Kolumbien: Grüne Energiewende auf Kosten der Wayúu

Ihre Vorfahren hätten immer gesagt: Die Wayúu seien nichts ohne ihr Land. Ohne ihr Land würde es niemals Frieden für sie geben, das erzählt mir Juana Rita Velázquez, oder „Tita“, als wir gemeinsam am Frühstückstisch ihrer Rancheria in La Guajira sitzen, einer von Sonne und Wind gezeichneten Halbwüste im Norden Kolumbiens.

Text und Fotos: Jan Königshausen, Referent für Indigene Völker und Natalia Otalora
Redaktion: Stefanie Grolig und Myriam Givens, Digitale Kommunikation

Tita ist eine indigene Anführerin der Wayúu und Aktivistin des Kollektivs Las Guardianas del Viento (Die Verteidigerinnen des Windes). In der Ferne ziehen Windräder ihre Kreise – Symbole einer grünen Zukunft, die für viele Kolumbianer*innen vielversprechend klingt. Doch nicht für die Wayúu. Ich bin Anfang des Jahres in die Region La Guajira im Nordosten Kolumbiens gereist, um mit der Wayúu-Gemeinschaft ins Gespräch zu kommen. Ich wollte verstehen, wie sie selbst die Entwicklungen auf ihrem Land erleben. Seit Jahren rücken internationale Energieunternehmen mit immer neuen Megaprojekten an – zuerst Kohle, jetzt Wind und Sonne. Sie versprechen Fortschritt. Doch vor Ort bleibt das Leben vieler Menschen von Mangel geprägt: Wo es Kohle gibt, gibt es keinen Strom. Wo es Kohle gibt, gibt es kein Wasser.

Tita erzählt von der Kohlemine El Cerrejón, dem größten Tagebau Lateinamerikas. Seit vier Jahrzehnten frisst sich die Kohlemine durch das Land der Wayúu, verschmutzt Luft und Wasser, vertreibt Familien, verändert das Klima. Der Preis dafür sei spirituell wie materiell hoch: 

„Das ist die Vergeltung für den Missbrauch an Mutter Erde. Wir haben ihr das Blut ausgesaugt – besser ausgedrückt: Wir haben ihr großen Schaden zugefügt. Aber wir [Wayúu] wollen ihr keinen Schaden zufügen. Sie hat uns genährt, sie hat uns getragen, sie hat uns aufgenommen. Wenn wir sterben – wer empfängt uns? Die Mutter Erde. Wer hält uns am Leben? Die Mutter Erde.“ So schildert Tita den Zwiespalt des Lebens als indigene Aktivistin in der geschädigten Region.

Gerade, wo ich diesen Satz noch verdaue, fährt Tita fort. Es sei noch nicht vorbei: La Guajira soll die Welt in Zukunft mit noch viel mehr günstigem Strom versorgen – dieses Mal aber in Form von „Grüner Energie“ aus Wind und Sonne.

Werden die neuen grünen Energieparks die Rechte der Wayúu achten und ihnen als Gemeinschaft helfen?

„Nein!“, sagt Tita, „Internationale Firmen wollen Strom für den Export nach Europa erzeugen – als Teil der globalen Energiewende. Doch erneut geschieht dies ohne unsere Zustimmung: Wenn wir nie von El Cerrejón profitiert haben, dann werden wir erst recht nicht von diesen neuen Unternehmen profitieren!“ Meine Recherchereise nach La Guajira ist ein Teil eines langfristigen Projekts: Ich möchte die Perspektiven und Rechte indigener Gemeinschaften sichtbar machen – in Kolumbien, aber auch in weiteren Staaten Südamerikas. Dort stellen sich Menschen mit großer Entschlossenheit der Ausbeutung entgegen und kämpfen für ihre Rechte.

Ihr Wissen, ihre Geschichten und ihre Perspektiven verdienen unser Gehör. Auch weil wir dies gemeinsam haben: weder die Wayúu noch wir in Deutschland können unsere Augen vor der zentralen Frage unserer Zeit verschließen: Wie soll unsere klimagerechte Zukunft aussehen?

Jan Königshausen ist Referent für Indigene Völker. In seinem Projekt beschäftigt er sich mit dem sozial gerechten Wandel hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaftsweise.
Während in Deutschland oft nur über die Energiewende gesprochen wird, schaut er besonders darauf, welche Auswirkungen grüne Projekte des Globalen Nordens – wie der Green Deal der EU – auf Länder des Globalen Südens haben. Denn häufig werden Emissionen zwar bei uns gesenkt, aber auf Kosten von Menschen im Globalen Süden – und oft in den Territorien Indigener Völker.

Ihre Spende hilft, weitere Begegnungen zu ermöglichen, Stimmen wie die von Tita zu dokumentieren und ihre Anliegen international bekannt zu machen. Damit die Energiewende nicht auf Kosten derer geschieht, die seit Jahrhunderten mit der Natur leben – und für sie kämpfen.

Für diese Menschenrechtsarbeit spende ich!

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