Deutschland behauptet, dass “die heutige völkerrechtliche Ächtung und das Verbot von Völkermord in den Jahren 1904 bis 1908 nicht existierten”.

Die Antwort der Bundesrepublik Deutschland an die UN-Sonderberichterstatter*innen zum Völkermord an den Nama/Ovaherero von 1904-1908 – Eine unabhängige Stellungnahme von Sima Luipert (english version below)

09. Juni 2023 Am 23. Februar 2023 schrieben sieben UN-Sonderberichterstatter*innen gemeinsam einen Brief an die deutsche Regierung und einen Brief an die namibische Regierung, in denen sie ihre Besorgnis über die Verletzung des Völkerrechts im Rahmen der deutsch-namibischen zwischenstaatlichen Verhandlungen über den Völkermord an den Nama und Ovaherero von 1904 bis 1908 zum Ausdruck brachten, die im Mai 2021 zu einer von beiden Regierungen paraphierten gemeinsamen Erklärung führten. Sowohl Deutschland als auch Namibia haben Ende Mai 2023 auf die Bedenken der UN-Sonderberichterstatter*innen geantwortet.

Aus der Antwort der deutschen Regierung geht eindeutig hervor, dass die Verantwortung Deutschlands für die während seiner Kolonialherrschaft begangenen Verbrechen weiterhin geleugnet wird. In der Tat ist es so, als ob Deutschland seine “Zivilisationsmission”, die es während der Kolonialzeit begonnen hat, erneut bestätigen würde. Die Sonderberichterstatter erinnern Deutschland deutlich an seine rechtlichen Verpflichtungen und daran, dass Entwicklungshilfe keine Wiedergutmachung darstellt. Dennoch bezeichnet Deutschland Namibia weiterhin als das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Empfang an Entwicklungshilfe.

Bereits im ersten Punkt seiner Erwiderung bestreitet Deutschland, dass ein Verbrechen des Völkermords begangen wurde, und verweist nur vage auf eine nicht näher definierte besondere Beziehung. In den Punkten 21 bis 25 wird erneut bekräftigt, dass die “Natives” nach dem Völkerrecht nicht zu den zivilisierten Völkern gehören, um die Leugnung zu unterstreichen. Dennoch drückt Deutschland im gleichen Atemzug sein “tiefes Bedauern” über die “abscheulichen Gräueltaten” aus. Dieses Argument zeigt, wie falsch das deutsche Schuldeingeständnis ist, ohne irgendeine Schuld zuzugeben. Es hält unverhohlen an denselben kolonialen Hierarchien fest, indem es seine juristischen Argumente auf eine rassistische Rechtsdoktrin stützt, die Schwarze auf unzivilisierte Wilde und wilde Stämme reduziert.

Deutschland stellt dann weiterhin das Entwicklungshilfepaket für Wiederaufbau und Versöhnung als Geschenk des “weißen Erlösers” dar, der Mitleid mit Menschen hat, die einst als Wilde galten, und als Zeichen der Rettung einer rückständigen Nation, die des Wiederaufbaus bedarf. Es ist verblüffend, dass Deutschland nicht einmal mit der Wimper zuckt, wenn es um seine eigene Widersprüchlichkeit und Zweideutigkeit geht. Einerseits empfindet es “tiefes Bedauern”, und im gleichen Atemzug erklärt es, dass “die heutige völkerrechtliche Ächtung und das Verbot des Völkermords in den Jahren 1904 bis 1908 nicht existierten”.

Die gesamte Reaktion ist bezeichnend für die anhaltende koloniale Beziehung zwischen Deutschland und Namibia. Es ist ganz klar, dass Deutschland während des gesamten Verhandlungsprozesses die Trumpfkarte in der Hand hielt und seine wirtschaftliche und politische Macht nutzte, um um Namibia in ein Abkommen zu zwingen, indem es mit dem Zuckerbrot von 1 Milliarde Euro über 30 Jahren baumelte, was genau dem entspricht, was Deutschland seit der
Unabhängigkeit bereitstellte.

Die diplomatischen Worte des “tiefen Bedauerns” werden zu einem Walzer im Ballsaal, um die hypnotisierende Illusion zu erzeugen, dass eine philosophische Lösung gefunden worden sei. Doch wenn die Walzermusik verstummt, wird klar, dass diese Lösung nur ein Hirngespinst Deutschlands ist, das von den Nama und Ovaherero, die die Hauptlast dieses schrecklichen Verbrechens zu tragen hatten, niemals akzeptiert werden wird. Anstatt auf die von den Sonderberichterstatter*innen aufgeworfenen, sehr spezifischen Bedenken und Fragen einzugehen, verfällt Deutschland in einen gönnerhaften Selbstverherrlichungsrausch darüber, wie freundlich es Namibia seit der Unabhängigkeit behandelt hat, als ob es hofft, die Sonderberichterstatter in Deutschlands Reich der intertemporalen weißen Vorherrschaftsrechtsdoktrin zu hypnotisieren.

Die beiden Regierungen beharren auf dem Prinzip der bilateralen Verhandlungen und darauf, dass ein souveräner Staat nur mit einem souveränen Staat verhandeln kann. Dieser Rechtsgrundsatz ersetzt jedoch nicht die direkten Beteiligungsrechte, die in den internationalen Menschenrechtsnormen verankert sind, insbesondere wenn es um Fragen wie Völkermord geht. Völkermord ist ein gezieltes Verbrechen, und die Opfer dieses Verbrechens haben einen Rechtsanspruch darauf, gehört zu werden. Die Sonderberichterstatter*innen erinnern Deutschland ausdrücklich daran, dass “der rechtliche Status der Herero und Nama und ihrer Vertreter als indigene Völker nach internationalem und nationalem Recht ein anderer und von der namibischen Regierung selbst getrennter ist und daher einen eigenen Platz in den Verhandlungen erfordert… daher können ohne sie keine gültigen Verhandlungen geführt und keine gerechte Lösung erreicht werden”.

Deutschland kann nicht Täter und Richter für ein Verbrechen sein, das es begangen hat. Während es angeblich die Schuld zugibt, bestimmt es den Preis, der für die erlittenen Verluste zu zahlen ist, und die Bedingungen für eine Versöhnung. Dies ist an sich schon eine Fortsetzung der Versachlichung der indigenen Völker, die in Wirklichkeit Subjekte des Völkerrechts und nicht unsichtbare Objekte des Rechts sind.

Die deutsche Regierung erklärt weiter, dass sie “die Entscheidung der OTA und der NTLA, die Einladung der namibischen Regierung zur Teilnahme am Versöhnungsprozess abzulehnen, zur Kenntnis genommen hat”. Dies geschieht trotz des Hinweises der Sonderberichterstatter*innen, dass das Beharren der OTA und der NTLA auf Selbstvertretung keine Ablehnung der Teilnahme darstellt. Deutschland behauptet außerdem, dass sich die “Vertreter von OTA und NTLA von Anfang an gegen eine direkte oder indirekte Teilnahme am Dialog entschieden haben”.

Deutschland scheint zu vergessen, dass es eigentlich die NTLA und OTA waren, die es mit einer Sammelklage in New York an den Verhandlungstisch gezerrt haben. Zwischen 2006 und 2014 hat sich Deutschland konsequent geweigert, den Völkermord anzuerkennen oder zumindest darüber zu sprechen. Als sich die beiden assoziierten Vertreter*innen des Nama- und Ovaherero-Volkes an die New Yorker Gerichte wandten, teilte Deutschland der namibischen Regierung schließlich mit, dass es zu Gesprächen bereit sei. Die namibische Regierung hat durch den Premierminister wiederholt bestätigt, dass Deutschland sich lange Zeit bis 2014 geweigert hat, die Angelegenheit zu lösen. Es ist daher kein Zufall, dass Deutschland schließlich einlenkte, als es die Gerichtsdokumente von den Rechtsvertreter*innen der NTLA und OTA erhielt. NTLA und OTA haben sich nie geweigert, zu verhandeln. Sie weigerten sich, als Zaungäste und technische Berater in einem staatlichen Verhandlungsprozess aufzutreten.

Es wird auch erwähnt, dass “traditionelle Autoritäten, die bei der namibischen Regierung gemäß den gesetzlichen Bestimmungen Namibias registriert sind, für die Organisation ihres traditionellen Lebens und ihre Vertretung auf staatlicher Ebene verantwortlich sind”. Ferner wird auf über 250 Chiefs der Herero, Nama, Damara und San verwiesen, die am 27. Oktober 2022 auf Einladung der namibischen Regierung zu einem Chief Forum zusammenkamen. Es wird auch auf einen OvaHerero/OvaMbanderu- und Nama-Rat für den Dialog über den Völkermord von 1904-1908 (ONCD 1904-1908) hingewiesen.

Man fragt sich, ob die deutsche Regierung überhaupt darüber nachgedacht hat, ob die so genannten Chiefs und traditionellen Autoritäten, auf die sie sich beruft, tatsächlich bei der namibischen Regierung im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen registriert sind. Betrachtet man nur die Nama-Komponente der Personen, die mit beiden Regierungen gesprochen haben, so ist kein einziger von ihnen im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen, auf die sich Deutschland bezieht, registriert. Dies wirft die Frage nach der Legitimität der von der namibischen Regierung handverlesenen Vertretung der betroffenen Gemeinschaften auf, auf die sich sowohl die deutsche als auch die namibische Regierung in ihrer Antwort auf die Schreiben des Sonderberichterstatters beziehen. Diese Tatsache weist auf die Illegitimität des gesamten Verhandlungsprozesses hin.
Bei einem komplexen staatlichen Nachrichtendienst wie dem deutschen und dem des Auswärtigen Amtes hätte man denken können, dass sie sich zunächst über die Fakten informieren, bevor sie eine derartig pauschale Aussage über registrierte traditionelle Autoritäten treffen. Es wäre auch sehr interessant, die Liste der über 250 Chiefs zu sehen, wo es doch nach dem Gesetzblatt des Namibian Traditional Authorities Act nur etwa 52 registrierte traditionelle Autoritäten in Namibia gibt. Wie das so genannte Chiefs Forum 250 Chiefs erfunden hat, entzieht sich dem logischen Verständnis jedes Menschen, der einen gesunden Menschenverstand besitzt.

Deutschland sollte aufhören, sich in internationalen Gremien zu blamieren und keine Reue mehr vortäuschen. Wer die Erklärung aufmerksam liest, durchschaut die eigennützige Verherrlichung als Rechtfertigung des Massenmordes, der nun als “tiefes Bedauern” schöngeredet wird, und die Trauer als gönnerhaftes Geschenk der “Entwicklungshilfe für Wiederaufbau und Versöhnung” überreicht wird. Die außenpolitische und juristische Argumentation Deutschlands beruht auf einer rassistisch-kolonialen Auslegung des Völkerrechts, wenn sie behauptet, dass “die heutige völkerrechtliche Ächtung und das Verbot des Völkermordes in den Jahren 1904 bis 1908 nicht existierten”. Keine noch so große Reue kann diesen tief sitzenden kolonialen Unterton im gesamten Verhandlungsprozess beseitigen. Der diplomatische Jargon der “Heilung der Wunden” ist nur eine Nebelkerze.

Sima Luipert ist Nama-Reparationsaktivistin, Entwicklungshelferin und Urenkelin eines Überlebenden des Völkermordes an den Nama Ovaherero.


Germany claims that “today’s outlawing and prohibition of genocide under international law did not exist in the years 1904 to 1908”.

The Federal Republic of Germany’s response to the UN Special Rapporteurs on the matter of the Nama / Ovaherero Genocide of 1904 – 1908

June 09, 2023 – On 23 February 2023, seven UN Special Rapporteurs jointly wrote one letter to the German government and one letter to the Namibian government, in which they articulated their concerns regarding the violation of international law, during the German-Namibian interstate negotiations on the Nama and Ovaherero genocide of 1904-1908, which led to a Joint Declaration initialed by the two governments in May 2021. Both Germany and Namibia responded at the end of May 2023, to the concerns of the UN Special Rapporteurs.

It is very clear from the response of the German government, that there is continued denial of the responsibility Germany has for the crimes committed during its colonial rule. In fact, it is as if Germany is reconfirming its “civilisation mission” which it started during colonial rule. The Special Rapporteurs clearly remind Germany of its legal obligations and that development aid does not constitute reparations. Yet Germany continues to refer to Namibia as its highest per capita receiver of development assistance.

In the very first bullet of its response, Germany already denies that a crime of genocide was committed, and only makes a vague reference to an ill-defined special relationship. As if to emphasise its denialist argument, bullets 21 to 25 again reaffirm that under international law, natives did not fall under the category of civilised nations. Yet in the same vein Germany expresses its “profound regret” for the “abominable atrocities”. This argument is reflective of how fake Germany’s admission of guilt is without admitting any guilt. It blatantly perpetuates the same colonial hierarchies by basing its legal arguments on a racist legal doctrine that reduces black people to uncivilised savages and wild tribes.

Germany then continues to present the development aid package of reconstruction and reconciliation as a gift of the “White Saviour” who feels pity for people who once were considered savages, and as a token of coming to the rescue of a backward nation in need of reconstruction. What is mindboggling is that Germany does not even blink an eye for its own contradiction and ambiguity. On the one hand, she feels “profound regret”, and in the same breath she declares that “today’s outlawing and prohibition of genocide under international law did not exist in the years 1904 to 1908”.

The entire response is indicative of the continued colonial relationship between Germany and Namibia. It is very clear that Germany held the trump card during the entire negotiation process, and that Germany used its economic and political power to force Namibia into a deal by dangling a carrot of 1Billion Euros to be given over 30

years, which amounts to exactly the same Germany has been providing since independence.

The diplomatic verbiage of “profound regret” becomes like a ball room waltz to create the hypnotising illusion that some philosophical solution has been found. Yet when the music of the waltzing drowns, the reality hits that this solution is merely a fabrication of Germany’s imagination, which shall never be accepted by the Nama and Ovaherero people who bore the brunt of this horrific crime. Instead of responding to the very specific concerns and questions raised by the Special Rapporteurs, Germany then goes into a patronising frenzy of self-glorification about how kind it has been to Namibia since independence, as if it is hoping to mesmerize the Special Rapporteurs into Germany’s realm of intertemporal white supremist legal doctrine.

The two governments keep insisting on the principle of bilateral negotiations, and that a sovereign state can only enter negotiations with a sovereign state. However, this legal principle does not supersede direct participation rights which are enshrined in international human rights law, especially when it comes to matters such as genocide. Genocide is a targeted crime, and those targeted for this crime have a legal right to be heard. The Special Rapporteurs specifically remind Germany that the “legal statusof theHereroandNamapeoplesandtheirrepresentativesasindigenouspeoples under international law and national law is different and separate from the Namibian government itself, and thus requires a place of its own in negotiations… therefore no valid negotiations can be conducted and no just settlement can be reached without them”.

Germany cannot be the perpetrator and the judge for a crime it committed. While supposedly admitting guilt, it determines the price to be paid for the losses incurred, and the conditions for reconciliation. This in itself is a continuation of the objectification of indigenous people, who in fact are subjects of international law rather than invisible objects of law.

The German Government further states that it “notedthedecisionoftheOTAandthe NTLA to turn down the Namibian Government’s invitation to take part in the reconciliation process”. This is despite the reminder by the Special Rapporteurs, that the insistence of OTA and NTLA for self-representation, does not constitute a refusal to participate. Germany also alleges that the “representativesOTAandNTLA,decided against a direct or indirect participation in the dialogue from the outset”.

Germany seems to forget that it is actually the NTLA and OTA which dragged it to the negotiating table by filing a class law suit in New York. Between 2006 and 2014, Germany consistently refused to acknowledge genocide or at the least discuss the matter. When the two associated representatives of the Nama and Ovaherero people approached the New York courts, Germany finally communicated to the Namibian Government that it is ready to talk. The Namibian Government, through the Prime Minister, repeatedly confirmed Germany’s refusal to resolve the matter for a long time until 2014. It is therefore no coincidence that Germany finally gave in, just during the same period it received the court documents from the legal representatives of the NTLA and OTA. NTLA and OTA never refused to negotiate. They refused to be onlookers and technical advisors to a government negotiation process.

It also mentions that “traditionalauthoritiesregisteredwith the Namibian Government in line with Namibia’s statutory provisions, are responsible for organising their traditionallifeandrepresentingthematstatelevel”.A further reference is made to over 250 Chiefs of the Herero, Nama, Damara and San who came together on 27 October 2022 at the invitation of the Namibian Government for a Chiefs Forum. There is also reference to a OvaHerero/OvaMbanderu and Nama Council for the Dialogue on the 1904-1908 Genocide (ONCD 1904-1908).

One wonders whether the German Government has even considered whether the so- called Chiefs and Traditional Authorities it refers to, are indeed registered with the Namibian Government in line with statutory provisions. Just considering the Nama component of the people who have been talking to both Governments, not a single one of them are registered in terms of the statutory provisions Germany is referring to. This raises the issue of legitimacy of Namibian Government’s hand-selected representation of affected communities both Germany and Namibian governments are referring to in their reply to the Special Rapporteurs letters. This fact points to the illegitimacy of the entire negotiation process.

With a complex state intelligence service such as that of Germany and the German Foreign Office, one would have thought that they would first ascertain their facts before making such a self-implicating blanket statement about registered traditional authorities. It would also be very interesting to see the list of over 250 Chiefs, when in fact, according to the legal gazette of the Namibian Traditional Authorities Act, there are only about 52 gazetted Traditional Authorities in Namibia. How the so-called Chiefs Forum invented 250 Chiefs is beyond the logical understanding of any human being who possesses any common sense.

Germany is advised to stop embarrassing itself in international fora and refrain from further faking remorse. Anyone who carefully reads its statement can see through the self-serving glorification as a justification of mass murder, which is now sugar coated as a “profound regret”, and its sorrow handed down as a patronising gift of “development aid for reconstruction and reconciliation”. Germany’s foreign policy and legal argument is based on a racist colonial interpretation of international law, when it states that “today’s outlawing and prohibition of genocide under international lawdidnotexistintheyears1904to1908”.No amount of remorse can remove this deep-seated colonial undertone in the entire negotiation process. The diplomatic jargon of “healing wounds” is all a smokescreen.

Sima Luipert is a Nama reparations activist, development practitioner, and great granddaughter of Nama Ovaherero Genocide survivor.

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