Feministische Außenpolitik: Theorie und Praxis am Beispiel der Kurdischen Frage

Mit dem Amtsantritt von Annalena Baerbock besetzt ein großes Versprechen den Posten der Außenministerin. Weg vom außenpolitischen Desinteresse an Menschenrechten der Ära Merkel mit seinen engen Verbindungen zu Diktaturen wie Russland – das waren die Erwartungen an die Ampelregierung. Baerbocks Konzept der feministischen Außenpolitik solle einen Wandel in vielen Konflikten bringen, beispielsweise zwischen Türkei und Kurd*innen oder Aserbaidschan und Armenien.

Von Jonas Pfeufer; Foto: GfbV-Aktion vor dem Auswärtigen Amt, März 2023

Nun erscheint es besonders in der kurdischen Gemeinschaft einige Unzufriedenheit gegenüber Annalena Baerbocks Politik zu geben – wurde diese doch schließlich im Mai 2022 bei einem Wahlkampfauftritt in Wuppertal mit Eiern beworfen – prokurdische Aktivist*innen übernahmen Verantwortung. [1] [2] In einer Anfrage von Gökay Akbulut, Abgeordnete DIE LINKE, ob die Bundesregierung aus der türkischen Eskalation dieselben Konsequenzen wie aus den russischen, reagierte das Auswärtige Amt, ein Vergleich zwischen den beiden Konflikten sei eine Verharmlosung der Taten Russlands. [3]

Das Konzept Feministische Außenpolitik

Laut einem vom dem Centre for Feminist Foreign Policy veröffentlichten Paper beruht feministische Außenpolitik auf internationalen Menschenrechtsnormen und begreift Menschenrechte grundsätzlich aus intersektionaler und inklusiver Perspektive. Laut dem Paper ist Internationale Demilitarisierung, Abrüstung und Rüstungskontrolle zentral in der Feministischen Außenpolitik. Ein System mit feministischer Außenpolitik würde Macht nicht von militärischen Kapazitäten geleitet noch würden humanitäre Ansichten durch die Aussicht auf Profit bestimmt. [4]

Deutschland, die Türkei und der Konflikt mit den Kurd*innen

Nach dem NATO-Beitritt von beiden Ländern vertieften beide ihre wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen. In den Coups von 1960, 1970 und 1980 gab es keine Kommentare des deutschen Verbündeten, tatsächlich wurden Linke und besonders Kurd*innen auch in Deutschland kriminalisiert, auch unter den Gastarbeiter*innen, die seit den 1950ern nach Deutschland immigrierten. [5]

Auch heute hat sich wenig an engen Beziehungen zwischen den beiden Ländern geändert. Nach einem erneuten Ausbrechen des Konflikts mit PKK und Türkei sind laut der International Crisis Group, einem Brüsseler Think Tank, seit 2015 6 561 Menschen gestorben, 611 davon Zivilisten. [6] Nach dem Start von Operation Claw-Lock im Jahr 2022, einer weiteren Operation in einer langen Reihe von Claw-Operationen beginnend im Jahr 2019, fand Außenministerin Baerbock die Gelegenheit, die Wichtigkeit der deutsch-türkischen Allianz in einem Tweet zu betonen. [7] Bundeskanzler Scholz, nach einem Besuch in der Türkei, behauptete nur, mit Hilfe der Türkei könne die Abhängigkeit zu russischem Gas beendet werden.

Die kurdische Bevölkerung in Deutschland wird auf zwischen mehrere Hunderttausend und eine Millionen geschätzt. Viele fühlen sich von der deutschen Politik nicht berücksichtigt und waren laut Umfragen bereits 2018 sehr unzufrieden über die deutsche Außenpolitik gegenüber der Türkei. [8]

Werte versus Interessen: Deutschlands Platz in der multipolaren Weltordnung

Bundeskanzler Scholz schrieb in einem Beitrag für Foreign Affairs: „Deutschland seinerseits tut sein Möglichstes, um die auf den Grundprinzipien der VN-Charta gegründete internationale Ordnung zu verteidigen und zu fördern“. [9] Mit diesem Kommentar im Hinterkopf erschien das deutsche Schweigen bezüglich der türkischen Politik gegenüber den Kurden umso verwunderlicher. Vor dem Hintergrund der feministischen Außenpolitik ist es also umso wichtiger, klare, auf Expert*innenmeinungen basierte Positionen einzunehmen.

Dr. Kamal Sido beispielsweise, Nahostexperte der GfbV, empfahl bereits Ende letzten Jahres eine Aufhebung des Verbots der PKK. [10] Das Verbot diene als Vorwand zu Angriffen kurdischer Siedlungen in Syrien, Irak und in der Türkei selber. Eine Aufrechterhaltung des Verbots und die Versorgung der Türkei mit diplomatischer Unterstützung und Waffen mache die Bundesregierung schlussendlich zu Handlangern völkerrechtwidriger Angriffe. Die Beweggründe der GfbV zur Aufhebung des PKK-Verbots wurden bereits 2015 dargelegt. [11]

Dastan Jasim, Expertin am GIGA-Institut in Hamburg, sprach ebenfalls bereits 2021 eine Empfehlung aus: [12] Erstens, USA und EU sollten sich für Verhandlungen zwischen der Türkei und der PKK einsetzen. Zweitens sollte ein Plan für eine kurdische Selbstverwaltung ausgearbeitet werden. Eine klare Positionierung der USA würde die EU befähigen, in mehreren Kontexten eine kohärentere Außenpolitik zu verfolgen, beispielsweise bezogen auf Armenien und Libyen. Deutschland sollte die derzeitigen Beziehungen zu der Türkei überdenken. Weiterhin sei Selbstbestimmung für Kurden nicht verhandelbar.


Quellen

[1] https://www1.wdr.de/nachrichten/wuppertal-annalena-baerbock-mit-eiern-beworfen-100.html

[2] https://anfdeutsch.com/aktuelles/wuppertal-kurdische-community-protestiert-gegen-baerbock-32062

[3] https://goekay-akbulut.de/wp-content/uploads/MF-57-MdB-Akbulut.pdf

[4] https://centreforffp.net/wordpress/wp-content/uploads/2023/01/CFFP-Manifesto-DE-Final5.pdf

[5] https://www.kurdishpeace.org/research/european-politics/germany-and-turkey-a-fatal-friendship/

[6] https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer

[7] https://twitter.com/abaerbock/status/1499743150109249540

[8] https://katapult-magazin.de/de/artikel/eine-million-unsichtbare

[9] https://www.foreignaffairs.com/germany/die-globale-zeitenwende

[10] https://www.gfbv.de/de/news/pkk-verbot-aufheben-frieden-vermitteln-10887/

[11] https://www.gfbv.de/de/news/pkk-legalisieren-warum-7608/

[12] https://www.giga-hamburg.de/assets/pure/23480884/web_Nahost_2021_01_en.pdf

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