Der Tod von Queen Elisabeth II am 08. September 2022 hat überall auf der Welt für Trauer und Anteilnahme gesorgt. Doch auch die Stimmen aus den ehemaligen Kolonien werden laut – und das nicht nur aus Anteilnahme. Sie wollen auf die Gräueltaten und die Auswirkungen der Kolonisation aufmerksam machen.
Von Pauline Hrubesch | Foto: “Blockade of work on Adani Southern Galilee basin rail line by Aboriginal Australian People”, von Julian Meehan, Flickr
70 Jahre lang, war die Queen Regentin des „British Commonwealth of Nations“. Während ihrer Regentschaft zerfiel zwar das British Empire, aber dennoch ist sie untrennbar mit diesem verbunden. Das British Empire war die führende Kolonialmacht vom 17. bis 20. Jahrhundert. In diesem Zeitraum besiedelte sie fremde Länder, betrieb brutalen Landraub, Vergewaltigung, Folter und Versklavung.
Im 20. Jahrhundert fand eine Welle der Dekolonisation statt, zu Beginn der 1980er Jahre war sie weitestgehend abgeschlossen. Auch Australien gehört zu dem sogenannten „Commonwealth of Nations“ der britischen Krone und hatte die Queen, bis zu ihrem Tod, als Staatsoberhaupt. Nach dem Tod von Queen Elisabeth II werden allerdings die Stimmen wieder lauter, sich vom britischen Königshaus zu lösen.[1] Die australische Regierung möchte nun ein Referendum durchführen, bei der die Bevölkerung abstimmen kann, ob sie sich von der Krone verabschieden wollen oder nicht.
Aboriginal Australians
Die Kolonisation hatte fatale Folgen für die indigene Bevölkerung der besiedelten Länder. Die Aboriginal Australians und die Torre Strait Islanders sind die ersten Bewohner*innen Australiens. Forscher*innen zufolge sollen ihre Vorfahren dort schon vor ca. 60.000 Jahren gelebt haben.[2] Zurzeit leben etwa 700.000 Aboriginal Australians in Australien, was ungefähr 3 % der Bevölkerung ausmacht.[3] Die meisten leben im Northern Territory, im Norden des Landes und in den Randbezirken der großen Städte. Die Aboriginal Australians geben sich entsprechend ihres Lebensraumes Namen in der eigenen Sprache: Die Yolngu im Norden, Murri im Osten, Koori im Südosten, Nanga im Süden, Nyungar im Südwesten und die Wonghi im Westen.[4] Sie sehen sich selbst als Teil der Natur und kümmern sich um deren Erhalt.
Zeitpunkt der Kolonisation
Im Jahre 1788 trafen die ersten Siedler ein und die Situation der Aboriginal Australians verschlechterte sich – mit verheerenden Folgen. Der Kontinent wurde genutzt, um Sträflinge von den britischen Inseln abzusetzen, die in den Gefängnissen keinen Platz mehr fanden, während die Aboriginal Australians in Reservate gesteckt, von ihrem Land vertrieben und getötet wurden. Durch eingeschleppte Krankheiten wie Grippen und Pockenepidemien, gegen die die Aboriginal Australians nicht geschützt waren, stiegen die Todeszahlen drastisch an. Innerhalb der ersten 100 Jahre, nach der Besiedelung, nahm die Zahl der indigenen Bevölkerung von ungefähr eine Million auf nur 60.000 ab.[5]
Bis 1992 betrachtete das britische und australische Recht die Gebiete der Aboriginal Australians als „terra nullius“, also als unbewohntes Land, das man sich demnach rechtmäßig aneignen durfte.[6] Australien hat 1907 seine Unabhängigkeit von Großbritannien erlangt, doch die Unterdrückung der Indigenen ging weiter. Ab dem 20.Jahrhundert bis 1969 förderte die britische Regierung, dass Aborigine-Kinder von ihren Familien entrissen wurden und als Adoptivkinder in australischen Familien unter weißen Wertvorstellungen erzogen wurden. In dieser Zeit waren 30 % der Aborigine-Kinder vom Kinderraub betroffen. Durch dieses Prinzip der „Stolen Generation“[7] sollten die Spuren der Kulturen und Sprachen der Aboriginal Australians ausgerottet werden. Mit großem Erfolg. Von den damals 250 gesprochenen Sprachen sind heute die Hälfte ausgestorben und nur noch 20 Sprachen werden aktiv an die neuen Generationen weitergegeben.
Die Aboriginal Australians erhielten zwar 1949 offiziell die australische Staatsbürgerschaft, doch erst 1965 war dieser Prozess abgeschlossen. Im selben Jahr wurde Ihnen ihr Wahlrecht zugesprochen[8]. Die kulturelle Entwurzelung und der massive Identitätsverlust sitzen jedoch noch tief.
Wie sieht ihr Leben heute aus?
In den Randbezirken der Städte leben die Aboriginal Australians oft unter erschreckenden Bedingungen. Im Northern Territory arbeiten einige auf Viehzuchtbetrieben und Farmen auf dem Land, das sie selbst einmal besiedelt hatten.[9] Hier leben sie vor allem als Jäger*innen und Sammler*innen vom „bush tucker“ (der Nahrung des Buschlandes).[10] Insgesamt haben Aboriginal Australians, im Vergleich zu anderen Bürger*innen Australiens, eine niedrigere Lebenserwartung. Im Durchschnitt sterben sie zehn Jahre früher als die restliche Bevölkerung. Grund dafür sind schlechtere Lebensbedingungen. Ihre gesellschaftliche Marginalisierung führt zu Armut, hohen Selbstmordraten und Alkoholmissbrauch. Aboriginal Australians machen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung einen proportional höheren Anteil von Gefängnisinsassen aus. Schlechtere Hygienebedingungen und weniger Zugang zum Gesundheitssystem führen zu mehr Krankheiten und erhöhter Kindersterblichkeit.[11]
Die rechtliche Gleichstellung von Aboriginal Australians und der ihnen und ihrer Kultur zustehende Respekt, sowie die Aufarbeitung des Vergangenen, hat nicht gut funktioniert. Seit der Entschuldigung des damaligen australischen Premierministers Kevin Rudd im Jahr 2008, kämpfen die Aboriginal Australians noch stärker für die Anerkennung ihrer Rechte. Seitdem nimmt die restliche Bevölkerung ihre Probleme vermehrt wahr und setzt sich für sie ein. Organisationen wie die Native People of Australia erkämpften 1993 mit dem Urteil Mabo v. Queensland den Native Title.[12] Dieser ermöglicht es der indigenen Bevölkerung ihre Besitz- und Nutzungsrechte geltend zu machen.
Durch den Aboriginal Land Rights Act aus dem Jahr 1976 wurde zum ersten Mal die Möglichkeit für sie geschaffen, ihre Landrechte zu beanspruchen. Stand 2022 gehört den Aboriginal Australians wieder 17 % der Landfläche, doch die meisten Gebiete stehen noch zur Rückgabe. Ein wichtiger staatlicher Akteur für die Anerkennung ihrer Rechte ist die Australian Human Rights Commission, welche sich für die Umsetzung der UN-Deklaration für die Rechte indigener Völker einsetzt.[13] Das „Uluru Statement from the Heart“, setzt sich für die dauerhafte Stimme der Aboriginal Australians im Parlament ein, sodass auch sie das Wort ergreifen können.[14]
Ein besonderer Moment war, als Marion Scrymgour 2007 zur ersten indigenen Frau im Northern Territory Parlament und als Ministerin ernannt wurde[15] und Ken Wyatt am 01. September 2010 als erster Aboriginal Australian ins Unterhaus gewählt wurde[16]. In seine Fußstapfen tritt nun Linda Burney (Ministerin für australische Indigene 2022). Eine weitere starke Stimme der indigenen Politiker*innen ist Lidia Alma Thorpe (erste Vertreterin der Aboriginals in Victoria 2017) [17].
Dennoch: Die Aboriginal Australians haben durch die jahrelange Unterdrückung einen gravierenden Identitätsverlust erlitten. Sie müssen immer noch gegen Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt standhalten. Es dauert, bis sie sich von den Folgen der sozialen, politischen und kulturellen Unterdrückung erholen werden.
Gegenwind zum Tod der Queen
Der Tod von Queen Elisabeth II lässt die Diskussionen um die Verhältnisse, in denen die indigenen Völker Australiens leben, neu aufkommen. Die verstorbene Königin wird kritisiert, dass sie beispielsweise während der Zeit der „Stolen Generations“ schon Regentin (1952-2022) war und die Gräueltaten nicht gestoppt hat. Auch wird bemängelt, dass Australien, als einziges Ex-Kolonialland vom British Empire, bisher keine Verträge mit seiner indigenen Bevölkerung hat.[18] Bisher arbeitet Victoria, als einziger Staat, an einem Vertrag, der den Aboriginal Australians ihre Souveränität zugesteht und Entschädigungen beinhaltet.
Zum Ausdruck kam dieser Unmut am 22. September 2022 stattgefundenen nationalem Trauertag für Queen Elisabeth II, an dem eine indigene Gruppe in Brisbane protestierte. Die Gruppe bezeichnet sich als die „Warriors of the Aboriginal Resistance“[19]. In Melbourne, Sydney und Adelaide gingen die Australier*innen und Aboriginal Australians in Folge des Todes der Königin auf die Straße. Sie fordern die Aufarbeitung der Grausamkeiten, die die Monarchie in dem Land verursachte, und den Schritt hin zur Republik und weg vom britischen Königshaus. Auch Anthony Albanese, der australische Premierminister, befürwortet einen solchen Schritt.[20]
So kurz nach dem Tod der Queen wird das jedoch erstmal noch nicht möglich sein, zumal sich das australische Parlament 15 Tage nach dem Tod nicht beraten durfte.[21] Wie es nun für die Australier*innen und vor allem für die Aboriginal Australians, die ganz klar für eine Loslösung vom britischen Königshaus sind, weiter geht, wird noch zeigen. Klar ist, eine Abspaltung von der britischen Krone ist gewollt und muss kommen und jeder Staat Australiens muss Verträge mit seiner indigenen Bevölkerung ausarbeiten.
Autorin
Pauline Hrubesch, Studentin an der Georg-August-Universität Göttingen und Praktikantin bei dem Referat Indigene Völker.
Quellen
[1] https://www.zeit.de/news/2022-09/09/die-queen-und-das-commonwealth-hat-der-bund-eine-zukunft
[2] Aborigines (survivalinternational.de)
[3] Wir waren schon immer hier (gfbv.de)
[4] Aborigines: Allgemeines zu den Ureinwohnern Australiens (in-australien.com)
[5] Aborigines: Allgemeines zu den Ureinwohnern Australiens (in-australien.com)
[6] Aborigines (survivalinternational.de)
[7] Aborigines: Allgemeines zu den Ureinwohnern Australiens (in-australien.com)
[8] Aboriginal Australians, facts and information (nationalgeographic.com)
[9] https://www.survivalinternational.org/tribes/aboriginals
[10] Aborigines (survivalinternational.de)
[11] Australien 2020 | Amnesty Report | 07.04.2021
[12] https://www.survivalinternational.org/tribes/aboriginals
[13] https://humanrights.gov.au/our-work/aboriginal-and-torres-strait-islander-social-justice/projects/un-declaration-rights
[14] Home – Uluru Statement von Herzen
[15] Liste prominenter Aborigines – Wikipedia
[16] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165840.lidia-thorpe-indigene-stimme.html
[17] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165840.lidia-thorpe-indigene-stimme.html
[18] Aboriginal Australians, facts and information (nationalgeographic.com)
[19] Indigener Protest am nationalen Trauertag geplant – wie es | geschah Australische Politik | Der Guardian (theguardian.com)
[20] Commonwealth: Tod der Queen löst Proteste in Australien aus | ZEIT ONLINE
[21] Australien: Parlament darf 15 Tage nach Tod der Queen nicht beraten (rnd.de)