Der schwedische Bergbaukonzern LKAB gab Mitte Januar die Entdeckung des bisher größten Vorkommens Seltener Erden in Europa bekannt. Medienwirksam und nicht zufällig erfolgte die Ankündigung während des ersten Treffens der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft. Nicht nur hier, auch andernorts in Nordskandinavien, sollen Rohstoffe gefördert werden. Diese nördlichsten Gebiete Europas sind traditionelle Gebiete der indigenen Sámi.
Von Regina Sonk, Foto Laponia Nationalpark in Schweden, Ökologix/Wikipedia gemeinfrei
Das Gebiet von Kiruna wird seit mehr als einem Jahrhundert von der Bergbauindustrie stark ausgebeutet. Der Fundort der kürzlich entdeckten Metalle liegt unweit des bereits seit 1890 bestehenden Eisenerz-Bergwerks von LKAB in Kiruna, Schweden – und damit auch inmitten des Rentierzuchtgebiets der indigenen Sámi, dem einzigen in der EU anerkannten indigenen Volk. Die schwedische Regierung und LKAB betrachten die Erschließung des neuen Rohstoffvorkommens als große Chance für die Unabhängigkeit Europas von Importen aus China sowie als Schlüssel für die europäische Energiewende.
Seltene Erden sind wichtige Metalle für grüne Technologien, aber ihr Abbau ist aufwendig und umweltschädlich. Anders als ihr Name vermuten lässt, kommen Seltene Erden tatsächlich in vielen Teilen der Welt relativ häufig vor. Sie werden nur selten gefördert, da ihr Abbau- und Gewinnungsprozess sehr aufwendig, kompliziert und auch umweltschädlich ist. Seltene Erden sind eine Gruppe von 17 chemischen Elementen, die für die Herstellung von High-Tech-Produkten wie Smartphones, Windkraftanlagen und elektrischen Autos benötigt werden. In Europa werden sie bisher nicht abgebaut, – das könnte sich nun aber ändern. Die Nachfrage nach diesen Elementen hat in den letzten Jahren stark zugenommen, was Schweden die Chance gibt, eine wichtige Rolle in der globalen Branche zu spielen.
Für die dort ansässigen Sámi bedeutet die mögliche Öffnung der neuen Mine womöglich das Ende ihrer traditionellen Rentierzucht sowie ihres halb-nomadischen Lebens in der Region, denn dadurch würde die inzwischen letzte jahrhundertealte Route entfallen, die den Rentieren und ihren Hirt*innen für die mit der Futtersuche verbundenen Wanderung von den Bergen Norwegens hinunter in die Weidewälder Schwedens in Folge der Ausweitung der Bergbauindustrie noch geblieben ist. Bis der Abbau der Seltenen Erden in dem Gebiet genehmigt und technisch umsetzbar ist, kann es allerdings noch bis zu 15 Jahre dauern.
Der Saami Council [dt. Rat der Sámi, die politische Dachorganisation der Sámi in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland] kritisiert, dass ihre Gebiete für Projekte der sogenannten „Green Economy“ ausgebeutet werden. Es sei ein allgegenwärtiges Problem, dass für die „grüne“ Energie- und Mobilitätswende erneut große Gebiete massiv zerstört würden. Die Gebiete der Sámi sind davon unverhältnismäßig stark betroffen.
Auf Instagram schreiben sie, dass ihre „Landressourcen dazu benutzt werden, die nicht nachhaltigen Konsumgewohnheiten der westlichen Welt zu rechtfertigen und grün zu waschen.“ Sie fordern ein Ende des sogenannten „Green Colonialism“, also der Ausbeutung indigener Ressourcen sowie der Verletzung ihrer Rechte im Namen des globalen Umwelt- und Klimaschutzes.
Rohstoffboom in Nordskandinavien
Es ist bei weitem nicht der einzige Rohstofffund, der die Gebiete der Sámi betrifft. Bereits im Jahr 2019 wurde eine bedeutende Menge an Seltenen Erden in einer Mine in Norrbotten, Schweden, entdeckt. Und natürlich gibt es noch Gallok, das umstrittene Projekt einer Eisenerzmine in eben diesem Gebiet um Kiruna. Der Protest hat auch durch die prominente Unterstützung von Greta Thunberg internationale Aufmerksamkeit erhalten. Die geplante Gallok/Kallak-Mine ist ein höchst umstrittener Plan zur Ausbeutung eines der größten unerschlossenen Eisenerzvorkommen Schwedens. Das Gebiet befindet sich auf traditionellem Land der Sámi und ist Teil des Rentier-Winterweidegebiets der Gemeinschaft Jåhkågasska tjiellde.
Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele in den Nachbarstaaten: Nur wenige Tage nach dem Fund in Schweden gab auch Norwegen die Entdeckung großer Rohstoffmengen unter dem Meeresboden bekannt. Dort lagern offenbar größere Mengen an Seltenen Erden, Kupfer und Kobalt. Und ebenso auf dem Festland fürchteten Sámi in der Gemeinde Kvalsund im äußersten Norden Norwegens um ihre Lebensgrundlage, denn auf ihrem Gebiet soll Kupfer abgebaut werden. Die Sámi lehnen das Bergbauvorhaben ab. Denn hier liegt ein wichtiges Weidegebiet der Rentiere, wo sie auch ihre Kälber zur Welt bringen. Außerdem soll der Abraum der Kupfermine im nahegelegenen Repparfjord entsorgt werden und würde den dortigen Lachsbestand gefährden. Die indigenen Gemeinschaften sehen ihr Recht auf freie, vorherige, informierte Zustimmung verletzt. Die betroffenen Sámi wurden zwar informiert, jedoch hatten sie keine Möglichkeit die Pläne zu beeinflussen. Die Betreiberfirma Nussir ASA hatte die Rentierzüchter*innen erst nach einer eingereichten Beschwerde konsultiert.
Fake FPIC?
Dass bei Bergbauvorhaben Indigene nur unzureichend konsultiert werden, ihre Zustimmung nur fadenscheinig eingeholt wird, ist eine gängige Praxis. In der benachbarten russischen Sámi Region, der Kola-Halbinsel, gehen die Behörden nun einen Schritt weiter: Sie produzieren „Fake FPICs“. Die sogenannte frei, vorherigen und informierte Konsultation (FPIC) wird zwar eingeholt, gut dokumentiert und öffentlichkeitswirksam in der Presse platziert. Es handelt sich bei diesen Konsultationen aber mitnichten um wirkliche Zustimmungen.
In letzter Zeit haben die russischen Behörden auf internationaler Ebene aggressiv dafür geworben, dass Russland die Notwendigkeit von Zustimmung der indigenen Völker einzuholen, sehr ernst nimmt. So präsentierte das Unternehmen Norilsk Nickel 2021 öffentlichkeitswirksam den FPIC mit den Bewohner*innen eines Dorfes auf der Halbinsel Taimyr. Die Bewohner*innen sollten nach eingeholter Zustimmung aus der Industriezone des Öl- und Gasunternehmens Norilsk Gazprom umgesiedelt werden. Bei dieser öffentlichen Präsentationen wurde jedoch die Tatsache verschwiegen, dass die Bewohner*innen keine Möglichkeit hatten, eine andere Entscheidung als die der „freiwilligen“ Umsiedlung zu treffen, da gemäß der geänderten russischen Gesetzgebung der dauerhafte Aufenthalt in einer Industriezone von Bergbauunternehmen verboten ist.
Lithium Fund bei Murmansk
Ähnliches zeichnet sich jetzt auch in Murmansk, auf der Kola-Halbinsel ab. Im November 2021 veröffentlichte das unabhängige russische Medienunternehmen Novaya Gazeta als erstes über eine beträchtliche Anzahl von Lithiumvorkommen, die in der Folgezeit unter die Kontrolle von Unternehmen gelangten, die den russischen Behörden nahestehen. Dazu gehört auch Lovozero Mining LLC – ein russischer Produzent von Rohstoffen für die Herstellung von Seltenen Erden. Auch Russland verfügt über enorme Reserven an Seltenen Erden, aber die meisten Vorkommen sind schwer zugänglich und es fehlt die notwendige Infrastruktur für ihre Erschließung.
Am 19. Oktober 2022 dann veröffentlichte das regionale Ministerium für Naturressourcen, Ökologie und Fischerei im Gebiet Murmansk eine Ankündigung, dass es öffentliche Diskussionen abhalten werde, „um die Beteiligung von Bürgern, öffentlichen Verbänden und gemeinnützigen Organisationen sicherzustellen und die öffentliche Meinung zu berücksichtigen“. Die Diskussionen fanden am 12. November 2022 im Dorf Lovozero statt. Vorschläge und Kommentare der Öffentlichkeit, einschließlich der Sámi, wurden bis zum 18. November entgegengenommen.
Aber wie sollten unvorbereitete Zuhörer*innen, darunter indigenen Rentierzüchter*innen, in so kurzer Zeit ein ziemlich komplexes, technisches, 170 Seiten umfassendes Dokument verstehen, eine interne Diskussion führen, ihren Standpunkt entwickeln und fundierte Vorschläge ausarbeiten? Die Antwort darauf erübrigt sich. Dabei muss klar sein: Rohstoffabbau auf indigenen Gebieten – ohne wirkliche indigene Zustimmung – verstößt gegen internationales Recht. Das gilt auch für alle zukünftigen Funde Seltener Erden.