Die Indigenen Taiwans

„Die Außenwelt weiß wirklich nicht viel über uns.“ Zu dieser Erkenntnis kam Ciwang Teyra, eine Indigene vom Volk der Truku in Taiwan, nach ihrem Studium in den USA.

Von Sven Meyer, Foto © Apple Jia nach CC BY 2.0 / flickr

Wer sind die Indigenen Taiwans?

Seit 2014 sind in Taiwan 16 indigene Völker offiziell anerkannt. Die Anzahl der dortigen Indigenen beträgt dabei etwas mehr als 580.000 Personen, das entspricht fast 2,5 % der Landesbevölkerung. Jedes dieser indigenen Völker hat seine ganz eigene Sprache und kulturelle Traditionen. Das beginnt bereits bei der Namensgebung. Bei manchen werden zum Beispiel ein Vorname und ein Familienname verwendet, während bei anderen ein Vorname vergeben wird, gefolgt von dem Namen eines der Elternteile und schließlich der Name des indigenen Volkes. Bei den Rukai gibt es beispielsweise ein soziales Klassensystem, welches auf Arbeitsteilung vermischt mit Ehe, Politik, Religion, Anbetung und Kunst beruht. Bei ihnen gilt die Lilie als ein Symbol für Reinheit, Tapferkeit, Mut und Ehre. Auch im handwerklichen Bereich haben die indigenen Völker Taiwans ihre ganz eigenen Errungenschaften. So ist es den Kavalan gelungen, die einzigartigen Bananenfaser-Webtechniken zu erhalten. Der Rat der indigenen Völker Taiwans und das Zentrum für kulturelle Entwicklung indigener Völker in Taiwan liefern auf ihren Webseiten einen guten Überblick über verschiedene Aspekte der offiziell anerkannten indigenen Völker, darunter Kultur, Religion, die geografische Lage und Legenden.   

Geschichte

Es ist nicht ganz geklärt, seit wann genau Taiwan bewohnt ist. Nach geschriebenen Aufzeichnungen sollen bereits vor 8.000, wenn nicht sogar seit 15.000 Jahren Menschen in Taiwan leben. Andere Untersuchungen lassen vermuten, dass Taiwan seit über 5.500 Jahren bewohnt ist. Während dieser Zeit lebten sie nach ihrer Weltanschauung. So „hatten die indigenen Völker kein Konzept von individuell besessenem Land oder privaten Eigentum“, erklärt die Truku-Aktivistin und außerordentliche Professorin an der National Taiwan University Ciwang Teyra. Für die Indigenen Taiwans „besitzt das Land die Person und nicht andersherum. [Sie] sind nicht mehr als Gäste auf dem Land und [sie] verstehen sich als Verwalter des Landes für zukünftige Generationen“. Bei den Truku gibt es das Sprichwort: „das Land ist Blut, der Berg ist Heimat“, was ihre enge Verbindung zu ihrem Land ausdrückt.      

Ciwang Teyra nennt das Jahr 1895, als Japan die Insel okkupierte, als Zeitpunkt, nach dem die Beziehung der indigenen Völker Taiwans mit dem Land zu brechen begann. Allerdings gab es bereits Jahre der spanischen und später niederländischen Kolonisation. Loyalisten der Ming-Dynastie bezwangen schließlich die niederländische Krone, bis die Qing-Dynastie von China im Jahr 1683 Taiwan annektierte. Immigration und Mischehen führten dazu, dass insbesondere Gruppen der Indigenen der westlichen Ebenen an die Kultur der Han-Mehrheitsbevölkerung von China assimiliert wurden und die Anzahl der chinesischen und der indigenen Bevölkerung in Taiwan etwa gleich groß wurde. Mit der Zeit ging durch kaiserliche Erlasse immer mehr Land in chinesische Hand über, was mitunter zu bewaffnetem Widerstand der Indigenen führte. Dann wurde Japan nach dem Sieg im sino-japanischen Krieg von 1895 die Kontrolle über die Insel übertragen.

Während seiner Besatzung Taiwans bis zum Ende 1945 versuchte Japan auf brutale Weise die Indigenen zu unterdrücken. Um ihren Widerstand zu brechen, wurden mehrere Tausend von ihnen getötet. Sie beuteten die Ressourcen der Insel aus und raubten den Indigenen ihr Land. Ab 1930 versuchte Japan die Indigenen vollständig zu assimilieren. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden ganze Gemeinschaften in die Nähe von Militär- und Polizeiposten zwangsumgesiedelt, Mitglieder des Widerstandes wurden niedergestreckt und die Verwendung von japanischen Namen und der japanischen Sprache wurde erzwungen. Ciwang Teyra schreibt davon, dass dies zum Verlust der eigenen Sprache, Identität und Traditionen durch das Auseinanderbrechen von Familien und Clans führte.

Als die Kuomintang, die Nationale Volkspartei Chinas, die bis zur Niederlage im Bürgerkrieg 1949 über China regiert hatten, die Herrschaft über die Insel übernahm, wurde die Unterdrückung der Indigenen auf ähnliche Weise fortgesetzt. Erst als die strikte Kontrolle der Kuomintang in den 1980er abzunehmen begann und Taiwan sich in eine liberale Demokratie verwandelte, erhielten Indigene zum ersten Mal die Möglichkeit, ihre Rechte auf Land und Kultur einzufordern. Mit einer Veränderung der Verfassung der Republik China, wie Taiwan offiziell heißt, wurden sie 1994 offiziell anerkannt, Sitze in der Legislatur wurden für sie reserviert, indigene Studierende gefördert und Kommunalverwaltungen richteten Departments ein, die die Indigenen unterstützen sollen.

Die Situation der indigenen Völker Taiwans heutzutage

Durch diese positiven Entwicklungen sind Vertreter*innen von offiziell anerkannten indigenen Völkern heute auf allen Regierungsebenen Taiwans vertreten. Auch Gesetze, die ihre Rechte, ihre Sprache und ihre Kultur schützen sollen, wurden eingeführt. Die aktuelle Präsidentin Taiwans Tsai Ing-wen hat sich offiziell für die jahrhundertelange Unterdrückung der Indigenen entschuldigt und hat selbst indigene Vorfahren. Bis 2027 soll ein Museum erbaut werden, das die Kultur der indigenen Völker und ihre Sprachen mit der Welt teilen soll.

Trotzdem haben die Indigenen Taiwans auch heutzutage mit vielen Problemen zu kämpfen. So gibt es zehn indigene Völker, kollektiv bekannt als Pingpu, im Tiefland, denen die Anerkennung bisher verwehrt bleibt, wodurch sie auch nicht dieselben Rechte und Unterstützung wie die anerkannten Völker erhalten. Im Jahr 2020 sollen die Mitglieder der Pingpu um die 400.000 betragen haben. Weitere Probleme sind die Auswirkungen des Klimawandels und Einschränkungen bei dem Ausleben der Kultur durch COVID-19 Einschränkungen.

Auch heute noch schwinden die Kultur und die Sprachen der Indigenen Taiwans, ihre Rechte werden eingeschränkt und in ihre Territorien eingegriffen. Gründe dafür sind Widersprüche in der Gesetzgebung und eine nur teilweise Implementation der Gesetze zum Schutz der Indigenen. Besonders davon betroffen sind die Landrechte der Indigenen, da die Regierung ihnen weit weniger Land zuspricht, als sie traditionell verwenden. Aufgrund schlechter Bildungschancen und geringerem Einkommen in den indigenen Gemeinschaften zieht es viele Jüngere in die Städte, wodurch diese ihre Bindung zu ihren Wurzeln und ihrer indigenen Kultur verlieren. Der Künstler Yosifu Kacaw ist einer dieser jungen Menschen, hat später wieder die Wichtigkeit seiner Herkunft realisiert und bringt in seinen Bildern nun zum einen die Freude, aber auch den Schmerz der Indigenen, aufgrund einer Vergangenheit der Unterdrückung, zum Ausdruck. Erschwert wird der internationale Kampf der Indigenen für ihre Rechte, da Taiwan aufgrund des Drucks der Volksrepublik China nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist. Trotzdem setzen sich die Indigenen dafür ein, dass ihre Stimmen erhört werden.  

Auch bei der Recherche zu diesem Beitrag wurde deutlich, wie wenig internationale Medien über die Indigenen Taiwans berichten. Doch es ist wichtig anzuerkennen, dass es sie gibt und dass sie auch heute noch für ihre Rechte kämpfen, auch wenn eine positive Entwicklung in Taiwan im Umgang mit den Indigenen eingesetzt hat. Es bleibt zu hoffen, dass sich die positive Entwicklung in Taiwan fortsetzt und die Stimmen der Indigenen erhört werden und die Welt mehr über sie erfährt.

Quellen

Who Are the Taiwanese Indigenous Peoples? – Ketagalan Media

The Indigenous World 2022: Taiwan – IWGIA – International Work Group for Indigenous Affairs

Rukai (cip.gov.tw)

Kavalan (cip.gov.tw)

Taiwan Aboriginal || The Truth on Taiwanese Aboriginals (in 2022) (ltl-taiwan.com)

Refworld | World Directory of Minorities and Indigenous Peoples – Taiwan : Indigenous peoples

Taiwan president gives first apology to indigenous groups – BBC News

Taiwan – World Directory of Minorities & Indigenous Peoples (minorityrights.org)

Indigenous museum gets green light in southern Taiwan | Taiwan News | 2022-09-12 09:47:00

Taiwanese Indigenous People – OFTaiwan

Taiwan Indigenous Communities Call for Young People’s Return|Culture|2019-06-23|web only (cw.com.tw)

Artist Yosifu Kacaw Portrays the Joy and Pain of Taiwan’s Indigenous Peoples|Culture|2019-07-02|CommonWealth Magazine (cw.com.tw)

Taiwan at the UN: Indigenous Peoples Forum – Ketagalan Media

HISTORY – Taiwan.gov.tw – Government Portal of the Republic of China (Taiwan)

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