Völkermord an den Rohingya – Was ist aktuell in Myanmar los?

Aufgrund der andauernden Gräueltaten und der verzweifelten Situation der vielen Binnenvertriebenen haben die fast eine Million Rohingya, die seit 2017 aus dem Rakhine-Staat/Arakan nach Bangladesch fliehen mussten, die Hoffnung jemals wieder in ihr Heimatland Myanmar zurückkehren zu können, fast gänzlich verloren.

Von Rainer Tormin; Foto: Rohingya Kinder zeichnen Bilder von dem, was sie in Burma erleben mussten von DFID – UK Department for International Development via flickr

Mehr als ein Jahr Militärterror

Seit dem Militärputsch vom 1. Februar 2021 wurden vom Militär allein im ersten Jahr rund 1.400 friedlich Demonstrierende getötet und mehr als 320.000 Menschen verschiedenster Ethnien vertrieben, zusätzlich zu den rund 340.000 Binnenvertriebenen, die bereits vor dem Putsch fliehen mussten. Von mehr als 12.000 willkürlich Inhaftierten befinden sich noch rund 8.000 in Haft. Über die Zahl der zivilen Opfer militärischer Angriffe auf Dörfer und Städte gibt es bisher keine gesicherten Angaben, aber es gibt immer wieder Berichte über Morde und Brandschatzungen.

Warum hat das Militär gewaltsam die Macht übernommen?

Die Militärs beherrschten jahrzehntelang das Land, bis sie vor circa zehn Jahren begannen, Macht an zivile Stellen abzugeben. Die Regierung unter Aung San Su Kyi leitete daraufhin einen vorsichtigen Demokratisierungsprozess ein. Auf Druck der Militärs wurden dennoch seit 2017 die im Bundesstaat Rakhine lebenden Rohingya verstärkt massenhaft verfolgt, vertrieben und getötet. Diese Repressionen gingen nicht nur von Sicherheitskräften aus, sondern wurden z.T. auch von Angehörigen anderer Ethnien unterstützt. Bei den am 8. November 2020 regulär durchgeführten Parlamentswahlen erlitt die dem Militär nahestehende Partei eine krachende Niederlage, während die Partei von Aung San Su Kyi einen überwältigenden Erfolg feiern konnte. Die führenden Generäle sahen daraufhin ihre persönlichen wirtschaftlichen Interessen gefährdet. Sie behaupteten, die Wahlen seien gefälscht und rechtfertigten damit ihren Putsch vom 01. Februar 2021.

Welche weiteren Auswirkungen hat die andauernde Militärherrschaft?

Seit dem Putsch hat die Wirtschaft in Myanmar einen schweren Rückgang erlitten. Gesundheits- und Bildungsdienste sind praktisch zum Erliegen gekommen. Im Bundesstaat Rakhine ist die Minderheit der Rohingya weiterhin einem andauernden Völkermord ausgesetzt und lebt in einer Art Freiluftgefängnis. Die Militärs haben Rohingya festgenommen, die versuchten, nach Bangladesch zu fliehen, und die Bewegungsfreiheit der dort lebenden Menschen noch stärker eingeschränkt.

Was bedeutet das für die Rohingya?

Aufgrund der andauernden Gräueltaten und der verzweifelten Situation der vielen Binnenvertriebenen haben die fast eine Million Rohingya, die seit 2017 aus dem Rakhine-Staat/Arakan nach Bangladesch fliehen mussten, die Hoffnung fast gänzlich verloren, jemals wieder in ihr Heimatland Myanmar zurückkehren zu können. Die seit 2017 in Flüchtlingslagern in Bangladesch lebenden Rohingya leiden nach wie vor unter katastrophalen humanitären und medizinischen Zuständen. Frauen und Kinder sind dort in Gefahr, Opfer von Vergewaltigung und Menschenhandel zu werden. Bereits etwa 30.000 Flüchtlinge wurden auf die abgelegene, menschenfeindliche Insel Bhasan Char zwangsumgesiedelt.[1]

Forderung nach weltweiten Sanktionen gegen die Militärjunta

Praktisch sämtliche internationalen Menschenrechtsorganisationen fordern die Regierungen der Welt auf, Sanktionen gegen das myanmarische Militärregime zu verhängen. So fordert das Burma Human Rights Network (BHRN), in erster Linie die wichtigsten Einkommensquellen des Regimes zu sanktionieren und der Junta den Zugang zu Waffen und Bargeld abzuschneiden.[2]

Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer für die Menschen in Myanmar

Es gibt ein erneuertes Gefühl interethnischer Solidarität zwischen Rohingya und anderen Ethnien in Myanmar. Rohingya waren in der Vergangenheit häufig auch Opfer von Unterdrückung durch andere Ethnien, z.B. wenn sie Verbrechen der Militärs anprangerten. Jetzt erhalten dieselben Rohingya jedoch Unterstützung, Verständnis und sogar Entschuldigungen von denen, die Hass gegen Rohingya verbreitet haben. Die Menschen in Myanmar haben erkannt, dass das Militär der gemeinsame Feind ist.

Auf internationaler Ebene gibt es zunehmende Bemühungen, die Gräueltaten der Militärs gerichtlich zu ahnden. Der Internationale Gerichtshof hat auf Betreiben von Gambia ein Strafverfahren wegen schweren Verstößen gegen die Anti-Genozid-Konvention von 1948 gegen Myanmar eingeleitet. Am 22. Juli 2022 wies das Gericht in Den Haag den Einspruch der myanmarischen Junta zurück, die abgestritten hatte, dass das Gericht für Fall zuständig sei. Auch das als Reaktion auf den Militärputsch eingerichtete National Unity Government (NUG) unterstützt Bemühungen um eine gerichtliche Verfolgung der Junta-Verbrechen.[3]

Was unternehmen die Vereinten Nationen?

Im September 2018 richtete der UN-Menschenrechtsrat in Genf den unabhängigen Untersuchungsmechanismus für Myanmar (International Impartial Independent Mechanism, IIIM) mit dem Mandat ein, Beweise für die schwersten internationalen Verbrechen und Verstöße gegen das Völkerrecht zu sammeln, zu konsolidieren, zu dokumentieren und zu analysieren, die seit 2011 in Myanmar begangen wurden. Der Militärputsch selbst war zunächst nicht Gegenstand der Untersuchungen, da er für sich genommen nicht vom UN-Mandat erfasst war. Die im Laufe des letzten Jahres dort eingegangenen Berichte über massenweise Tötungen von Zivilisten führten zu einer Einstufung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen, sodass der Untersuchungsmechanismus inzwischen in großem Umfang gegen die Junta ermittelt. Nicholas Koumjian, der Leiter des Mechanismus, sagt dazu: „Die internationale Justiz hat ein sehr langes Gedächtnis und eines Tages werden die Täter der schwersten internationalen Verbrechen in Myanmar zur Rechenschaft gezogen.“[4]

Wie geht es vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag weiter?

Das westafrikanische Gambia hat bereits im November 2019 ein Verfahren gegen das Regime in Myanmar wegen des an den Rohingya begangenen Völkermordes angestrengt. Die Militärjunta hält das Verfahren aus formalen Gründen für unzulässig. Mit einer Entscheidung des Gerichtes wird nicht vor 2023 gerechnet. Bisher hatte der Gerichtshof auf Antrag Gambias lediglich verfügt, dass Myanmar die Rohingya vor Genozid schützen müsse. Aber nach der Vertreibung 2017 wurden die Dörfer der muslimischen Minderheit in Myanmar geplündert, verbrannt und an andere Ethnien übergeben. Darum ist es für die meisten Menschen in den Lagern unmöglich, in ihre Heimat zurückzukehren. Laut der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet müssten in Myanmar erst sichere Bedingungen herrschen, bevor eine Rückkehr möglich ist.[5]

Sind die Rohingya die einzige bedrohte Ethnie in Myanmar?

Inzwischen terrorisiert die Militärjunta auch weitere ethnische und religiöse Minderheiten im Land, vor allem Christen, mit den gleichen menschenverachtenden Methoden wie bei der Vertreibung der Rohingya. Im nördlichsten, überwiegend christlichen Bundesstaat Kachin mussten im Sommer 2022 Tausende Menschen vor Angriffen von Luft- und Bodenstreitkräften der Militärjunta fliehen. Hunderte Häuser sind niedergebrannt worden. Auch in anderen Bundesstaaten, vor allem im rohstoffreichen Norden des Landes, geht das Militär mit brutaler Gewalt und Bombardierungen gegen die Bevölkerung vor.[6]

Was tut die Weltgemeinschaft gegen diesen Völkermord?

In einer Zeit, in der die Aufmerksamkeit der Welt auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gerichtet ist, droht der Völkermord in Myanmar in Vergessenheit zu geraten. Die Regionalgruppe Hamburg der Gesellschaft für bedrohte Völker möchte deshalb einen Beitrag leisten, um die Aufmerksamkeit der Welt auch wieder auf diesen Genozid zu richten. Am 2. Mai 2023 werden wir deshalb im Rahmen der Reihe „Tage des Exils“ der Körber Stiftung eine öffentliche Veranstaltung mit Betroffenen zu dem Völkermord in Myanmar veranstalten. Veranstaltungsort wird die Gedenkstätte St. Nikolai in der Krypta der im 2. Weltkrieg weitgehend zerstörten St. Nikolai-Kirche in Hamburg sein.

Verfasser

Rainer Tormin, Co-Sprecher der Regionalgruppe Hamburg der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Geboren 1949, ehemals Rechtsanwalt und Unternehmensberater, Moderator diverser öffentlichen Veranstaltungen der GfbV zu Menschenrechtsthemen u.a. zu Rohingya, Oromo sowie Indigene in Südamerika und Nordeuropa

Quellen

[1] Dr. Ambia Perveen, Präsidentin des EuropeanRohingya Council (ERC) und Ehrenmitglied der GfbV; div. Presseerklärung der GfbV – https://www.gfbv.de/de/news/fuenfter-jahrestag-des-voelkermords-an-den-rohingya-258-10815/ 

[2] BHRN Report “Brazen Tyranny of Myanmar Military”

[3] Tun Khin, Präsident der Burmese Rohingya Organisation UK: https://www.aljazeera.com/opinions/2022/2/1/justice-is-the-only-answer-to-myanmars-bloody-military-reign

[4] UN, https://iimm.un.org/what-is-the-independent-investigative-mechanism-for-myanmar/

[5] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/internationaler-gerichtshof-rohingya-voelkermord-101.html; https://www.nau.ch/news/ausland/rohingya-ruckkehr-nach-myanmar-ist-laut-un-zu-unsicher-66245002; https://www.dw.com/de/bachelet-rohingya-k%C3%B6nnen-nicht-nach-myanmar-zur%C3%BCckkehren/a-62839875

[6] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/myanmar-kachin-angriffe-flucht-101.html

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