschen. Dieses gemeinschaftliche Wissen, die Grundlage des kulturellen Erbes einer Gemeinschaft, ist ebenfalls in Gefahr.

Lohnfortzahlung oder Home Office sind Luxuserscheinungen unserer Welt, über die Menschen im globalen Süden und Angehörige der Indigenen Gemeinschaften in der Regel nicht verfügen. Sie haben nicht die Wahl, zu Hause zu bleiben, sondern sind gezwungen zu arbeiten, damit sie ihre Familien ernähren können. Wenn zum Beispiel die Regierung Guatemalas den Öffentlichen Personentransport einstellt, um damit die Ausbreitung des Virusses einzudämmen, haben Indigene gleichzeitig kaum noch Zugang zu bezahlten Jobs, zu Nahrungsversorgung oder Gesundheitseinrichtungen. Auch Handhygiene, Vorbeugemaßnahme Nummer eins, ist für viele indigene Gemeinden nicht möglich, denn sie haben viel zu wenig sauberes Trinkwasser, um es für häufiges Händewaschen zu verwenden. 

Gleichzeitig werden auf Ebene des internationalen Rechts viele Tagungen und Konferenzen, die von großer Bedeutung für die Wahrung indigener Rechte sind, abgesagt. Auch die 19. Sitzung des Permanenten Forums für indigene Belange (PFII), die für April 2020 in New York geplant war, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Sonderberichterstatter können durch immer mehr Grenzschließungen und Reisbeschränkungen ihre Missionen nicht mehr ausführen. Das Subcommittee on Prevention of Torture sagte zum Beispiel seine Mission nach Argentinien ab, obwohl es von dort Klagen der Mapuche über Fälle von Folter gibt.

Die britische Umweltorganisation The Rainforest Foundation zieht eine Parallele zwischen Umweltzerstörung bzw. Klimawandel und der Pandemie: „Der COVID-19-Virus hat seinen Ursprung in Tieren und ging dann über auf Menschen, so wie vor ihm schon SARS, MERS, Ebola und Vogelgrippe. Der Verlust an Waldflächen und der Klimawandel üben immer größeren Druck auf die Beziehungen zwischen Wildnis und Mensch aus und beschleunigen eindeutig die Verbreitung von Infektionskrankheiten.“ Entsprechend sei der Schutz des Regenwaldes und anderer von Indigenen bewahrter Landschaften sowie der Heiler und Kulturwissenden, welche das traditionelle Wissen dieser Gebiete hüten, ein zentraler Bestandteil der weltweiten Vorbeugung vor Infektionskrankheiten.

Die Indigenen selbst teilen ihr Wissen gern mit anderen, zum Beispiel eine Klasse für Kräuterkunde am Sitting Bull Tribal College, das im Standing Rock Reservat in North Dakota liegt. Unter Anleitung der Ethnobotanikerin Linda Black Elk haben die Schüler*innen einen Pflanzenführer für den kollektiven Schutz und Heilung während COVID-19 zusammengestellt. Leser*innen werden ausdrücklich aufgefordert, das Handbuch mit ihren Kontakten zu teilen. „Das kapitalistische System wird weltweit gerade gezwungen, sich zu verlangsamen und anzuhalten“, heißt es dort. „Wir hoffen, dass dieser Guide euch und euren Gemeinschaften helfen wird, in den kommenden Monaten stark und gelassen zu bleiben. Das Land ist immer unsere Apotheke gewesen.“

Quelle des Beitrags: https://www.culturalsurvival.org/news/coronavirus-indigenous-peoples-and-global-advocacy

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