Unser Jahr der indigenen Sprachen

2019 war das Internationale Jahr der indigenen Sprachen: Ausgerufen von den Vereinten Nationen zur Sichtbarmachung und zum Schutz indigener Sprachen weltweit. Die rund 4.000 indigenen Sprachen stehen unter der akuten Bedrohung zu einem Großteil zu verschwinden. Ihre indigenen Sprecher*innen versuchen, ihre mündlich überlieferten Sprachen in Gesellschaften zu erhalten, die weder im Bildungssystem noch auf dem Arbeitsmarkt auftauchen.

Autorin: Regina Sonk, Referentin für indigene Völker

Auch wir als GfbV wollten diesem Thema besondere Aufmerksamkeit schenken, denn Indigene kämpfen seit Jahrzehnten um die Anerkennung ihrer Sprachen und Wissenssysteme. Hier unser kleines Resümee unseres eigenen Sprachenjahres:

Aller Anfang liegt in einer Recherche. Für unseren Menschenrechtsreport „Sprache: Ein Menschenrecht“ recherchierten wir zu indigenen Sprachen auf allen Kontinenten und schauten uns an, wie es um diese Sprachen steht und wie ihre Sprecher*innen rechtlich geschützt sind. Unser Fazit fiel dabei ernüchternd aus: In keinem der untersuchten Länder gibt es ausreichend bilinguale Schulsysteme, die gewährleisten, dass Indigene ihre Sprachen und ihr Wissen erlernen und weitergeben können. Bilinguale Schulsysteme sind eine der zentralen Forderungen und bereits in allen völkerrechtlichen Verträgen fest verankert. Leider fehlt es den jeweiligen Nationalstaaten immer noch am politischen Willen, diese Vorgaben umzusetzen.

Indigenen auf der ganzen Welt haben gemein, dass ihre Sprache für sie und ihre kollektive Identität zentral sind. Generationsübergreifend ist zu sehen, wie engagiert und kreativ sie versuchen, ihre Sprachen sichtbar und für Jugendliche attraktiver zu machen. Drei Projekte sind uns besonders ins Auge gefallen, mit denen über das Jahr hinweg Kontakt gehalten haben.  Da gibt es eine Lehrerin im Australischen Cape York Halbinsel, Lilliane Bowen, die ihre Sprache des Guguu Yimithirr als letzte Lehrerin in der örtlichen Grundschule weitergibt. In Guatemala wird jährlich ein Festival er indigenen Sprachen im Internet organisiert, vor allem für junge Nutzer*innen. Und zuletzt, vielen in der Gfbv bekannt, gibt es Alina Rodenkirchens Projekt Kimeltuwe, im Süden Chiles. Sie erarbeitet Materialen im Mapuzugun, das ohne spanische Übersetzung auskommt und hilft Mapuche Lehrer*innen, ihren Unterricht didaktisch zu planen. Mehr Infos zu dem drei Sprachprojekten gibt es auch auf unserer Webseite.

Alina Rodenkirchen stellte bei unserer Podiumsdiskussion im August ihr Sprachenprojekt Kimeltuwe vor Bild: Niels Keilhack 2019/ GfbV

Mit Alina und Tjan Zaotschnaja waren wir zur Mitte des Jahres – am 9. August, dem internationalen Tag der indigenen Völker – in Berlin. Mit einer bunten Installation aus Würfeln machten wir vor prominenter Kulisse vor dem Reichstag das politische Berlin und die alltäglichen Tourismusströme auf indigene Sprachen aufmerksam. Den Abend zuvor sprachen Alina und Tjan bereits auf unserer Podiumsdiskussion gemeinsam mit Lars-Christian Koch, dem Direktor vom Humboldt-Forum, über den Wert indigener Sprachen und was es braucht, sie wirksam zu schützen.

Tjan Zaotschnaja mitsamt unserer Würfelinstallation am internationalen Tag der indigenen Völker vor dem Reichstag in Berlin. Bild: Niels Keilhack 2019/ GfbV

Direkt nach unserer Jahreshauptversammlung im September machten wir uns auf den Weg zum UN-Menschenrechtsrats in Genf. Auf dessen Agenda stand am 18. September die Halbjahresevaluation des IYIL. Anlass für uns einen sogenannten Side Event zu organisieren, auf dem indigene Sprachaktivist*innen die Plattform bekamen, ihre Sicht der Dinge zu schildern. Leon Siu aus Hawaii, Vallerie Bellegard, kanadische Ojibwa und Nema Grefa Ushigua der Sapará aus Ecuador sprachen über Herausforderungen und fehlende Unterstützung beim Schutz dieser Sprachen. Willie Littlechild, kanadischer Cree machte diese Punkte in seiner mündlichen Stellungnahme vor den Menschenrechtsrat nochmal deutlich und forderte eine nachfolgende Dekade, die von vielen Seiten, u.a. der Europäischen Union begrüßt wurde.

Neben dem offiziellen Programm des Menschenrechtsrats bot unser Side Event eine gute Plattform, um gemeinsam über indigene Sprachen zu diskutieren. Bild: Hanno Schedler/ GfbV 2019

Auch in Deutschland können wir bzw. die Bundesregierung aktiv werden. Zentral ist die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation. Sie ist die wichtigste völkerrechtliche Konvention für Indigene, denn als einziges Instrument für Unterzeichnerstaaten rechtlich bindend. Gerade deswegen ist sie bisher lediglich von 23 Staaten ratifiziert worden. Deutschland gehört nicht dazu, aber das wollen wir ändern. Gemeinsam mit, als der Sonderberichterstatterin für die Rechte indigener Völker, Victoria Tauli-Corpuz, suchten wir Gespräche mit verschiedenen Ministerien. Besonders die Menschenrechtsbeauftrage der Bundesregierung Bärbel Kofler ist die Hauptverbündete. Auf ihre Initiative hin ist die Ratifizierung der ILO 169 in den aktuellen Koalitionsvertrag gekommen. Ob diese Koalition stabil und arbeitsfähig ist, bleibt offen. Trotzdem bleiben wir dran und werden auch jede nachfolgende Regierung an die ILO 169 erinnern.

Das Jahr schloss mit einem großen Erfolg und guten Aussichten: Pünktlich vor Weihnachten am 18. Dezember letzten Jahres beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Dekade für indigene Sprachen. Das heißt, dass die Jahre 2022 – 2032 wieder im Zeichen indigener Sprachen stehen werden. Indigene UN-Gremien sowie viele indigene Organisationen hatten schon von Beginn an diese Dekade gefordert. Denn ein Jahr ist für diese Aufgabe einfach zu kurz: Für uns bedeutet das, dass wir uns auch weiterhin für indigene Sprachen und einsetzen werden und wichtige politische Akteure*innen auf ihre Verpflichtungen hinweisen.

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