Kanada: Recht ist eben doch nicht immer Gerechtigkeit

Vor einer Woche wurde eine Gesetzesvorlage im kanadischen Parlament abgelehnt, die die Rechte der Inuit, den First Nations und Métis gestärkt hätte. Die Konsequenz scheint nun, dass eine Versöhnung zwischen der kanadischen Regierung und der indigenen Bevölkerung in weite Ferne gerückt ist.

von Yvonne Bangert; Foto: Flickr/Ray Morris

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass – zugegeben, diese Art Sinnsprüche sind vielleicht ein Griff in die Mottenkiste, doch der Aphorismus beschreibt zu gut die politische Wirklichkeit in Kanada: Einerseits unterzeichnet die kanadische Regierung die UN-Deklaration über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP), verweigert aber gleichzeitig den eigenen Ureinwohnern eine entsprechende Gesetzgebung.

Am 6. Mai 2015 lehnte  das House of Commons des kanadischen Parlaments eine Gesetzesvorlage des Parlamentariers Romeo Saganash, Inuit aus dem Autonomiegebiet Nunavik, ab. Er wollte mit Bill C-641 die UNDRIP zum Bestandteil der Gesetzgebung Kanadas machen. Das vorgeschlagene Gesetz hätte zum Beispiel das Recht auf gleichberechtigte Mitbestimmung indigener Völker bei allen sie betreffenden Entscheidungen festgelegt – ein Aspekt, mit dem sich die Regierung Kanadas besonders schwer tut. Außerdem wäre mit dem Gesetz das Recht aller indigenen Völker auf eigene selbstverwaltete Institutionen und auf Entschädigung für die Folgen von Zwangsassimilation besiegelt gewesen. Es hätte die Regierung verpflichtet, die kanadische Gesetzgebung in Übereinstimmung mit der UNDRIP zu bringen. Zugestimmt hat die Regierung de facto ja schon, als sie die Erklärung unterzeichnet hat. Doch die UNDRIP hat eine Schwäche: Sie ist nicht rechtlich verbindend, sondern lediglich eine Absichtserklärung der Vereinten Nationen – so wie auch die Menschenrechtserklärung. Einen bindenden Charakter bekommt so eine Erklärung erst, wenn sie in die jeweilige Gesetzgebung eines Staates übernommen wird.

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Inuit, die First Nations und Métis bilden zusammen die indigene Bevölkerung Kanadas, die von dem Ergebnis der Abstimmung sehr enttäuscht ist.  Vertan ist eine Chance für eine wirkliche Partnerschaft  zwischen Kanada und den indigenen Völkern. Dabei war die Entstehung des heutigen Kanada nur dadurch möglich, dass seine Ureinwohner ihre Souveränität und dabei oft auch ihre Identität verloren haben. Bis heute leiden viele von ihnen unter den traumatischen  Folgen der Zwangsunterbringung in Internatsschulen, in denen sie mit Gewalt der Kultur ihrer Vorfahren beraubt wurden. Kanadas Wohlstand beruht auch auf den Bodenschätzen aus indigener Erde, den Teersandvorkommen in Saskatchewan zum Beispiel, aber auch Uran, Kohle oder Gold. Eigentlich Grund genug für das politische Kanada, nach Wegen zu Versöhnung, Ausgleich und Gleichberechtigung zu suchen. Und Versöhnung ist so dringend notwendig: Das tragische Schicksal hunderter junger indigener Frauen und Mädchen, die vermisst sind und von denen die meisten ermordet wurden, erschüttert das ganze Land und zeigt die tiefen Gräben, die Ausgrenzung und Diskriminierung gebaut haben.

Bill C-641, das von allen Vertreterverbänden kanadischer Indigener unterstützt wird, kam dennoch über die erste Lesung im Dezember 2014 nicht hinaus. Wovor hat Kanada eigentlich Angst?

[Zur Autorin]

YVONNE BANGERT ist seit mehr als 30 Jahren für die GfbV in Göttingen tätig, zunächst als Redakteurin der Zeitschrift “pogrom“ und der Internetseiten, seit 2005 als Referentin für indigene Völker.

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