Im Iran protestieren wieder Menschen lautstark. Es sind die heftigsten Proteste seit der „Grünen Revolution“ 2009. Gründe für den Protest gibt es viele, doch schon jetzt ist eine Frau zum Symbol der Iran-Proteste geworden. Sie hatte ihr Kopftuch abgenommen und es wie eine Fahne geschwenkt. In den Sozialen Medien wird sie seitdem als Ikone gesehen, die sich gegen die anhaltende Diskriminierung der Frauen in der Islamischen Republik zur Wehr setzt. Denn dort ist bis heute kein Platz für Frauenrechte.
von Parvaneh Ghorishi
Seit Gründung der Islamischen Republik Iran im Jahr 1979 bestimmt die islamische Gesetzgebung der Scharia das Leben von Millionen Iranern und Iranerinnen. Sie führt zwangsläufig zur massiven Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern: Männer haben ein Recht auf Polygamie, das Sorge- und Scheidungsrecht. Auch im Erbrecht haben Frauen das Nachsehen. Außerdem benötigen sie das Einverständnis ihres Ehemannes oder eines männlichen Familienmitgliedes, um zu verreisen oder zu arbeiten. Frauen werden entmündigt und behandelt, als ob sie unzurechnungsfähig seien.
Kurz nach der Islamischen Revolution verordnete der aus dem Pariser Exil zurückgekehrte Ajatollah Chomeini im März 1979 das Tragen eines „Hijab“ (Kopftuch) für Frauen in der Öffentlichkeit. Regimeanhänger zerschlugen die von Frauen organisierte Demonstration gegen diesen wieder eingeführten Schleierzwang. Weil sie sich der neuen Situation anpassen wollten, unterstützten die linken Organisationen die Demonstrationen der Frauenverbände gegen den „Hijab“ nicht, sondern kritisierten sie. Sie taten die Zwangsverschleierung als „Nebenwiderspruch“ ab und behaupteten, Bäuerinnen und Arbeiterinnen hätten wichtigere Probleme.
Die Machthaber nutzten meist fadenscheinige Argumente zur Rechtfertigung der Kopfbedeckung. Der ehemalige Präsident Bani Sadr behauptete, die Strahlen von Frauenhaaren würden die männliche Konzentration beeinträchtigen. Außerdem hieß es, Frauenhaare würden Vibrationen abgeben, mit denen Männer auf falsche Wege gelockt würden.
Ähnlich argumentierten manche Frauen, wenn sie angaben, sich in Gegenwart von Männern mit dem Hijab sicherer zu fühlen. Das Hijab ist also eine Mauer und Garant, Frauen als sexuelle Subjekte ungefährlich und geschlechtsneutral zu machen. Die Kontrolle der Sexualität der Frauen ist auch das Hauptziel aller Gesetze im Iran.
Auch das Bildungs- und Erziehungswesen des Iran wurde in den 1980er Jahren der Islamisierung unterworfen und desäkularisiert. Widerspruch wird nicht geduldet und bei Nichteinhaltung drohen Strafen. Gehorsamkeit gegenüber Autoritätspersonen ist eine der wichtigsten Tugenden. Nicht eigenes Denken, sondern Anpassung und Unterwerfung werden gefördert.
In den fast 40 Jahren seit Bestehen der Islamischen Republik Iran ist viel Unrecht geschehen. Zahlreiche demokratische Bewegungen, allen voran der Kurden, wurden niedergemetzelt. Auch in Europa wurden oppositionelle Kräfte nicht geschont. Namhafte Demokraten fielen den Mordkommandos der Islamischen Republik zum Opfer. Hunderte von Frauen wurden unter dem Vorwand, „Ehebruch“ begangen zu haben, ermordet – einige durch Steinigung. Zudem nehmen sich jährlich hunderte Frauen das Leben, weil sie unter massivem sozialen und psychischen Druck zu leiden haben. Manche von ihnen übergießen sich sogar mit Benzin und sterben in den lodernden Flammen. Mit ihrem Tod durch Selbstverbrennung setzen sie ein Fanal, das ihre prekäre Situation veranschaulicht.
Die Zahl der drogenabhängigen Frauen ist ebenfalls dramatisch angestiegen. Die täglichen Benachteiligungen in allen Lebensbereichen, die herablassende Behandlung und die Schikanen, kurzum die praktizierte Geschlechter-Apartheid durch die Machthaber der Islamischen Republik, zerstören die Frauen. Die psychischen Wunden verursachen bei vielen Frauen tiefe Depressionen und eine Kälte, die aus Machtlosigkeit und Wut resultiert. Als Folge davon kommt es oft zu selbstzerstörerischen Handlungen.
Die “Frau mit den wehenden Haaren”, die ihr Kopftuch als Fahne schwenkt, ist mittlerweile zum Symbol der aktuellen Proteste im Iran geworden.
Der iranische Filmemacher Jafar Penahi zeigt in „Der Kreis“ im Jahr 2000 eindrucksvoll die gesellschaftliche Position der Frauen im Iran. Der Film beginnt in einer Entbindungsstation. Dort erfährt eine Großmutter, dass ihre Tochter nicht wie erwartet einen Sohn, sondern ein Mädchen geboren hat. Enttäuschung und Frustration sind immens. Das Mädchen ist kaum geboren und wird schon zu einem Problem.
Im Anschluss beginnt das Abenteuer von drei Frauen, die nach ihrem Freigang nicht in das Gefängnis zurückkehren, sondern fliehen und in Freiheit leben wollen. Ihr Versuch, außerhalb der Gefängnismauer in Freiheit zu leben, ist zum Scheitern verurteilt. Die eigene Familie ist nicht bereit sie aufzunehmen und verstößt sie, weil ihr „schlechter Ruf“ sie gebrandmarkt und entehrt hat. Sie sind als Frauen ohne legitime männliche Begleitung verloren. Ihr Leben hängt von der Gnade der Männer ab, denen sie begegnen.
Diese ausweglose Situation hat sich für die Frauen im Iran seit Penahis Film nicht geändert. Und so ist es nicht verwunderlich, dass ein Teil der aktuellen Proteste sich erneut gegen diese Unterdrückung richtet.
Der Artikel erschien zuerst in einer längeren Version in der Ausgabe “Iran: Vielvölkerstaat ohne Gleichberechtigung und Glaubensfreiheit” (3/2010) der Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“.
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Gekürzte, leicht geänderte Version. Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe “Iran: Vielvölkerstaat ohne Gleichberechtigung und Glaubensfreiheit” (3/2010) der Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“.