Deutschland schweigt zu staatlichen Menschenrechtsverletzungen in Peru

In Peru verschärft sich im Rahmen der aktuellen Proteste insbesondere für die indigene
Bevölkerung trotz internationalen Anprangerns die Menschenrechtslage. Die deutsche
Bundesregierung entzieht sich weiterhin der Verantwortung einer öffentlichen
Positionierung und baut zugleich die wirtschaftlichen Beziehungen aus. Damit trägt sie zur
Legitimierung eines autoritären Regimes bei und behindert den Aufbau eines
demokratischen Prozesse.

Von Antje Kalbe; Foto: Presidencia la República del Perú | Facebook

„Die Welt muss auf Peru schauen“

Das antwortete Jennie Dador, Geschäftsführerin der peruanischen
Menschenrechtsorganisation Coordinadora Nacional de Derechos Humanos (CNDDHH)
im März 2023 auf eine Interviewfrage, was wir von Deutschland aus tun können:
„Internationale Aufmerksamkeit ist jetzt besonders wichtig. Die Welt muss auf Peru
schauen. Deshalb sind öffentliche Erklärungen aus dem Ausland in regelmäßigen
Abständen weiter sehr wichtig. (…) Besonders wirksam sind natürlich Erklärungen der
Botschaft und der Regierung.“ 1

Und das insbesondere von Ländern außerhalb Lateinamerikas. Vor allem jenen, die seit
langer Zeit eine intensive Beziehung zu dem Land pflegen. Die Stimme Deutschlands
hätte da Gewicht. Peru ist ein äußerst wichtiger Handels- und Rohstoffpartner.2 Deutschland betont zudem die „engen und freundschaftlichen politischen Beziehungen“, sowohl wirtschaftlich als auch technologisch und kulturell.3

Aufbau einer stabilen Demokratie eines der Ziele der deutsch-peruanischen
Entwicklungszusammenarbeit

Seit 60 Jahren arbeitet Deutschland mit Peru in der Entwicklungszusammenarbeit
zusammen und ist größter europäischer Geber. Aktionsfelder sind neben Klima- und
Umweltschutzthemen auch „gute Regierungsführung“.4 Weitere Arbeitsschwerpunkte sind „(…) die Stärkung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen, die Stärkung der öffentlichen Verwaltung und der Zivilgesellschaft, die Verbesserung der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung sowie die Förderung der ländlichen Entwicklung und des Umweltschutzes.“5

Tatsache ist jedoch, dass die deutsche Regierung staatliche Repressalien unerwähnt lässt
und zugleich die wirtschaftlichen Beziehungen zu Perus Übergangsregierung aktiv wie
passiv intensiviert: am 6. Februar 2023 besuchte die deutsche Botschafterin Sabine Bloch
den neuen Energie- und Bergbauminister Óscar Gargurevich zu Gesprächen in Lima6 und lud ihn auch nach Deutschland zu dem Berlin Energy Transition Dialogue BETD Ende März ein; auf EU-
Ebene wurden Anfang Juni in Madrid und Paris Kabinettschef Alberto Otárola und Außenministerin Ana Gervasi u.a. für Gespräche im Rahmen von OSZE-Beitrittsverhandlungen empfangen; auf dem Gipfel der europäischen Staaten und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (EU-CELAC) am 17. und 18. Juli 2023 in Brüssel, auf dem es vorrangig um Handelsabkommen geht, wird Dina Boluarte offiziell als Staatsoberhaupt erwartet.7

Rechte Kräfte vereinen zunehmend Macht im Kongress

Gegen Dina Boluarte und Alberto Otárola wird in Peru wegen „Völkermords, der vorsätzlichen Tötung und schweren Körperverletzung“ ermittelt.8 Boluarte weist nach wie vor jede Verantwortung für die Gewalttaten von sich,9 obwohl ihr als oberste Befehlshaberin wie anfangs auch Otárola als Verteidigungsminister die Entscheidungsgewalt über die Nationale Polizei und die Streitkräfte obliegt. Zugleich führen unter dem Zusammenschluss rechter Kongressabgeordneter Neubesetzungen an demokratischen Schlüsselpositionen wie dem Verfassungsgericht dazu, dass sie immer mehr Macht auf sich vereinen.10

91 Prozent der Bevölkerung lehnen Kongress ab – historische Tiefstwerte

Die Grundforderungen der Demonstrant*innen sind deutlich vorgezogene Neuwahlen sowie ein alle Bevölkerungsgruppen berücksichtigender verfassungsgebender Versammlungsprozess, um die andauernde soziale Ungerechtigkeit zu überwinden:11 Indem wir uns als demokratischer Staat gegen das Benennen der Menschenrechtsverletzungen entscheiden und zugleich wirtschaftliche Beziehungen ausbauen, fördern wir die Legitimierung und Verfestigung eines autoritären Kurses, der nach einer Anfang Juli veröffentlichten Umfrage von 91 Prozent der Menschen in Peru gegen den Kongress bzw. 80 Prozent gegen die Regierung Boluarte abgelehnt wird – historische Tiefstwerte.12 Es trägt aktiv dazu bei, dass das, was wir eigentlich grundlegend kritisieren und anprangern (sollten), übergeordnet befürwortet wird. Damit verhindern wir die Chance auf die von der Bevölkerung gewünschten grundlegenden Reformen und verschärfen in der Folge die ohnehin äußerst prekäre Situation der davon besonders betroffenen indigenen Bevölkerung.

„Wie viele Tote wollt ihr noch?“

Währenddessen spitzt sich die Lage innerhalb des Landes und für Großteile der
peruanischen Bevölkerung immer mehr zu: nachdem zehntausende Menschen erneut auf
die Straße gingen und den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen forderten, nahm
Boluarte das bisher einzige Zugeständnis von vorgezogenen Wahlen auf 2024 zurück und
verkündete, bis zum Ende der Regierungsperiode im Juli 2026 im Amt bleiben zu wollen.13
Daraufhin riefen soziale Bewegungen, Student*innen, die selbstorganisierten bäuerlichen
Gruppierungen der rondas campesinas und Gewerkschaften am 19. Juli zu dem dritten
landesweiten Protestmarsch Richtung der Hauptstadt Lima auf – mittlerweile deutlich
geeinter und auch mit starker Unterstützung aus den nördlichen Regionen.
Schon Ende Mai stimmte der Kongress zu, dass bewaffnete US-Streitkräfte ins Land
kommen dürfen, um „Kooperations- und Ausbildungsmaßnahmen mit den Streitkräften
und der Polizei Perus durchzuführen” und für zunächst sieben Monate ab dem 1. Juni
2023 „Unterstützung und Hilfe bei Sondereinsätzen“ zu leisten, was von Außenstehenden
eindeutig mit den bevorstehenden Proteste in Verbindung gebracht und als Gefährdung
der nationalen Souveränität wahrgenommen wird.14

Auch die kürzlichen Äußerungen Boluartes’ zu den bevorstehenden Protestmärschen sind
zutiefst beunruhigend, wenn sie sagt: „Wie viele Tote wollt ihr noch?“,15 offensichtlich eine makabre Anspielung auf Protestlieder der Demonstrant*innen, in denen es heißt: „Wie viele Leben wirst du noch fordern von Peruanern, die eine verfassungsgebende Versammlung für eine neue Verfassung fordern?“ (aus: ¡Viva el pueblo, carajo) und „Wie viele Tote willst du, damit du zurücktrittst, Dina, Mörderin, das Volk lehnt dich ab”.16 Sie wendet sich auch hier, wie seit Beginn ihrer Machtübernahme, an eine fiktive „radikale und gewalttätige Minderheit“, „die die Mehrheit manipuliere“, (prensa-latina, 24.2.2023) eine für autoritäre Regime übliche, so genannte Lawfare-Strategie, mit der unliebsame Kritiker kriminalisiert und isoliert werden, indem Angst in der Bevölkerung geschürt und der Einsatz von Waffengewalt prophylaktisch rechtfertigt wird, wie es zurzeit im Vorfeld der angekündigten Protestmärsche in Peru passiert.17

Offizielle Einladung Boluartes nach Europa bekommt Schlüsselposition

In diesem Kontext bekommt die vom spanischen Außenminister betonte Erwartung Dina Boluartes auf dem EU-CELAC-Gipfel, auf dem sie das erste Mal im Ausland als offizielles Staatoberhaupt begrüßt werden würde, und im Vorfeld der für den 19. Juli 2023 angekündigten landesweiten Proteste eine Schlüsselposition: Während das Landhochrüstet und rechte Politiker und Medien die Angst vor terroristischer Unterwanderung schüren18, gibt es für die europäischen Regierungsebenen noch die Möglichkeit, sich für eine Deeskalierung der Situation einzusetzen und die bisherigen Menschenrechtsverletzungen klar und öffentlich als das zu verurteilen, was sie sind:„‘schwerwiegende Fälle einer unverhältnismäßigen, wahllosen und tödlichen Gewaltanwendung’ durch staatliche Einsatzkräfte“ und „rassistisch motivierten ‚außergerichtlichen Hinrichtungen‘“. Das ist unter anderem von der interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (IACHR) eindeutig festgestellt und benannt worden19; zum anderen um konkrete Erwartungen an die Interimsregierung zu formulieren, den Wunsch der Bevölkerung nach sofortigen Neuwahlen und einer plurinationalen, paritätischen verfassungsgebenden Versammlung zu respektieren.

Schweigen gefährdet das Leben derer, die für die Demokratie auf die Straße gehen

Es bleibt also eine Frage des Willens, inwiefern das Eintreten für demokratische Werte auch in Situationen Bestand behält, wenn Partner sie schon seit geraumer Zeit verloren haben. Man nennt es Integrität. Es wäre teuer bezahlt, es für billig angepriesene Rohstoffe aufs Spiel zu setzen und damit die Aussagekraft einer klaren, politischen Haltung. Denn wer sich gerade für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Respekt, sauberes Trinkwasser und den Schutz der Erde einsetzt und gegen Rassismus, Ausbeutung, Unterdrückung, Gewalt, Benachteiligung und mangelnden Schutz und Fürsorge ausspricht, sind die Menschen, die auf die Straße gehen. Wir würden sie bitterlich im Stich lassen, wenn wir weitermachen wie bisher und die für’s Weggucken bequeme Rhetorik einer autoritären Regierung übernehmen, statt uns an die Seite der Bevölkerung Perus zu stellen und den notwendigen demokratischen Prozess zu unterstützen. Eine gewaltbereite Regierung schweigend über den Handel zu bestätigen gefährdet ganz konkret Menschenleben. Kein Rohstoff, kein E-Auto kann das im Nachhinein ausgleichen.

Quellen

1 Die Welt muss auf Peru schauen | Informationsstelle Peru e.V. (infostelle-peru.de)
Bergbau Peru (ahk.de)

2 Bergbau Peru (ahk.de)

3 Deutschland und Peru: Bilaterale Beziehungen – Auswärtiges Amt (auswaertiges-amt.de)

4 Deutschland und Peru: Bilaterale Beziehungen – Auswärtiges Amt (auswaertiges-amt.de)

5 Peru: Steckbrief – Auswärtiges Amt (auswaertiges-amt.de)

6 twitter.com/MinemPeru/status/1622667159062077440

7 Alberto Otárola en España: Gobierno de Dina Boluarte recibe el respaldo institucional del país uropeo – Infobae

8 Ermittlungen gegen Perus Präsidentin – DW – 11.01.2023

9 Peru: Mit Kriegswaffen gegen Demonstrant*innen – NPLA

10 Presidenta se abstiene de hablar de muertes de manifestantes en Perú – Prensa Latina (prensa-latina.cu)

11 Peru: Regierung Boluarte und Kongress erreichen historische Tiefstwerte der Zustimmung | amerika21

12 25.03.2023: »Jede dieser Beleidigungen war gegen uns Indigene gerichtet« (Tageszeitung junge Welt)

13 Peru: Regierung Boluarte und Kongress erreichen historische Tiefstwerte der Zustimmung | amerika21

14 BOLUARTE: “El tema de ADELANTO DE ELECCIONES está cerrado, TRABAJAREMOS hasta julio de 2026” | #LR – YouTube

15 Kongress in Peru genehmigt Präsenz bewaffneter US-Truppen | amerika21

DINA BOLUARTE ante tercera “TOMA DE LIMA”: ¿Cuántas MUERTES más quieren? I #LR – YouTube

16 Peru: Umstrittene Strafverfolgung Castillos und verstärkte Kriminalisierung der Proteste | amerika21

17 Dirigente acusó a Gobierno de sembrar miedo ante protesta en Perú – Prensa Latina (prensa-latina.cu)

18 Dirigente acusó a Gobierno de sembrar miedo ante protesta en Perú – Prensa Latina (prensa-latina.cu)

19 05.05.2023: Gesetzbeugende Gewalt (Tageszeitung junge Welt)

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