Von einem polarisierten Land und seiner Suche nach Selbstbestimmung – Ein Interview mit Tonderai Matanda

Am 23. August wählt Simbabwe. Unser Interviewpartner Tonderai Matanda ist Experte für internationales Recht und Staatsbürger Simbabwes.
Mit Referentin Nadja Grossenbacher spricht er über die Atmosphäre vor den Wahlen in der Hauptstadt Harare, die Situation der Minderheiten im Land, die nationale und internationale Rechtslage im Hinblick auf die Wahlen sowie den kürzlich eingeführten „Patriotic Act“. Außerdem gibt er einen Ausblick auf die Zukunft in seinem Heimatland.

Anmerkung: Das Interview wurde durch Referentin Nadja Grossenbacher gekürzt und vereinfacht, jedoch auch in der gekürzten Version mit dem Interviewpartner abgestimmt.

Interview geführt von: Nadja Grossenbacher; Foto: Kevin Walsh CC BY 2.0

Wie würden Sie die derzeitige Atmosphäre in Harare im Hinblick auf die anstehenden Wahlen beschreiben?

Harare ist seit 2000 eine Hochburg der Oppositionspolitik. Die führende Regierung der Zimbabwe African National Union – Patriotic Front, kurz ZANU-PF, hat die Opposition als inkompetent bezeichnet. Die urbane Bevölkerung ist einer hohen Inflation, Armut, massiver Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, sich verkleinerndem zivilen Raum und der Wahrnehmung eines repressiven und zunehmend autoritären Regimes ausgesetzt. Der Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit und die allgegenwärtige Korruption bereiten den Stadtbewohnern ebenfalls große Sorgen. Unter diesen Umständen ist vor allem Harare angespannt und unsicher.

Was können Sie uns über die Minderheiten im Land erzählen? Wie sieht ihre Menschenrechtssituation aus?

Simbabwe hat fast alle wichtigen internationalen Menschenrechtsinstrumente unterzeichnet und ist somit Verpflichtungen eingegangen. Das Land hat außerdem im Jahr 2013 eine neue Verfassung verabschiedet. Diese ist in vielerlei Hinsicht progressiv. Sie erweitert den Schutz von Einzelnen und verankert soziale und kulturelle Rechte. Die Rechte von LGBTQ+-Personen bleiben jedoch außen vor.

Auch Selbstbestimmung ist ein aktuelles Thema in Simbabwe. Das internationale Recht, so konservativ es in Bezug auf die territoriale Integrität auch sein mag, garantiert auch ein Mindestmaß an Schutz für die Rechte von Völkern, die nach Selbstbestimmung streben und die vom Staat geschützt werden müssen.

Menschen werden von ihrem angetrauten Land vertrieben und ausgebeutet, was ruinöse ökologische, soziale und wirtschaftliche Folgen hat. Diese Personen profitieren kaum von den Bergbauvorhaben, die in ihren Siedlungsgebieten genehmigt wurden, und ihre Konsultation und Zustimmung wird nicht ernsthaft angestrebt.

Die Position der Minderheiten wurde von den politischen Parteien weitgehend an den Rand gedrängt, und es ist unwahrscheinlich, dass ihre Stimmen bei dieser Wahl in Bezug auf ihre Menschenrechte gehört werden.

Welche rechtlichen Verpflichtungen gibt es für die anstehenden Wahlen? Inwiefern denken Sie, dass diese angewandt werden?

Simbabwe ist eine Vertragspartei der ICCPR (International Convention on Civil and Political Rights), der ADC (Afrikanischen Charta für Demokratie, Wahlen und Staatsführung) (seit 2022), des SADC-Vertrags und seiner Protokolle sowie einer Reihe weiterer internationaler Instrumente, die dem Land Verpflichtungen im Zusammenhang mit Wahlen auferlegen.

Die ADC verpflichtet zur Förderung einer verantwortungsvollen Staatsführung durch eine rechenschaftspflichtige und transparente Verwaltung sowie zur Stärkung der politischen Institutionen, während der SADC-Vertrag und das Protokoll über Verteidigung und Sicherheit die Mitglieder auch dazu verpflichten, die Entwicklung demokratischer Institutionen und Praktiken in ihrem Hoheitsgebiet zu fördern. Innerhalb dieses Rahmens hat Simbabwe seine eigenen inländischen Wahlgesetze entwickelt, die durch die Verfassung von 2013 untermauert werden.

Die Grundsätze des allgemeinen Wahlrechts, die Beteiligung von Frauen und Jugendlichen an der Wahlpolitik und der Dezentralisierung sind Bereiche, die im Wahlgesetz geregelt sind. Es besteht jedoch immer noch eine Lücke: Denn simbabwische Staatsbürger*innen, die nicht in Simbabwe leben, dürfen nur unter sehr begrenzten Umständen wählen. Meiner Ansicht nach entziehen diese Einschränkungen den Millionen von Simbabwern, die sich im Ausland befinden, nachdem sie in den letzten zwei Jahrzehnten vor den unzähligen wirtschaftlichen Herausforderungen in Simbabwe geflohen sind, auf unfaire Weise das Wahlrecht.

Die Regierung hat gerade ein neues Gesetz zur Bedrohung “unpatriotischer Bürger” erlassen, das so genannte “Patriotische Gesetz”: Dieses könnte jegliche Form der Kritik an der Regierung unter Strafe stellen, Gefängnisstrafen von bis zu 20 Jahren sind möglich. Wie wirkt sich dies auf die Debatten in der Gesellschaft kurz vor den Wahlen aus?

Das so genannte Patriotische Gesetz gehört zweifellos zu den drakonischen Gesetzen, die von der ZANU-PF kontrollierten Legislative erlassen wurden. Seine Bestimmungen sind viel zu weit gefasst und lassen genügend Spielraum, um von den Behörden, die das Gesetz durchsetzen, missbraucht zu werden. Schon jetzt werden politische Freiheiten eingeschränkt und das Gesetz gegen die Opposition verwendet. Dies geschieht seit der Zeit vor der Unabhängigkeit unter der Regierung der Kolonialmacht. Die repressiven Instrumente und Strukturen des Staates sind leider nicht abgebaut worden.

Mit dem so genannten Patriotischen Gesetz wird eine Politik fortgesetzt, die darauf abzielt, den zivilen Raum zu verkleinern und abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen. Es hat eine abschreckende Wirkung auf den öffentlichen Diskurs und beeinträchtigt insbesondere die internationale Rechenschaftspflicht Simbabwes, da Gespräche mit internationalen Akteuren als ein die Souveränität Simbabwes bedrohendes Verhalten ausgelegt und somit kriminalisiert und mit strengen rechtlichen Sanktionen geahndet werden könnten.

Wie schätzen Sie die Arbeit der nationalen Wahlkommission ein?

Die simbabwische Wahlkommission hat sich nicht gerade als unparteiisch erwiesen, was mitunter auf ihr Verhalten in Bezug auf das Wählendenverzeichnis zurückzuführen ist. Verschiedene Akteure wie das „Team Pachedu“-Netzwerk (eine anonyme Gruppe von Faktencheckerinnen) haben Bedenken geäußert, die auf schwerwiegende Unregelmäßigkeiten im Wählendenverzeichnis hinweisen und potenziell die Integrität der Wahl in Frage stellen könnten. Die Antwort der Wahlkommission war es, den Zugang zu dem Wählendenverzeichnis zu sperren, was zur Folge hatte, dass die Oppositionsparteien keine Einsicht darin erhalten konnten. Allerdings gibt es aufgrund von Textnachrichten an Wählende mit detaillierten Angaben Grund zur Annahme, dass die etablierte Partei Zugang zum Wählerverzeichnis hat.

Es wird sich zeigen, ob die simbabwische Wahlkommission eine faire Wahl administrieren kann. Die Zeichen sind nicht sehr vielversprechend und das Vertrauen in die Unparteilichkeit in die Wahlkomission ist gering. Simbabwe ist in dieser Hinsicht also institutionell schwach.

Wie sieht der Ausblick auf die Zukunft in Ihrem Land aus? Was denken Sie, was sich zum Besseren verändern wird oder könnte?

Die Aussicht ist von Unsicherheit geprägt. Der demokratische Machtwechsel ist in Simbabwe nie reibungslos verlaufen. Die Wahl 1979 war von Einschüchterung der Wählerinnen geprägt. Spätere Wahlergebnisse waren umstritten und von politischer Gewalt geprägt – insbesondere die Wahl 2008, deren gewaltsamer Verlauf zu einer Scheinwahl führte, deren Legitimität international abgelehnt wurde. 2017 wurde unter dem Deckmantel eines demokratischen Prozesses ein Militärputsch verübt und auch bei den Wahlen 2018 wurde das Ergebnis von der Opposition abgelehnt.

Wie auch immer das Ergebnis ausfällt, die Partei, die die Wahl gewinnt, muss ein polarisiertes Simbabwe zusammenführen und die lähmenden wirtschaftlichen Probleme lösen, was keineswegs eine leichte Aufgabe ist.

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