„Ich lebe lieber frei und ohne Geld anstatt als Sklavin“

Im Dezember 2015 erhielten die Anti-Sklaverei-Aktivisten der IRA aus Mauretanien, mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten, den Tulpen-Menschenrechtspreis des niederländischen Außenministeriums. Bei der Preisverleihung trafen wir auf die mutige Aktivistin Ghame Salem. Ihre berührende Geschichte hat Annabelle Makhloufi aus dem GfbV-Afrikareferat übersetzt.

Foto: edward musiak via Flickr

Ich heiße Ghame Salem. Als jahrelange Aktivistin gegen Sklaverei hätte ich nie gedacht, dass auch ich ein Opfer von Sklaverei werden könnte. Aber so war es: Ich bin in Saudi-Arabien Opfer von dem geworden, was ich in Mauretanien bekämpfe. Denn auch mehr als 30 Jahre nach der offiziellen Abschaffung der Leibeigenschaft ist Sklaverei in Mauretanien noch immer weit verbreitet. Und es trifft meistens die ethnische Gruppe der Haratin, der schwarzafrikanischen Minderheit, zu der auch ich gehöre.

Bevor meine Mutter weggelaufen ist, war sie eine Sklavin. Als ich älter wurde, erkannte ich, was meine Mutter durchmachen musste. Deshalb bin ich Aktivistin geworden. Sklaven wie meine Mutter und meine Schwester können aufgrund ihres Sklavenstatus nicht in die Schule gehen oder gar studieren – Sklaven haben keine Zeit zum Lernen.

Ghame Salem bei der Verleihung des Tulpen-Menschenrechtspreises 2015 in Den Haag

Ich habe in Mauretanien meine Arbeit verloren. Um meine 5 Kinder ernähren zu können, habe ich mich dazu entschlossen, in Saudi-Arabien zu arbeiten. Noch in Mauretanien unterschrieb ich einen Arbeitsvertrag einer Agentur, der zwei Jahre Gültigkeit haben sollte. Alles, was im Vertrag stand, erschien mir zunächst legitim und normal: Ich sollte acht Stunden am Tag arbeiten, hatte ein Anrecht auf eine Wohnung und einen freien Tag pro Woche. Als ich jedoch in Saudi-Arabien ankam, wurde mir mein Pass weggenommen und mein Arbeitsvertag für ungültig erklärt. Ich bekam daraufhin einen neuen Vertrag, der vorschrieb, dass ich ohne Pause arbeiten sollte.
Ich lehnte diesen Vertrag ab und wurde zurück zur Agentur geschickt. Anstatt mir zu helfen, sperrte man mich fünf Tage lang ohne Essen ein. Danach wurde ich für 20.000 Saudi-Riyal (etwa 5.000€) an eine saudische Familie in Jeddah verkauft. Das Geld ging an die Agentur, die den Job vermittelt hatte und nicht an mich. Zudem eskortierten mich Mitarbeiter der Agentur nach Jeddah, damit ich nicht wegrenne.

Nach einer Woche bei dieser Familie wurde ich für 15.000 Saudi-Riyal (etwa 3.600€) an eine andere Familie in Tabouz verkauft. Die Frau, die mich gekauft hatte, war drogenabhängig und ich wollte sie unbedingt wieder verlassen. Trotzdem arbeitete ich fast 2 Monate dort, bis ich während der Arbeit eine Möglichkeit fand, einen Verwandten anzurufen. Er sagte mir, dass ich den Vertrag vernichten müsse, wenn ich fliehen wollte.

Ich stahl meinen Arbeitsvertrag und versteckte ihn in meinem Kopftuch. Die Polizei half mir aber leider nicht. Dort sagten sie mir, dass ich arbeiten müsse, sonst würde ich für 2 Jahre ins Gefängnis kommen.

Daraufhin wurde ich von der drogenabhängigen Frau zurück nach Riad zur Agentur geschickt. Auf dem Weg dahin kontaktierte ich die mauretanische Botschaft in Saudi-Arabien, die mir endlich helfen konnte. Sie vermittelten mich an eine Organisation, die sich um mauretanische Frauen kümmert, die in Saudi-Arabien arbeiten.

Dort teilten sie mir mit, dass ich nach Mauretanien zurückkehren könne, aber nur unter folgenden Voraussetzungen:  ich musste einen Vertrag unterschreiben, in dem ich mich verpflichtete, weder gegen meinen Arbeitgeber, die Agentur oder gegen die saudischen Autoritäten zu klagen. Außerdem musste ich unterschreiben, dass ich gut in dem Land behandelt wurde.
Danach durfte ich wieder in meine Heimat zurückkehren. In Mauretanien erhalte ich keine Unterstützung vom Staat, aber ich lebe lieber frei und ohne Geld, anstatt als Sklavin in Saudi-Arabien.


Ghame Salem war eine von über 200 mauretanischen Frauen, die als Sklavinnen in Saudi-Arabien arbeiten mussten. Als dies bekannt wurde, sorgten Aktivisten von der IRA in Mauretanien dafür, dass sich die mauretanische Regierung-zumindest zum Teil – für die Frauen einsetzte. Sie demonstrierten tagelang vor der saudischen Botschaft in Nouakchott, der Hauptstadt Mauretaniens, und forderten mit Menschenrechtsaktionen den mauretanischen Staat zum Handeln auf.

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