Besuch bei den Menschenrechtsaktivist*innen Mai Shatta und Munsir Adam in Berlin
„Auf dem Plakat siehst du unser ganzes Team“, erklärt mir Mai Ali Shatta, Friedensfachkraft für Süd-Nord Lobbying aus dem Sudan, die mittlerweile von Berlin aus arbeitet, bei meinem Besuch in ihrem Büro. „Unser Büro in Khartum wurde bombardiert. Da ist nichts übriggeblieben. Aber zum Glück sind alle Frauen im Team am Leben. Obwohl“, korrigiert sie sich, „die Schwester meiner einen Kollegin ist im Krieg umgekommen.“
Text: Sarah Reinke, Teamleitung Menschenrechte
Foto: Mai Ali Shatta und Munsir Adam in Berlin; Sarah Reinke
Inmitten von Berlin, in einem Großraumbüro im Co-Working-Space, ist der Krieg im Sudan plötzlich ganz nah und auch die Verzweiflung, das Leid, das er täglich auslöst. Mai Shatta hat im Sudan ein großes Frauennetzwerk, die Bana Group gegründet. Sie war eine jener mutigen Frauen, der der Sudan die Revolution von 2019 zu verdanken hat. Für ihr Engagement wurde sie verfolgt und inhaftiert. Im Gefängnis dachte sie darüber nach, dass die Frauen zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen müssen, egal, wo sie im Sudan leben, welcher Ethnie oder Religion sie angehören. Im Bana Group Team sind Frauen aus den Nuba-Bergen, aus Darfur, aus der Hauptstadt und anderen Landesteilen.
Hier in Deutschland ist Mai Shatta für Lobbying zuständig, dafür, Hilfe und Unterstützung zu organisieren. Sie hat Menschen um sich geschart, die auch helfen wollen. Wie den jungen Arzt Munsir Adam, der zu unserem Treffen dazu kommt. Gerade hat er seine Nachtschicht im Krankenhaus im Brandenburgischen Perleberg beendet. Gemeinsam sprechen wir über den Krieg im Sudan, aber auch über die enormen Schwierigkeiten für das Thema hier in Deutschland Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Berliner Aktivist*innen hatten im Sommer schon ein großes (von der GfbV unterstütztes) Festival mit tollem Bühnenprogramm, Spendensammeln und Infoaktionen veranstaltet. So konnten sie dringend benötigte Gelder in den Sudan transferieren. Doch sagen beide, dass der Sudan viel zu wenig sichtbar ist in Deutschland. Dass sie selbst auch enorme Schwierigkeiten haben, Termine bei politische Verantwortlichen zu bekommen. Der alltägliche Rassismus, der Mais und Munsirs Alltag und ihre wichtige Arbeit hier prägen, ist mit Händen zu greifen. Sie solle immer über eine weiße und deutsche Person Erstkontakte aufnehmen, wird Mai geraten.
Ich merke, wie wütend ich werde und wie stark ich mich schäme angesichts dessen, was die beiden berichten. „Wenn ich vom Sudan, vom Krieg dort erzähle, dann heißt es oft, nun ja in Afrika ist immer irgendwo Krieg“, berichtet Munsir. Und, was ihn besonders ärgert, es wird eine Verbindung gezogen von der friedlichen Revolution 2019 zum Krieg heute: Hätten also die Sudanes*innen stillgehalten, die menschenverachtende Diktatur von Omar Al Bashir noch länger ertragen, dann wäre da heute kein Krieg. Munsir ist empört darüber, wie wenig die Leute wissen, wie wenig Interesse da ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen. „Sprecht nicht nur über zwei Generäle, die unser Land zerstören und unsere Menschen töten. Sprecht von der Zivilgesellschaft, von den Frauen. Sie sind diejenigen, die das Land überhaupt zusammenhalten“, appelliert Mai. Dass der Staat nicht funktioniert, mache Hilfe auch enorm schwierig. „Teils wollen die Leute helfen und Geld überweisen. Doch es gibt keine Behörden mehr vor Ort. Sie denken, dass die Strukturen wie hier sind. Man muss aber das Vertrauen haben, dass die Zivilgesellschaft und ihre Organisationen die Hilfe verteilen, nicht Behörden. Wir brauchen für unsere Arbeit dieses Vertrauen. Ich kann ja immer alles nachweisen. Wenn wir zum Beispiel Geld transferieren, damit Hilfsgüter gekauft werden können, senden die Empfänger Fotos oder dokumentieren das anders, nur so kann es überhaupt funktionieren“, erklärt Mai. „Wir wissen, dass internationale Gelder da sind, aber sie kommen nicht bei den Menschen an. Wir wollten zum Beispiel selbst einen Container mit dringend benötigten Gütern, wie Medikamenten und Kleidung für die Kinder losschicken“, doch letztlich sind wir an der Bürokratie gescheitert, fügt Munsir hinzu.
Und er ergänzt: „Der Sudan, gerade auch Darfur ist so reich an Bodenschätzen. Dort gibt es die Goldminen, die ausgebeutet werden. Das Gold wird über Saudi-Arabien verkauft, Geld fließt nach Russland und finanziert den Krieg. Nun sind seltene Erden gefunden worden. Sollen sie doch alles stehlen. Der Reichtum des Sudan, das sind für mich die Menschen. Den jungen Menschen hat die Revolution Hoffnung gegeben. Jetzt mussten sie fliehen. Der Krieg, die brutalen Generäle und ihre Helfershelfer, rauben der jungen Generation diese Hoffnung. Anscheinend ist ein Sudan ohne Menschen das Ziel dieses Krieges“, sagt der junge Arzt. Mai und er unterstützen und beraten sudanesische Flüchtlinge in Ägypten, im Tschad, in Saudi-Arabien. Denn auch dort ist die Not groß und manche Hilfsangebote sind nicht sinnvoll. So gibt es Kurzzeitstipendien für junge Leute, doch nach sechs Monaten, laufen diese aus. Dann gibt es keine Perspektive mehr. Solche Stipendien mögen gut gemeint sein, aber sie werden nicht helfen. Daher engagiert sich die Bana Group für eine längerfristige Zukunftsperspektive für die jungen Menschen.
Was können wir gemeinsam tun, wie kann die GfbV unterstützen?
Mit dieser Frage bin ich zu Mai Shatta und Munsir Adam nach Berlin gekommen. Wir haben Pläne geschmiedet und werden unsere Vorhaben Schritt für Schritt angehen. So versuchen wir Gespräche im Auswärtigen Amt sowie mit Bundestagsabgeordneten zu organisieren. Wir versuchen eine Konferenz so zu planen, dass auch die sudanesische Kultur einen Platz bekommt und dass Medien und Politik teilnehmen. Mai berichtet, dass sie einen Dokumentarfilm vorbereitet, der die Geschichten und Stimmen der Menschen im Sudan einfangen und für uns hier hörbar machen wird. Diesen Film können wir gemeinsam zeigen. Wir können versuchen, Kirchen und Kirchengemeinden wegen Spenden anzusprechen. Denn humanitäre Hilfe ist so dringend nötig. „17 Frauen sitzen in einem Raum,“ so Mai Shatta über ein Telefonat gestern, „Sie sind Flüchtlinge. Eine der Frauen soll in fünf Tagen entbinden. Die Luft im Raum ist so schlecht, dass sie es nicht mehr aushält. Sie legt sich draußen auf den blanken Boden.“ Stell dir das vor, hochschwanger und nicht einmal einen Raum zu haben!“, sagt sie.
Ich bin dankbar für die Gespräche, mit der Wut über den Rassismus in Deutschland im Bauch verabschiede ich mich von Mai und Munsir in der Hoffnung, dass wir von der GfbV umsetzen können, was in unserer Macht steht.
Good Read:
“STUDY SUDAN – Voices of the Margins”, Studie von KURVE Wustrow / Bana