Die Meldungen über die starke Luftverschmutzung im Winter in Sarajevo werden mittlerweile zur traurigen Tradition: Trotz Warnungen der Vereinten Nationen (UN) geschieht nur wenig in Bosnien und Herzegowina, um der hohen Feinstaubbelastung entgegen zu wirken. Und das, obwohl die Lebenserwartung der Bevölkerung aufgrund der schlechten Werte bereits um 1,3 Jahre gesunken ist.
Autorin: Lena Röseler, Praktikantin im Referat für Genozidprävention und Schutzverantwortung
Ein undurchdringlicher Dunst hat sich in den letzten Monaten über die Hauptstadt Bosnien und Herzegowinas gelegt, der so typisch ist für diese Jahreszeit. Im Kessel gelegen und umgeben von den Bergen ist Sarajevo besonders anfällig für Smog-Bildung. Die Luft riecht hier nach Heizung, Holz und Kohle. Die Schwedische Botschaft aus Sarajevo twitterte gar, Sarajevo habe eine eigene Kategorie in Sachen Luftverschmutzung eröffnet.
Die Regierung Bosnien und Herzegowinas sprach zuletzt Warnungen aus, die Bürger*innen sollten, wenn möglich, nicht das Haus verlassen. Fahrzeuge wurden von den Straßen verbannt und Veranstaltungen wurden abgesagt. Innerhalb von drei Tagen wurden die Grenzwerte der EU für Feinstaub um ein Zwei- bis Fünffaches überschritten. Und der Trend setzt sich fort: Als Feinstaub werden jene Partikel vom Staub bezeichnet, die eine Durchmesser von weniger als zehn Mikrometer (µm), auch PM10 genannt, oder weniger als 2,5 µm (PM2,5) besitzen.
Dass es vor allem im Winter zu einer erhöhten Smog-Bildung und Feinstaubbelastung durch PM10 kommt, liegt an dem verstärkten Heizen von Gebäuden. In Bosnien und Herzegowina werden die hohen PM2,5 Emissionen vor allem durch Verbrennungsvorgänge im Haushalt (25%), Kraftwerke (29%), Industrielle Prozesse (24%) und Müll (11%) erzeugt. Da Strom und Gas teuer sind, ist ein Großteil der Bevölkerung ist in den letzten Jahren auf Kohle und andere minderwertigen Brennstoffen zum Heizen umgestiegen. Dadurch kommt es vor allem im Haushalt zu hohen Emissionsbeträgen, was die Lage zusätzlich verschärft.
Ein weiterer bedeutender Faktor sind die Fahrzeuge. Die Mehrheit der Autos sind alte Gebrauchswagen aus Westeuropa, die im Schnitt 16 Jahre alt sind. Über 60 Prozent der Fahrzeuge haben die Emissionsklasse 0 – 3. „Nimmt man noch die Tatsache hinzu, dass die Zahl der angemeldeten Fahrzeuge von Jahr zu Jahr wächst und die Diskrepanz zwischen den Angaben der bestehenden Emissionsklassen sich kaum verringert, ist dies niederschmetternd,“ so Belma Zulčić, Leiterin der Sektion von der Gesellschaft für bedrohte Völker in Bosnien und Herzegowina (Sarajevo).
Bis zu 5.000 Tote jährlich in den Städten der Westbalkan-Region
Sarajevo stellt keine Ausnahme dar. Wie ein Bericht des UN Environmental Programm aus dem Jahr 2019 ergab, gehört die Westbalkan-Region zu der Region Europas mit der höchsten Luftverschmutzung. Nationale sowie europäische Grenzwerte werden hier regelmäßig bis um ein Fünffaches überschritten. In fast ausnahmslos allen untersuchten Städten Bosnien und Herzegowinas (u.a. Tuzla, Prijedor) wurde der Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für PM2,5 von einem Jahresmittel von 10 μg/m3 überschritten und in zwei von drei Fällen auch der weniger strenge Grenzwert der EU von 25 μg/m3. Besonders ins Auge fallen die Werte Tuzlas, einem Industriestandort mit dem größten Kohlekraftwerk des Landes. 2015 lag das Jahresmittel von PM2,5 bei über 80 μg/m3 (der Grenzwert der EU beträgt 25 μg/m3) und 2017 immer noch bei über 40 μg/m3.
Allein in Sarajevo lassen sich über 400 Todesfälle pro Jahr auf die zu hohe Feinstaubbelastung zurückführen, in Tuzla fällt die Zahl noch höher aus.
Die WHO warnt schon lange vor gesundheitlichen Schäden durch massive Luftverschmutzung. Die kleinen Staubpartikel können in die Atemwege gelangen und so zu Herz- und Atemwegserkrankungen führen. Die Auswertungen der UN zeigen beispielsweise, dass in Sarajevo sieben Prozent der tödlich endenden Herzinfarkte, auf die hohe PM2,5 Belastung zurückzuführen sind.
Saubere Umwelt als Menschenrecht
Menschenrechtsorganisationen setzten sich verstärkt für eine saubere Umwelt ein. David Boyd, der Sonderberichterstatter der UN für Menschenrechte und Umwelt hatte erst 2019 in einem Bericht dazu aufgefordert, das Recht auf eine saubere Umwelt als Menschenrecht anzuerkennen und völkerrechtlich zu verankern. Schon jetzt führt die massive Luftverschmutzung zu einer Verletzung des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard und des Rechts auf Gesundheit.
In Sarajevo rührt sich langsam der Protest: Vergangenen Montag kam es zu einer kleinen Protestaktion vor dem Rathaus Sarajevos. Die Demonstrierenden forderten die Politiker*innen auf, systematische und langfristige Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung zu ergreifen. Ende des Jahres hatten diese die Preise der Seilbahn zum Berg Trebević gesenkt, damit die Bevölkerung frische Luft schnappen kann. Dies kann sicherlich nicht als ein ernsthafter Versuch gesehen werden, dem Problem entgegen zu wirken. Es spricht jedoch Bände darüber, wie die Politiker*innen Sarajevos mit dieser besorgniserregenden Problematik umgehen.