Polizeigewalt und Menschenrechtsverletzungen gegen Proteste der indigenen Bevölkerung in Peru

Nach der Amtsenthebung von Pedro Castillo geht die indigene Bevölkerung Perus gegen die Interimsregierung unter Dina Boluarte seit über vier Monaten auf die Straße. Von Beginn an setzten Polizei und Sicherheitskräfte der Armee gezielt Schusswaffen gegen Menschen ein. Mit den ersten Toten eskalierte die Situation. Es kam zu Ausschreitungen und die Proteste weiteten sich auf das ganze Land aus.

Die UN äußerte sich zudem in einer Stellungnahme vom 6. März 2023 besorgt über die Stigmatisierung friedlich Protestierender als Terrorist*innen. Derweil blieb eine Stellungnahme durch die Bundesregierung zu der gravierenden Gewaltanwendung seitens der Regierung bisher aus.

Von Alexander von Kroge und Antje Kalbe; Foto: Diario Perú / Pixabay

“Ich bin Lourdes Huanca, Präsidentin der Nationalen Föderation der Bäuerinnen und indigenen Frauen Fenmucarinap PERU. Wir prangern vor der internationalen Gemeinschaft die schweren Menschenrechtsverletzungen an, die in Peru seit dem 7. Dezember 2022 begangen wurden, nachdem Präsident Pedro Castillo von der De-facto-Regierung von Dina Boluarte rechtswidrig und willkürlich festgenommen wurde, die, um sich selbst zu legitimieren, in mehreren Regionen den ‚Ausnahmezustand‘ verhängt und eine blutige Repression gegen meine indigenen und bäuerlichen Brüder und Schwestern entfesselt hat. Mehr als 66 Menschen wurden mit Kriegswaffen ermordet, es gab tausende Verletzte, Verschwundene, Gefolterte und willkürlich Inhaftierte.“

So berichtete Lourdes Huanca am 23. März 2023 in einer mündlichen Stellungnahme auf der 52. Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf. Amnesty International, die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte CIDH und die peruanische Coordinadora Nacional de Derechos Humanos (CNDDHH) bestätigten in ihren Berichten über die Vorkommnisse im Rahmen der Proteste die „exzessive“ Gewaltanwendung durch Polizei und Sicherheitskräfte, auch durch Kriegsgeschosse, und die „ausgeprägte, rassistische Voreingenommenheit“.

Amtsenthebung löst landesweite Proteste aus

Am 7. Dezember 2022 stimmte der peruanische Kongress für die Amtsenthebung von Präsident Pedro Castillo, nachdem dieser einem 3. Misstrauensvotum zuvorkommen wollte und versuchte, den Kongress aufzulösen. Anlass war ein für die aktuelle peruanische Verfassung eigener Konflikt zwischen Präsident und Parlament, die sich gegenseitig absetzen können. Er legte das Land auch in der Amtszeit Castillos’ seit dem 28. Juli 2021 politisch lahm. So wurde jeder Gesetzesentwurf, der eine Verbesserung der Lebensumstände und Rechte der indigenen Bevölkerung betraf, beispielsweise höhere Besteuerungen der Ausbeutung der Bodenschätze, um Sozialprogramme zu finanzieren, durch den von konservativen und rechtsgerichteten Kräften bestimmten Kongress blockiert. Diese betrachteten einen Präsidenten mit indigenen Wurzeln bereits als Affront.

Weshalb zurzeit vor allem die indigene Bevölkerung Perus protestiert

An diesem Umstand entzündeten sich die Proteste der indigenen Bevölkerungsgruppen und Organisationen, die bereits zuvor zur Unterstützung Castillos und gegen den Kongress auf die Straße gegangen waren, noch am selben Tag. Sie hatten in den demokratisch gewählten Präsidenten, der wie sie vom Land stammte, große Hoffnungen gesetzt zur Verbesserung ihrer äußerst prekären Lebenssituationen. Mit der Amtsenthebung Castillos sahen sie sich endgültig von der politischen Elite des Landes in ihrer demokratischen Teilhabe verletzt.

In den kommenden Wochen und Monaten wuchsen die regionalen Proteste und schlossen sich zu landesweiten Protestmärschen in die Hauptstadt unter dem Aufruf „La Toma de Lima“ zusammen, „die Einnahme Limas“, als Synonym für die politische Entmachtung des in der Hauptstadt konzentrierten, oligarchischen Regimes. Es war zunächst vor allem an die Forderungen nach einem Rücktritt Dina Boluartes, dem Auflösen des Kongresses und vorgezogenen Neuwahlen geknüpft.

Mittlerweile wurden auf Druck der Demonstrierenden Neuwahlen um zwei Jahre auf 2024 vorverlegt, eine notwendige Ratifizierung in diesem Jahr steht jedoch noch aus. Eine geforderte weitere Vorverlegung auf 2023 wurde abgelehnt. Einen Rücktritt schließt Interimspräsidentin Boluarte aus und weist nach wie vor jede Verantwortung für die Morde von sich, während die peruanische Staatsanwaltschaft zugleich gegen sie und drei Minister Ermittlungen wegen mutmaßlichen „Völkermords“ eingeleitet hat[1].

Zugleich fordert erstens „die Rechtspartei Avanza País eine Amnestie für Mitglieder der Sicherheitskräfte, die des Mordes und der Unterdrückung bei Protesten beschuldigt werden“[2], zweitens erhalten Angehörige der peruanischen Nationalpolizei (PNP) einen Bonus in Höhe des Vierfachen ihres Gehalts „als Anerkennung ihrer Arbeit bei den Demonstrationen[3] und drittens reichte Boluarte im Februar einen Entwurf zur Verschärfung der Strafgesetze ein, die während des Ausnahmezustands begangen werden.

Alec Phillc / Pixabay

Zentrales Ziel: eine verfassungsgebende Versammlung

Mit dem Andauern der staatlichen Gewalt, Gesetzesverschärfungen und dem Verlängern des Ausnahmezustandes schlossen sich auch Studenten*innen, Bauernverbände, Gewerkschaften, Umweltschützer*innen und linke Parteien den Demonstrationen an.

Zugleich rückte die Forderung nach einer neuen Verfassung ins Zentrum, die von Castillo bereits im Wahlkampf angekündigt worden war und zu der Ende 2021 eine bürgerliche Initiative zur Vorbereitung startete. Ein Vorschlag ist, die alte Verfassung von 1979 als Basis zu nehmen, die vor der jetzigen aus der Zeit der Diktatur Alberto Fujimoris galt, um sie dann durch einen plurinationalen, paritätischen verfassungsgebenden Prozess zu überarbeiten. Diese Forderung ist Teil einer sozialen Bewegung in Lateinamerika, die in Bolivien und Ecuador bereits umgesetzt wurde. Sie steht dafür, das alte politische System endlich aufzulösen, dass in mehrfacher Hinsicht historisch wie aktuell verantwortlich ist für Gewalt, Unterdrückung und Ungerechtigkeit, um es mit einem Konzept der Plurinationalität zu überschreiben. Es soll die reale Gesellschaft widerspiegeln und auch die Völker gleichberechtigt anerkennen, die bereits vor der Staatenbildung da waren. Berücksichtigt wurde die Forderung nach einer Verfassungsreform von Seiten der Regierung bisher nicht.

Die besondere Verantwortung Deutschlands

Deutschland ist als Industrieland und mit der Zielvorgabe einer so genannten grünen Energiewende auf Rohstoffe wie Kupfer und Lithium angewiesen. Ende Januar reiste Kanzler Olaf Scholz unter anderem deshalb für Gespräche über zukünftige Rohstoffimporte nach Argentinien, Chile und Brasilien.

Am 28./29. März sprach der peruanische Bergbauminister Óscar Vera auf dem Energiedialog in Berlin, der auf Einladung der Bundesregierung stattfand und u.a. Politik und Unternehmen in der Energiewende zusammenbringen soll. Zugleich wies eine Gruppe peruanischer Aktivist*innen mit Protesten vor dem Auswärtigen Amt auf den weitreichenden Zusammenhang von Bergbau, Umweltschutz und Menschenrechtsverletzungen hin. Im Süden Perus, von dem auch die jetzigen Proteste gegen die Absetzung Castillos ausgingen, liegen viele der Kupferminen und gerade entdeckte Lithium-Vorkommen.

Am 31. März gab das peruanische Ministerium für Energie und Bergbau bekannt, dass für 2023 mit dem Start von 74 Bergbauprojekten gerechnet wird. Währenddessen bleiben die Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der aktuellen Proteste durch die Bundesregierung weiterhin unerwähnt. Auf eine Anfrage beim Auswärtigen Amt am 22. Februar 2023 nach einer Stellungnahme wurde ohne weiteren Kommentar lediglich auf eine allgemeine Erklärung des Sprechers des Europäischen Dienstes verwiesen. Auch das ist eine Form von Stellungnahme.

Dabei ratifizierte Deutschland erst im Juni 2021 die ILO-Konvention 169, das einzige international verbindliche Instrument zum Schutz indigener Rechte. Hubertus Heil, Minister für Arbeit und Soziales, betonte bei der Unterzeichnung noch: “Mit der Ratifizierung der Konvention 169 sendet Deutschland ein globales Signal. […] Deutschland bekräftigt damit ausdrücklich sein Bekenntnis zu den Zielen der Konvention.”

Appell an Bundesregierung, Menschenrechten Vorrang zu geben

Wir profitieren seit langem von den Rohstoffen Lateinamerikas. Peru als weltweit zweitgrößtem Kupferproduzenten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Deutschland importiert knapp ein Viertel des Kupferkonzentrates aus Peru. Während unser Bedürfnis danach beständig steigt, werden nach wie vor auch in der Lieferkette des Bergbausektors Umwelt- und Menschenrechte aufs schwerste missachtet. Das zeigt sich auch in der hohen Anzahl an ermordeten indigenen Umweltschützern*innen, die sich gegen Bergbau- und Energieprojekte, Landwirtschaft und Rodungen in ihren Gebieten einsetzen.

In diesem Spannungsfeld und unter Berücksichtigung der ambitionierten Unterzeichnung der ILO-Konvention 169 wäre es ein Signal der Glaubwürdigkeit und des Respekts, auf die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber der peruanischen Regierung zu drängen, statt geopolitischen und strategischen Überlegungen im Rohstoffeinkauf den Vorrang zu geben.

Waffenlieferungen stoppen!

Eine weitere Möglichkeit wäre, einen sofortigen Exportstopp von Waffenlieferungen nach Peru zu bewirken: Nach Obduktionen im Rahmen staatsanwaltlicher Untersuchungen ist auch ein Sturmgewehr des deutschen Waffenherstellers Heckler&Koch zum Einsatz gekommen, dass als Kriegswaffe gilt und Teil der Armeeausrüstung ist. Der spanische Rüstungskonzern Maxam, der als wichtigster EU-Waffenlieferant Perus gilt, setzte auf Druck von Amnesty International seine Waffen- und Munitionslieferungen bereits aus. Es war bestätigt worden, dass u.a. Tränengasgranaten und Projektile von Maxam hergestellt worden waren, die bei der Polizeigewalt zum Einsatz kamen.

Im März 2023 gab es einen Aufruf an die Bundesregierung mit der Forderung nach einer Stellungnahme [RS1] zu den gravierenden und rassistisch motivierten Menschenrechtsverletzungen an der indigenen Bevölkerung. Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker beteiligte sich an diesem Aufruf. Den Text finden Sie hier.


[1] DW.com; ZEIT.de

[2] https://amerika21.de/2023/02/262783/boluarte-und-fujimori

[3] https://www.infobae.com/peru/2023/02/13/policias-de-lima-y-el-callao-recibiran-un-bono-equivalente-a-cuatro-veces-su-sueldo/

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