Christliche Konvertit*innen unter Verfolgung im Nahen Osten: 3 Länderbeispiele

Obwohl das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht international anerkannt ist, wird es in der Praxis in vielen Ländern zunehmend verletzt oder als Legitimation für Krieg, Unterdrückung, und Diskriminierung missbraucht. Darunter leiden unter anderem Christ*innen, die weltweit die größte verfolgte Glaubensgemeinschaft bilden. Auch christliche Konvertit*innen mit muslimischem Hintergrund zählen dazu und sind vor allem in der MENA-Region extremer Verfolgung ausgesetzt. Hier im Fokus: Katar, Iran und die Türkei.

Von Madlen Körneke, Kamal Sido; Foto: Iva Rajović, Unsplash

Eine große Gefahr für die Religionsfreiheit stellen nationale Anti-Konversionsgesetze dar, die in den letzten Jahren zugenommen haben und insbesondere in muslimischen Ländern mit harten Strafen bis hin zur Todesstrafe umgesetzt werden. „Apostasie“bzw. das Abwenden von einer Religion wird häufig mit Konversion gleichgesetzt und gilt nach islamischem Recht als das schlimmste Verbrechen eines Menschen. Anti-Konversionsgesetze richten sich aber nicht nur gegen die konvertierte Person selbst, sondern sehr häufig auch gegen diejenigen, die versuchen, andere Menschen von ihrem Glauben zu überzeugen. So bestehen weltweit in etwa 99 Staaten Gesetze, die diese Bekehrungsbemühungen bestrafen.

Katar: Gastgeber der Fußball-WM 2022 tritt Religionsfreiheit mit Füßen

In Katar sind neben dem Islam als Staatsreligion auch Christentum und Judentum offiziell anerkannte Religionen. Nichtsdestotrotz dürfen der christliche Glaube oder christliche Symbole nicht öffentlich gezeigt werden, denn dies wird als Kritik am Islam oder als Evangelisationsversuch angesehen und kann mit Gefängnisstrafen oder Ausweisung geahndet werden. Sowohl Gläubige als auch ihre Kirchen stehen daher unter regelmäßiger staatlicher Beobachtung.

Entgegen des generellen Trends des massiven Rückgangs von Christ*innen im Nahen Osten, zählt Katar zu den wenigen muslimischen Ländern mit einem hohen Zuwachs christlicher Gläubiger. Das liegt vor allem an dem Zuzug der vielen Arbeitsmigrant*innen, die unter unwürdigen Bedingungen im Baugewerbe, Gastgewerbe oder im Haushalt tätig sind und etwa 13 % der Bevölkerung des Landes ausmachen. In den überwachten Kirchen am Stadtrand können die Migrant*innen ihrem Glauben nachgehen, wobei viele Kirchen nach der Corona-Pandemie nicht wieder geöffnet wurden.

Demgegenüber gibt es kaum christliche Konvertierte, da ihr Glaubenswechsel vom Staat nicht anerkannt wird und sie als Apostat*innen mit der Todesstrafe bestraft werden können (zu der es allerdings bereits seit 1971 nicht mehr kam). Konvertierte werden zudem von Familie, Arbeitgeber und sozialem Umfeld unter großen Druck gesetzt, zum Islam zurückzukehren. Indirekter Druck wird ebenfalls durch den Verlust bestimmter Rechte im Falle einer Konversion ausgeübt, wie beispielsweise Verlust von Eigentums-, oder Sorgerechten; aber auch durch Druckmittel wie Scheidung, Hausarrest, Isolation, Arbeitsplatzverlust, Zwangsheirat mit einem Muslim und Verstoß durch die Familie. Ausländischen Konvertierten droht ein ähnliches Schicksal, da sie häufig mit anderen Arbeitsmigrant*innen ihres Herkunftslandes oder ihrer Ethnie eng zusammenwohnen. Daher können Konvertit*innen ihren Glauben nur im Geheimen in unterirdischen Hauskirchen ausüben.

Nicht zuletzt trägt Katar durch die finanzielle Unterstützung der Muslimbruderschaft sowie anderer radikal-islamistischer Gruppen auch zur Verfolgung von Christ*innen und weiteren religiösen Minderheiten in anderen Ländern bei.

Iran: Zunahme christlicher Konvertit*innen trotz verschärfter Verfolgung

Im Iran gilt der schiitische Islam als Staatsreligion. Christentum, Judentum sowie Zoroastrismus werden zwar gemäß der Verfassung als religiöse Minderheiten anerkannt, ihre Glaubensfreiheit wird jedoch in vielen alltäglichen Lebensbereichen systematisch eingeschränkt. Von den schätzungsweise 800.000 Christ*innen im Land sind die meisten christliche Konvertierte, die überwiegend der protestantischen Hauskirchenbewegung angehören.

Die Hinwendung zum Christentum wird im Iran als gefährlicher westlicher Einfluss aufgefasst sowie als Bedrohung der muslimischen Identität. Für die Familie und das soziale Umfeld bedeutet die Konversion ein Verrat an der eigenen Gruppe und wird verfolgt, wobei der iranische Staat Hauptverfolgungsakteur ist. Konvertit*innen droht bei Bekanntwerden ihres Glaubenswechsels ebenfalls eine Anklage wegen Apostasie, auf die lange Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe folgen können.

Konvertierte Frauen gelten als „fehlgeleitet“, ihnen drohen mitunter Entzug des Sorgerechts oder Zwangsheirat mit einem Muslim. Der Glaubenswechsel konvertierter Männer wird als „bewusste“ Entscheidung aufgefasst, die zu Arbeitsplatzverlust, Überwachung, Bedrohung, Belästigung und Folter führen kann. Kommt es zu Verbrechen durch Familienmitglieder gegen Konvertierte, werden diese strafrechtlich nicht verfolgt. Kinder konvertierter Christ*innen sind ebenso wie ihre Eltern offiziell als Muslim*innen registriert und müssen in der Schule am Islamunterricht teilnehmen.

Darüber hinaus sind sämtliche als missionarisch aufgefasste Tätigkeiten untersagt und Leiter*innen von Gruppen konvertierter Christ*innen sowie von (Haus-)Kirchen, die Konvertierte unterstützen, werden wegen „Verbrechen gegen die nationale Sicherheit“ zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Konvertit*innen haben deshalb kaum eine Chance in einer christlichen Glaubensgruppe aufgenommen zu werden. Auch wenn sich ihre Verfolgung in den letzten Jahren zunehmend verschärft hat, konvertieren immer mehr Menschen im Iran zum Christentum.

Türkei: Religiöser Nationalismus befeuert Christ*innen-Verfolgung

In der Türkei ist der sunnitische Islam vorherrschend, und auch wenn der Laizismus in der Verfassung festgeschrieben ist, sind Staat und Religion unter der Regierung von Erdogan faktisch nicht mehr voneinander getrennt. Das Judentum, sowie die griechisch-orthodoxe und armenisch-apostolische Kirche gelten im Land als anerkannte Glaubensgemeinschaften. Dennoch werden christliche Kirchen regelmäßig überwacht und unterliegen staatlichen Einschränkungen. Etwa 170.000 Christ*innen leben in der Türkei und machen damit nur 0,2% der Bevölkerung aus. Sie werden von der türkischen Gesellschaft häufig sozial und wirtschaftlich ausgeschlossen und erfahren Hass und Feindseligkeit in den Medien, bei der Polizei, den Behörden sowie im Alltag.

Zum Teil wird Christ*innen auch eine Zusammenarbeit mit der Gülen-Bewegung oder der PKK vorgeworfen, was das Feindbild zusätzlich verstärkt. Zunehmender religiöser Konservatismus gepaart mit wachsendem Volksnationalismus drängen Christ*innen an den Rand der Gesellschaft. Die Konversion ist in der Türkei gesetzlich zwar nicht eingeschränkt, jedoch ist der Druck aus dem sozialen Umfeld enorm groß, da die Abwendung vom Islam als Verrat an der Familie und Beleidigung des Türkentums angesehen wird. Schikane, Ausgrenzung aus der Familie und dem Geschäftsleben, Androhung von Scheidung, Verlust des Erbrechts, Bedrohungen bis hin zu Gerichtsverfahren und Haftstrafen können die Folge sein.

Erdogan ist zudem bestrebt, sein Land als sunnitische Weltmacht zu positionieren. Dies hat zu militärischen Interventionen u.a. in Syrien geführt, wo er an der Seite von radikal-islamistischen Gruppen kämpft und diese gemeinsam mit Katar unterstützt, die wiederum christliche und andere Minderheiten verfolgen.

Auch Mehrheitsgesellschaft und andere religiöse Minderheiten leiden unter Verfolgung

Eine Einschränkung der Religionsfreiheit, die häufig dem Schutz der offiziellen Staatsreligion dienen soll, hat auch direkte Auswirkungen auf die vermeintlich geschützte Mehrheitsgesellschaft – unter anderem, wenn die Religion anders als vorgeschrieben praktiziert oder verstanden wird. So kann eine liberale Auslegung des Islams von radikal-islamistischen Gruppen oder von staatlicher Seite verwehrt und mit harten Strafen verfolgt werden.

Die drei genannten Länderbeispiele zeigen anschaulich, dass Verletzungen der Religionsfreiheit in engem Zusammenhang mit anderen Menschenrechtsverletzungen stehen, wie u.a. Einschränkungen von Frauenrechten, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Recht auf Bildung oder auf ein faires Strafverfahren. Religionsfreiheit ist somit ein wichtiger Gradmesser für die Demokratie in einem Land. Wir setzen unsdeshalb verstärkt für ihre Einhaltung ein. Es ist zwingend notwendig, dass westliche Regierungen glaubwürdig für Werte wie Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechte eintreten.


Quellenangaben:

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